Kampf gegen Ungeziefer:Gleichgewicht des Schreckens

Bettwanzen, Kakerlaken, Krätzmilben - zwischen Kammerjägern und Ungeziefer findet ein ständiges Wettrüsten statt. Einen Sieger wird es nicht geben.

Daniel Lingenhöhl

Die Schwarzkopfameisen reisten aus Brasilien nach Berlin. Die Insekten steckten in Töpfen mit Orchideen, die sich ein Sammler direkt aus Südamerika senden ließ. In Deutschland krabbelten die Ameisen aus den Paketen, verteilten sich in der Wohnung des Sammlers und kolonisierten dann über die Versorgungsschächte das ganze Haus. Nur mit Mühe konnten die Kammerjäger das Gebäude von den Eindringlingen befreien.

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In den 1980er Jahren habe man es nur selten mit Bettwanzen zu tun gehabt - seit diesem Jahrtausend gehörten Einsätze gegen die Blutsauger hingegen zur Tagesroutine.

(Foto: AFP/American Museum of Natural History, New York)

Die tropischen Ameisen sind nur ein Beispiel für die wachsende Zahl von exotischen Gegnern der Ungezieferbekämpfung. Durch die Globalisierung des Handels, Massentourismus und Klimawandel dringen immer häufiger Schädlinge in deutsche Haushalte ein, die dort zuvor allenfalls aus Tierdokumentationen im Fernsehen bekannt waren. Die Exoten sind ein Teil des ständigen Wettrüstens zwischen Ungeziefer und Mensch - denn auch alte Arten kehren zurück und fordern Kammerjäger heraus.

In Hamburger Pflegeheimen tauchen Krätzmilben auf, in hessischen Wohnungen und Bäckereien krabbeln Kakerlaken. "Die Zahl der Schädlinge nimmt eindeutig zu", sagt Jürgen Althoff von der Hamburger Schädlingsbekämpfungsfirma Rentokil.

In den 1980er Jahren habe man es nur selten mit Bettwanzen zu tun gehabt - seit diesem Jahrtausend gehörten Einsätze gegen die Blutsauger hingegen zur Tagesroutine. "Bettwanzen werden häufig aus fremden Ländern eingeschleppt", sagt Rainer Gsell vom Deutschen Schädlingsbekämpfer-Verband in Essen.

Zu Hause dauert es drei bis vier Wochen, bis es zum Ausbruch der Plage kommt - so lange brauchen die Tiere, bis sie sich ausreichend stark vermehrt haben.

Ähnliches gilt für Läuse und Krätzmilben: Sie sind ebenfalls oft ein unerwünschtes Mitbringsel. "Gerade nach den Ferien werden Läusemittel nachgefragt - im Sommer wie im Winter. Das spricht für einen hohen Anteil an importierten Infektionen aus den Urlaubsorten", sagt der Parasitologe Patrick Scheid von der Universität Konstanz.

Auch mit importiertem Obst, Holzpaletten oder Zierpflanzen gelangen immer wieder lästige Krabbeltiere wie Schwarzkopf- oder Pharaoameisen in die Bundesrepublik.

Einmal hier angekommen, nisten sich die Tiere gerne in engen Wohnungen, Krankenhäusern oder Gemeinschaftseinrichtungen wie Schulen und Altenheimen ein. Dort kommen nicht nur viele Menschen zusammen, es stimmt auch das Raumklima:

Viele der Schädlinge gedeihen unter feuchtwarmen Bedingungen und nutzen die Heizungsschächte, um sich im Gebäude auszubreiten. Im Fall exotischer Ameisen stellt das ihre Gegner vor größere Schwierigkeiten: "Sie erzeugen sehr viele Königinnen, die sich rasch auf neue Kolonien verteilen. Und da sie im Verborgenen leben, lassen sie sich nur extrem schwer bekämpfen", sagt Althoff.

Gegenwehr ist nötig

Doch Gegenwehr ist nötig. "Schaben können durch Verschleppung oder Kot die Erreger gefährlicher Krankheiten übertragen, was sie insbesondere in befallenen Krankenhäusern gefährlich macht. Pharaoameisen dringen sogar unter Wundverbände vor", sagt Scheid.

