Kinder:Armut schadet dem Hirn

"Das Gehirn ist wie ein Haus. Ist das Fundament einmal beschädigt, bekommen auch die Wände leicht Risse". So erklären Forscher, warum Stress in der Kindheit den IQ mindert.

Kinder, die in ärmlichen Verhältnissen aufwachsen, schneiden oft schlecht bei Intelligenztests ab. Ihr Intelligenz-Quotient ist niedriger als der von Mittelklasse-Kindern, ihr Gedächtnis und ihre Sprachfähigkeit sind weniger ausgeprägt. Psychologen stehen bereits seit Jahrzehnten vor solchen Resultaten und fragen sich, wie angesichts dessen die Macht der Armut zu brechen sei.

Kinder: So unterschiedlich wie die überdimensionalen Stifte dieser Bushaltestelle sind die Schüler, die hier aussteigen. Einige haben von vornherein weniger Chancen.

So unterschiedlich wie die überdimensionalen Stifte dieser Bushaltestelle sind die Schüler, die hier aussteigen. Einige haben von vornherein weniger Chancen.

(Foto: Foto: dpa)

Immerhin wissen sie schon seit einer Weile, dass es eher die Umgebung ist, die die geistigen Fähigkeiten der Kinder beschädigt, als die Gene ihrer Eltern. Doch erst allmählich liefern psychologische Studien und Tierexperimente auch eine Begründung. Die Experten machen inzwischen Stress verantwortlich - nicht im landläufigen Sinn einer Belastung mit vielen Aufgaben, sondern eher das Gefühl, in einer Situation zu stecken, die man emotional nicht bewältigen kann.

Hält Stress über einen längeren Zeitraum an, stört er den Aufbau von Nervenverbindungen und kann das Gehirn und das Immunsystem dauerhaft schädigen.

Kinder in armen Familien sind diesem Stress in der Regel in weitaus stärkerem Maß ausgesetzt als der Nachwuchs wohlhabender Eltern. "Ständige Geldsorgen zu Hause, streitende Eltern, Misshandlung oder Vernachlässigung - oft sind es mehrere Faktoren auf einmal, die den schädlichen Stress hervorrufen", sagte Jack Shonkoff von der Harvard Universität vor einigen Tagen auf einem Symposium der AAAS-Tagung in Boston. Lebenslange Lern-, Konzentrations- und Gesundheitsprobleme können ebenso die Folge sein wie Verhaltensauffälligkeiten und psychische Krankheiten.

Drei Typen von Stress

Stress ist nicht gleich Stress. Mindestens drei Typen unterscheiden Fachleute: Positiver Stress entsteht zum Beispiel, wenn die Kinder kurz von den Eltern getrennt sind oder wenn sie eine Frustration verarbeiten. Puls und Blutdruck steigen kurzzeitig an, Hormone wie Cortisol oder Adrenalin werden ausgeschüttet. Ist die Situation vorbei, regeneriert sich auch ein kindlicher Körper von selbst.

Anders beim zweiten Typ, dem erträglichen Stress. Nach dem Tod eines Elternteils, einer Naturkatastrophe, oder einer Scheidung sind Kinder bei der Bewältigung auf die Hilfe von Erwachsenen angewiesen. Gelingt es Eltern oder Therapeuten nicht, das Stressniveau zu senken, können bleibende Schäden auftreten. Aus erträglichem wird toxischer Stress, der dritte Typ.

Wie sich die verschiedenen Stresstypen auf die Architektur des Gehirns auswirken, zeigen Versuche mit Ratten und Mäusen. Wurden die Tiere nur für kurze Zeit von ihren Eltern getrennt, bildete der Nachwuchs mehr Synapsen als Kontrolltiere. Weniger Verknüpfungsstellen zeigten hingegen Tiere, die längere Zeit auf Zuwendung verzichten mussten.

Allgemein gilt: Je früher toxischer Stress auftritt, desto größer der Schaden. "Das Gehirn ist wie ein Haus. Ist das Fundament einmal beschädigt, bekommen auch die Wände leicht Risse", sagt Shonkoff. Bereits Erfahrungen in den ersten Lebensmonaten bestimmten, ob die Schaltkreise im Gehirn eines Kindes eine starke oder schwache Grundlage für alle zukünftigen Lern- und Verhaltensprozesse bilden.

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