Kartografie:Globus der Träume

Kartografie: Der Globus misst etwa elf Zentimeter und wurde aus zwei zusammengeklebten Hälften eines Straußeneis gefertigt

Der Globus misst etwa elf Zentimeter und wurde aus zwei zusammengeklebten Hälften eines Straußeneis gefertigt

(Foto: Washington Map Society)

Ein Sammler kauft einen geheimnisvollen Globus, der aus einem Straußenei gefertigt ist. Stammt die Karte, die bereits die Neue Welt verzeichnet, aus der Werkstatt Leonardo da Vincis? Die Geschichte, die der Sammler präsentiert, klingt für Fachleute zu fantastisch, um wahr zu sein.

Von Hubert Filser

Die Geschichte beginnt auf einer Kartenmesse in London. Als Stefaan Missinne dort vor gut zwei Jahren durch die Ausstellungsräume ging, sei ihm plötzlich ein Händler hinterhergelaufen und habe ihn auf ein interessantes Objekt aufmerksam machen wollen: eine kleine Kugel, aus zwei Teilen von Straußeneiern zusammengefügt, die eine alte Ansicht der Erde zeigt. Die Meere sind dunkel, auf den fast schwarz gravierten Wellen sind vereinzelt winzige Segelschiffe mit geblähten Segeln dargestellt.

Leicht ist der Miniglobus. Es handelt sich zweifellos um ein hübsches Stück und es enthält interessante Beschriftungen in Latein. Über dem europäischen Kontinent prangt an der Stelle Deutschlands die Bezeichnung "Germania", Afrika und Südamerika sind zu erkennen; Nordamerika besteht hingegen nur aus zwei kleinen Inseln. Es könnte also ein wirklich altes Objekt sein, aus der Zeit kurz nachdem Kolumbus im Jahr 1492 Amerika - genauer: Inseln in der Karibik - für die Europäer entdeckt hatte und sich die Kunde vom neuen Kontinent allmählich in Europa verbreitete. In den Jahren danach erreichten spanische und portugiesische Seefahrer auch das heutige Brasilien und sahen erstmals die Amazonas-Mündung.

Mit der Entdeckung Amerikas tauchen die ersten Globen auf

Um 1500 entstehen deshalb viele neue Karten der Welt. Es ist auch die Zeit, in der die ersten Globen auf den Markt kommen. Der berühmte "Erdapfel" von Martin Behaim aus Nürnberg von 1492 ist der älteste noch erhaltene, er zeigt aber noch nicht die Neue Welt. Im Jahre 1507 zeichnet der deutsche Kartograf Martin Waldseemüller dann die erste Weltkarte und prägt darauf den Namen "Amerika". Von dieser Karte existiert eine weitere Variante, die erst vor Kurzem in der Münchner Staatsbibliothek wiederentdeckt wurde. Als älteste Globen mit einer Amerika-Darstellung gelten ebenfalls zwei sehr ähnliche Exemplare: der Hunt-Lenox-Globe aus der New York Public Library und der Globus Jagellonicus aus Krakau.

Beide stammen aus dem Jahr 1510. Doch Stefaan Missinne glaubt, dieser Rekord müsse neu vergeben werden. Er kaufte das Ei in London, den Preis verrät er nicht. Aber gemessen an dem, was er heute über das Stück zu wissen meint, war es wohl sehr günstig. Der hauptberuflich in der Immobilienbranche tätige Kartensammler behauptet, das Straußenei stamme aus dem Jahr 1504 und sei damit der älteste erhaltene Globus, der die Neue Welt zeigt. Damit nicht genug: Das etwa elf Zentimeter große Objekt stamme vielleicht aus der Werkstätte des italienischen Gelehrten und Künstlers Leonardo da Vinci.

Seit Juli 2012 vertritt Missinne seine These mit wachsender Dringlichkeit. Zu Hause in Wien startete er eine Spurensuche, die einen Vergleich mit den Büchern Dan Browns aufdrängt. Er spricht von seinen aktuellen Erkenntnissen als "Frontpage News". Er habe, so sagt Missinne, in Schriften da Vincis wie dem Codex Atlanticus zahlreiche Hinweise auf den Globus gefunden, "damit ließe sich ein Buch füllen". Dessen Inhalt bestünde aus raffinierter Mathematik, geheimnisvollen Codices und mysteriösen Querverweisen etwa auf den Vertrag von Tordesillas, als Spanier und Portugiesen 1494 die Neue Welt unter sich aufteilten. Er gräbt verschollen geglaubte Zeichnungen da Vincis aus, etwa von "Leda und der Schwan", auf der aus Straußeneiern Kinder schlüpfen. Das Bild stammt wohl von 1503 oder 1504, dem Jahr des vermeintlichen Globus also.

