Kernfusion:Sonnenofen unter Druck

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Baugrube mit ungewisser Zukunft: In dem Fusionsexperiment Iter stecken bereits Milliarden. (Foto: MatthieuCOLIN.com / Iter Organization)

Zeitplan und Kosten des Fusionsreaktors Iter geraten aus den Fugen. Erst 2017 könnte klar sein, wie teuer das Milliardenprojekt letztlich wird.

Von Robert Gast

Wird der Forschungsreaktor Iter noch teurer? Seit Jahren überschattet diese Frage den Bau des internationalen Kernfusionsexperiments in Südfrankreich. Die vergangene Woche sollte eigentlich Klarheit bringen. Am Donnerstag wollte Iter-Direktor Bernard Bigot einen neuen Zeit- und Kostenplan präsentieren. Der Aufsichtsrat konnte sich allerdings nur auf einen Plan für die kommenden zwei Jahre einigen. Wie es danach weitergeht, und wie teuer Iter letztlich werden soll, bleibt geheim - das Management will erst 2016 oder 2017 Genaueres bekannt geben. Ursprünglich sollte die Anlage da bereits in Betrieb sein.

Man wolle zunächst zeigen, dass man bis 2017 im Zeitrahmen bleiben könne, teilt eine Sprecherin nun mit. Außerdem suchen die Verantwortlichen nach Wegen, die Kosten zu senken. Es spricht also viel dafür, dass es um Iter noch übler steht, als bisher bekannt ist. Mittlerweile ist sicher: Die 14,5 Milliarden, die der Fusionsreaktor zuletzt kosten sollte, sind deutlich zu knapp bemessen, die zwischenzeitlich anvisierte Fertigstellung im Jahr 2020 viel zu optimistisch. Allein der Bau des riesigen Reaktorgebäudes könnte eine Milliarde Euro mehr kosten und knapp vier Jahre länger dauern als geplant, heißt es in einem aktuellen Gutachten des Bundesforschungsministeriums (BMBF), das der SZ vorliegt.

Ursprünglich sollte Iter 4,6 Milliarden kosten - nun wird es sicher mehr als das Dreifache

Der 23 000 Tonnen schwere Koloss Iter soll die Frage klären, ob sich auf der Erde Energie erzeugen lässt, so wie es im Inneren der Sonne geschieht: indem bei 150 Millionen Grad Atomkerne verschmelzen und Energie frei wird. Physiker arbeiten seit 60 Jahren daran, sehr heißes Gas mit Magnetfeldern zu bändigen. Bisher hat kein Kernfusion-Versuchsreaktor mehr Energie erzeugt, als zum Betrieb der Maschine notwendig war. Iter soll erstmals eine positive Energiebilanz haben. An seinem Bau sind neben der EU, die 45,5 Prozent der Kosten trägt, auch China, Indien, Japan, Russland, Südkorea und die USA beteiligt.

Bei der Vertragsunterzeichnung im Jahr 2006 gingen die Staaten noch davon aus, der Reaktor werde weniger als fünf Milliarden Euro kosten und 2016 fertig sein. Vor allem wegen Abstimmungsschwierigkeiten habe alles viel länger gedauert als geplant, sagen die Verantwortlichen. Die Einzelteile des Reaktors werden nicht in Frankreich gebaut, sondern in den Vertragsstaaten. Das soll sicherstellen, dass alle Nationen am Ende das Know-how für Fusionstechnik besitzen, sorgt aber offenbar immer wieder für Probleme.

Seit März ist der Franzose Bigot Chef des Projekts, er hat umfassende Reformen auf den Weg gebracht. Aber noch ist unklar, ob das Iter retten kann. Der neue Zeit- und Kostenplan gilt als Schlüsseldokument, dessen Inhalt entscheidet, ob Iter zu Ende gebaut wird - oder als Milliardengrab in die Geschichte eingeht. Die EU hat 2010 angekündigt, auf keinen Fall mehr als 6,6 Milliarden für Iter ausgeben zu wollen. Das wird nach aktuellem Stand bei Weitem nicht reichen. Ob Brüssel doch mehr Geld geben wird, ist offen.

"Die Kosten dieses unsinnigen Projektes explodieren seit Jahren, was am Ende die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler tragen", kritisiert die Grünen-Bundestagsabgeordnete Ekin Deligöz. Auch Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) ließ im Mai durchblicken, dass er sich einen Ausstieg vorstellen kann. Dagegen heißt es in dem BMBF-Bericht, die Bundesregierung unterstütze den Bau, auch wenn mit steigenden Kosten zu rechnen ist. Deutschland, das über seine EU-Beiträge etwa eine Milliarde Euro zu dem Projekt beisteuert, kann alleine nicht aussteigen: Die für Iter zuständige EU-Atomgemeinschaft Euratom müsste diesen Schritt machen. Von 2017 an ist dies theoretisch möglich.

© SZ vom 23.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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