Kernfusion:Traum von gigantischer Energie

Die Kanzlerin setzt auf die Kernfusion. Doch ehe die funktioniert, könnte eine andere - womöglich billigere - Energiequelle sprudeln.

Michael Bauchmüller

Diejenigen, die Ivy Mike sehen durften, ertrugen den Anblick nur mit Sonnenbrille. Etwa fünf Kilometer maß der Feuerball der US-Wasserstoffbombe. Mehr als 4000 Kilometer von Hawaii entfernt, über dem Eniwetok-Atoll im Pazifik, erbrachte sie den ersten Beweis für die ungeahnte Kraft der Kernfusion. Das war 1952, seither träumen Forscher in aller Welt davon, diese Kraft zu kontrollieren und Strom daraus zu erzeugen. Und die Bundeskanzlerin träumt mit.

Ivy Mike, Wasserstoffbombe

Die erste Wasserstoffbombe erbrachte den Beweis für die Kraft der Kernfusion und nährte Hoffnungen auf eine neue Energiequelle.

(Foto: Foto: Reuters)

Am Montag reiste die promovierte Physikerin Angela Merkel deshalb an die Ostsee. Dort, in Greifswald, unterhält das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) eine von zwei Forschungseinrichtungen für die Fusionsenergie. Bis 2014, mithin etwas später als ursprünglich einmal geplant, soll dort ein kleines Fusionskraftwerk entstehen, der Stellarator Wendelstein 7-X. Mit solchen oder ähnlichen Kraftwerken, so findet die Kanzlerin, lasse sich Energie "auf eine ganz besondere Art und Weise" erzeugen. "Die Kernfusion wäre eine Art der Energiegewinnung, die uns unendliche Mengen von Energie zur Verfügung stellen könnte", schwärmte die Kanzlerin jüngst in ihrer Videobotschaft.

Tatsächlich sind die Potentiale enorm. Ein Gramm Brennstoff könnte in einem Fusionskraftwerk so viel Energie freisetzen wie elf Tonnen Kohle. Die nötigen Ausgangsstoffe, Deuterium und Tritium, lassen sich verhältnismäßig leicht beschaffen. Im Prinzip sollen sie das nukleare Feuer, das die Sonne zum Leuchten bringt, in einem irdischen Reaktor entfachen. So wie es in Sternen pausenlos geschieht, wollen die Forscher leichte Atomkerne verschmelzen und daraus Energie gewinnen, das Ganze sogar ohne Schaden für das Klima.

Und der Clou: Anders als in Atomkraftwerken droht keine katastrophale Kernschmelze, sollte der Prozess einmal außer Kontrolle geraten. Nur: Die Sache dauert. "Das ist nichts, was morgen fertig wird", sagt auch IPP-Chef Günther Hasinger. Allein der Wendelstein 7-X sei "die komplizierteste Maschine, die jemals gebaut wurde". Doch zur Mitte des Jahrhunderts, wenn Energie am dringendsten notwendig sei, "dann wird es so weit sein."

Nicht jeder teilt diese Euphorie. "Die Fusionsforscher können einem schon fast leid tun", sagt Wolfgang Liebert, Chef des Zentrums für interdisziplinäre Technikforschung an der Technischen Uni Darmstadt. Ständig müssten sie die Hoffnung auf den Durchbruch am Leben halten, damit weiter Forschungsmittel fließen - 2010 mit 135 Millionen Euro allein ein Drittel des deutschen Forschungsetats.

Dabei gibt es jede Menge Probleme. So erzeugt die nukleare Fusion zwar an sich keinen strahlenden Abfall. Aber die stählernen Innenwände eines Fusionsreaktors wären derart massiver Strahlung ausgesetzt, dass sie selbst radioaktiv werden. Regelmäßig müssen sie als Atommüll entsorgt werden.

Ganz billig wird das nicht - wie ohnehin nichts an dem Projekt: Etwa zehn Milliarden Euro werden die EU, Japan, Russland, China, die USA und weitere Industrienationen allein für den gigantischen Versuchsreaktor ITER im Süden Frankreichs hinblättern müssen, der erstmals in größerem Stil Strom aus der Kernfusion erzeugen soll. Nach 2050 könnten dann erste Kraftwerke entstehen, hoffen die Forscher. Frühestens.

So könnte die Kraft der Sonne schneller sein - auf direktem Wege. Bis 2050 soll auch Solarstrom massenhaft fließen, von Europas Dächern und aus dem Wüstenkraftwerk Desertec. Womöglich sogar billiger.

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