Bei seinen Versuchen die Herkunft des Eies zu belegen, stieß Missinne auf die Struzzeria des Herzogs von Mailand in Pavia. Es sei "die einzige Straußenfarm im 16. Jahrhundert, die in Frage kommt", sagt der Kartensammler. Pavia war von Florenz, wo sich da Vinci regelmäßig aufhielt, gut zu erreichen. Scheinbar fügt sich alles ins Bild. In einem Film würde sich Missinne als leidenschaftlich für seine Idee kämpfender Gelehrter gut machen. Dabei ist er kein Kunsthistoriker oder Archäologe, er hat sich in diesem Bereich bisher keine nachhaltige Reputation im Wissenschaftsbetrieb erworben. Doch als Adresse gibt er "Independent Leonardo da Vinci Research" an.

"Wollen Sie ein 500 Jahre altes Ei anbohren?"

Im vergangenen Jahr veröffentlichte er in der Zeitschrift The Portolan der Washington Map Society einen 17-seitigen Aufsatz über seinen Globus. Darin findet sich zum Beispiel eine Kurve, die das Alter des Eies bestimmen soll. Missinne hat dazu einen Computertomografen eingesetzt, um die Schalendichte punktgenau zu messen. Die Idee: Ähnlich wie ein menschlicher Knochen verliere auch ein kalkhaltiges Ei an Dichte, und zwar "0,233 Gramm pro Kubikzentimeter und Jahrhundert", behauptet der Sammler. Normiert hat er das mit Werten von zehn Straußeneiern aus verschiedenen Sammlungen, und kommt so auf das Jahr 1504. Fehlerbalken verzeichnet die abgedruckte Kurve nicht. Als Methode zur Altersbestimmung ist das Verfahren bislang nicht etabliert.

Dies sagt auch Sebastian Bock, den Missinne im Rahmen seiner Nachforschungen konsultiert hatte. "Herr Missinne wollte, dass ich ihm die vermeintliche Entdeckung bestätige", erzählt der Kunsthistoriker, der zu Straußeneiobjekten in den Schatz-, Silber- und Kunstkammern Europas habilitiert hat. "Das habe ich nicht getan." Stattdessen habe er gesagt, dass er kaum Chancen sehe, "mittels Gewicht und Größe weiterzukommen". Missinne ließ Bocks Einwand in der Veröffentlichung unberücksichtigt. Stattdessen beharrt er ohne weitere Untersuchungen auf seinen Schlussfolgerungen. Klarheit über das tatsächliche Alter des Straußeneies könnte eine Radiokarbon-Datierung bringen. Doch das ist für Missinne keine Option: "Wollen Sie ein 500 Jahre altes Ei anbohren?", sagt er entrüstet.

Selbst damals exotische Länder wie Japan, Brasilien oder Arabien bildet der Globus ab

Bei all diesen Strittigkeiten gerät möglicherweise aus dem Blickfeld, dass das Objekt tatsächlich hübsch ist. Aufgrund des natürlichen Wuchses des Eies ist die Oberfläche nicht ganz eben, aber die Erd-Anmutung ist gelungen. Selbst damals exotische Länder wie Japan, Brasilien oder Arabien sind darauf verzeichnet. Südamerika ist mit "Terra de Brazil", "Mundus novus" (neue Welt) und "Terra sanctae crucis" (Land des heiligen Kreuzes) bezeichnet. 71 solcher Begriffe lassen sich zählen. Schön ist auch ein Detail im Südosten Asiens: Dort steht der Satz "Hic sunt dracones" (hier sind die Drachen), das sich auch auf dem Hunt-Lenox-Globus findet. Das berühmte Zitat verwendete später sogar Captain Picard in der Serie "Raumschiff Enterprise", als es auf eine Reise ins Unbekannte ging. Am Äquator, wo die beiden Hälften miteinander verklebt sind, wirkt die Darstellung nicht ganz so grazil, die Übergänge sind nur grob geglättet. Doch dadurch erscheint das Objekt gleichzeitig auch authentischer.

