Kernfusion:Der ewige, heiße Traum von unerschöpflicher Energie

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Ein Computerbild zeigt das erste Plasma aus der Forschungsanlage 'Wendelstein 7-X'. (Foto: Stefan Sauer/dpa)

In Greifswald versucht sich das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik an dem neuen Forschungsreaktor 'Wendelstein 7-X'. Das Experiment ist klein - aber sinnvoll.

Von Patrick Illinger

Der heißeste Ort Deutschlands lag in dieser Woche unanfechtbar in Mecklenburg-Vorpommern. In der Hansestadt Greifswald, gegenüber der örtlichen Shopping Mall mit McDonald's und Media-Markt, wurde am Mittwoch eine Spitzentemperatur von 80 Millionen Grad Celsius gemessen. Das Ganze dauerte allerdings nur eine Viertelsekunde lang und geschah, sorgfältig abgeschirmt und unter Aufsicht der Bundeskanzlerin, in einem neuartigen Forschungsreaktor, mit dem das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik die Kernfusion erprobt.

Für Physiker ist es ein weiterer Meilenstein auf einem zwar mühsamen, seit mehr als 60 Jahren beschrittenen Weg - an dessen Ende sie aber mit einer sauberen und unerschöpflichen Energiequelle rechnen. Für Kritiker ist es ein weiteres sinnloses Experiment, in einer Kette sinnloser Experimente, die seit den 1950er-Jahren unternommen werden und im Grunde nur beweisen, dass ein Sonnenfeuer auf Erden niemals beherrschbar sein wird.

Zur Erinnerung: Die Fusion ist sozusagen das Gegenteil der Kernspaltung. Statt ein schweres Nuklid wie Uran zu spalten, werden leichte Atomkerne verschmolzen, was ebenso Energie freisetzen kann. In der Praxis tut es dies ja auch: Die Sonne ist das leuchtende Beispiel dafür. In ihrem Inneren tobt seit Milliarden Jahren ein riesiger Fusionsreaktor. Ein Funken dieses Urfeuers müsste sich doch auch auf der Erde zünden lassen, meinen Anhänger der Fusionsforschung.

Ein Millionen Grad heißes Wasserstoffgas lässt sich nicht einfach in einen Behälter sperren

Doch entpuppt sich die Sache als ungeheuer komplex. Ein Millionen Grad heißes Wasserstoffgas lässt sich nicht einfach in einen Behälter sperren, dessen Wärme man dann anzapft, um Strom zu machen. Alle Versuchsreaktoren der Welt verbrauchten bislang mehr Energie, als das kurzzeitig darin entzündete Fusionsfeuer liefern kann. Eine positive Energiebilanz soll erstmals mit dem derzeit in Südfrankreich entstehenden Riesenreaktor Iter erreicht werden. Doch das finanziell völlig aus dem Ruder gelaufene Projekt bringt bislang statt eines Wasserstoffplasmas nur die Köpfe der internationalen Geldgeber zum Glühen.

Und so bietet die Fusion wunderbaren Stoff für ausgiebige Debatten: Soll man viele Milliarden Euro Steuergeld riskieren für die theoretische Möglichkeit, dass irgendwann eine vergleichsweise saubere Form nuklearer Energiegewinnung zur Verfügung steht? Dafür spricht, dass man angesichts der Begrenztheit fossiler Brennstoffe und der bekannten Probleme der klassischen Kernkraft alle Optionen ausprobieren sollte.

Dagegen spricht, dass, selbst wenn die Fusion irgendwann klappen sollte, die Kraftwerke wohl extrem komplex und riesengroß wären. Das würde die Energieversorgung auf bedenkliche Weise zentralisieren. Millionen Haushalte und Unternehmen wären von ein- und derselben Anlage abhängig, was ökonomische Risiken und Sicherheitsbedenken aufwirft.

Das Experiment ist berechtigt

Aus diesem Grund hat das vergleichsweise kleine Experiment von Greifswald durchaus einen Sinn: Dort wird, anders als in Südfrankreich, ein alternatives, geradezu bizarres Reaktordesign getestet. Man könnte es mit dem Wankelmotor vergleichen, der einst als Alternative zum üblichen Ottomotor gehandelt wurde. Sollte der "Stellarator" genannte Reaktor von Greifswald funktionieren, könnte Fusionsenergie eines Tages vielleicht doch in kompakteren Kraftwerken gewonnen werden.

Insofern ist das Experiment berechtigt. Was jedoch die Megabaustelle in Südfrankreich betrifft: Im Vergleich dazu ist der Berliner Flughafen eine Pommesbude. Fünf Milliarden Euro waren ursprünglich dafür vorgesehen. Heute ist klar, dass es weit mehr als 15 Milliarden werden. Aber wie das so ist, bei einem Projekt dieser Dimension: Wenn so viel versenkt wurde, greift keiner mehr zur Notbremse.

© SZ vom 05.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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