Ein schönes Stück also, nur ob es aus dem Jahr 1504 stammt und von Leonardo da Vinci gefertigt sein könnte, ist noch nicht mit Sicherheit geklärt. Trotzdem trommelt Missinne weiter für seine Idee, hält Vorträge in Nürnberg oder jüngst in Rom, in denen er immer wieder die Bezüge zum Hunt-Lenox-Globe betont. Dieser sei eine Kopie und sein Straußenei-Globus das Original. Er führt dafür eine Reihe von Übereinstimmungen zwischen beiden Globen an. "Ein paar solcher Ähnlichkeiten reichen aber nicht aus", sagt der Straußenei-Experte Sebastian Bock. "Da müsste man sehr viele Atlanten durchgucken, um das beurteilen zu können."

Der Freiburger Kunsthistoriker hält es für ausgeschlossen, dass das Straußenei für weitere alte Erdkugeln wie den Hunt-Lenox-Globe als Vorbild gedient haben könnte. "Das ist doch die Frage nach der Henne und dem Ei. Ein Fund, der auf das Jahr 1504 datiert, in Italien gefertigt worden sein soll, von einem höchst renommierten Künstler, der auch noch Vorbild für einen Globus gewesen sein soll, fiele komplett aus der Reihe", sagt Bock. "Diese Geschichte wäre zu schön, um wahr zu sein."

Handelt es sich um eine Sensation oder um den Versuch, einen Traum zu beweisen?

Es wäre tatsächliche eine sensationelle Geschichte - besonders für den Eigentümer des Globus. Doch wer ist das im Moment? "Herr Missinne hat sich bezüglich des Erwerbs bedeckt gehalten", sagt Bock. "Es hat schon etwas sehr Sensationelles, wie die Geschichte von Herrn Missinne unters Volk gebracht wird. Wenn es darum gehen sollte, so ein Teil zu verkaufen, hat das natürlich einen Effekt." Auch der Süddeutschen Zeitung verweigert Missinne trotz mehrmaliger Nachfrage mit Verweis auf den Datenschutz die Auskunft, ob er noch Eigentümer des Globus sei. Es ist also möglich, dass er das Objekt weiterverkauft hat.

Thomas Sander, der Herausgeber des Portolan in Washington, sagt, er habe dazu keine genauen Informationen. Ein entsprechender, in vielen Publikationen üblicher Hinweis auf nicht bestehende Interessenskonflikte fehlt in der Veröffentlichung allerdings. Inhaltlich sei der Artikel von einer kleinen Gruppe der Mitglieder der Washington Map Society geprüft worden, zur Zuschreibung an da Vinci könne er aber nichts sagen. Missinnes Behauptungen dazu seien erst später gemacht worden.

Die Herkunft des Stücks ist entscheidend

"Es muss zunächst klargestellt werden, woher das Objekt kommt", betonte Chet Van Duzer von der John-Carter-Brown-Bibliothek im US-amerikanischen Providence in der Washington Post. Viele Forscher halten gerade den Herkunftsnachweis für sehr wichtig. "Das Ding hat sich nicht auf dem Dachboden einer alten Dame erhalten, es muss aus einer alten Kunstkammer oder Sammlung stammen, die im 19. oder frühen 20. Jahrhundert versteigert worden ist", vermutet Bock. Bei wirklich interessanten historischen Stücken ist die Sammelgeschichte greifbar. Er kann sich vorstellen, dass das Straußenei später gefertigt worden ist, "vielleicht im 17. oder 18. Jahrhundert für einen Sammler, der eine sehr altehrwürdige Darstellung der Welt besitzen wollte." Für ihn blieben eher Fragen als Antworten, sagt Bock.

Missinne verstärkt derweil seine Bemühungen, den Bezug zu Leonardo da Vinci herzustellen. Er veröffentlichte im Mai 2014 einen weiteren Artikel über das älteste anatomisch handgefertigte Schädelmodell (angeblich aus dem Jahr 1508 und angeblich von Leonardo da Vinci gefertigt). Behauptet, dass seine Arbeit in etablierten Kreisen Aufsehen errege und betont andere Informationen, aus denen er die Bedeutung seines Fundstückes ableitet.

Im August tauchte ein Bild des Straußenei-Globus auf der Webseite msn.com in einer Liste mit den ältesten Dingen auf, die wir heute noch nutzen. Natürlich ist das kein Beleg für die Thesen des Sammlers; doch es ist eine Hinweis, wie groß das Interesse an dem Globus sein könnte, wenn die Geschichte von Leonardo da Vinci und seiner Darstellung der Welt stimmte. Die phantastische Geschichte des Globus wird weitergehen, und die Frage ist, wer am Ende am meisten profitiert.

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