Mit einem ganzen Arsenal an Tricks und Gegenmitteln rücken ihnen deshalb die Kammerjäger zu Leibe - und werden oft von ihren Auftraggebern gebremst: Schädlinge sind auch deshalb auf dem Vormarsch, weil ein großer Teil der Bevölkerung Pestizide mehr fürchtet als die Plagen selbst. Viele Betroffene bestehen darauf, statt Gift andere Verfahren einzusetzen. Diese sind jedoch oft weniger zuverlässig und bedeuten einen größeren Aufwand für die Kammerjäger - wie etwa die Erhitzung ganzer Wohnungen auf 55 Grad Celsius.

Viele Bedenken gegen chemische Mittel seien unbegründet, meint der Biologe Althoff: "Die heutigen Bekämpfungsmittel sind mit alten Pestiziden wie DDT oder Lindan nicht vergleichbar." Die eingesetzten Chemikalien wirken mittlerweile spezifisch und sind biologisch abbaubar. Anstatt wie früher ganze Häuser mit DDT einzunebeln, gehen die Kammerjäger mittlerweile gezielt vor: "Gegen Bettwanzen haben wir ein Kombinationsverfahren entwickelt, das sowohl auf Wärmelampen als auch auf Austreibemittel baut. Damit vernichten wir selbst die am besten versteckten Nester mit Eiern", sagt Althoff.

Die Bekämpfer müssen außerdem zuerst mit der am wenigsten giftigen Substanz vorgehen, um das Risiko von Nebenwirkungen weiter zu verringern - in hartnäckigen Fällen kann es dann allerdings passieren, dass sie drei oder vier Mal anrücken müssen, um die Plage zu tilgen.

Resistenzen gegen die Insektizide fürchten Fachleute selbst bei wiederholter Anwendung nicht. "Wir können hierzulande auf sehr viele Mittel zurückgreifen, die wir abwechselnd ausbringen, um Gewöhnungseffekte zu vermeiden", sagt Gsell.

Problematischer sieht es hingegen bei Ratten und Mäusen aus, bei denen viele Substanzen bereits wirkungslos sind. Und die Nagetiere bereiten ihren Gegenspielern noch auf einem anderen Gebiet Kopfzerbrechen. "Mäuse zeigen zunehmend eine Verhaltensresistenz", sagt Althoff. Diese wurde zuerst im englischen Birmingham beobachtet, wo Hausmäuse lange auf die gleiche Art bekämpft worden waren: Die örtlichen Kammerjäger boten den Nagern die Giftköder in kleinen Boxen an, was anfänglich erfolgversprechend verlief - doch die Mäusegegner züchteten so einen Stamm heran, der nicht mehr auf den alten Trick hereinfiel und die Boxen mied.

"Die Qualität eines Bekämpfungsmittels entscheidet nur zu einem Fünftel über den Erfolg einer Maßnahme - der Rest hängt von der Strategie ab", folgt daraus für Althoff.

Kritisch sehen er und seine Kollegen die Biozid-Verordnung der Europäischen Union aus dem Jahr 1998: "Der Wegfall von Wirkstoffen durch diese Regelung kann uns noch Probleme bereiten, denn neue Substanzen benötigen eine lange Entwicklungszeit", sagt Biologe Udo Sellenschlo vom Institut für Hygiene und Umwelt in Hamburg - eine Zeit, die Schädlinge zu ihren Gunsten nutzen könnten.

Äußerst raffinierte Gegenmittel

Neue Verfahren wie Anti-Sex-Pheromone gegen Bettwanzen oder die massenhafte gentechnische Sterilisierung der Tiere sind hingegen noch Zukunftsmusik. Ob sie sich jemals auf breiter Basis einsetzen lassen, bezweifelt Althoff: "Wenn man Massen an sterilisierten Männchen freilässt, kann man die Populationen von Mücken oder Tsetsefliegen durchaus verringern. Bei Bettwanzen wird dies aber nie funktionieren: Das ist völlig illusorisch, denn sie leben in voneinander unabhängigen Kolonien, die sich keinesfalls so eindämmen lassen."

Ohnehin sind die bereits vorhandenen Gegenmittel äußerst raffiniert, wie das Beispiel der Pharaoameise zeigt: Die Kammerjäger haben die Plage eingedämmt, indem sie verschiedene langsam wirkende Gifte kombinierten. Die Tiere transportierten die so präparierten Köder ins Nest und verfütterten sie ans Volk. "Die zeitverzögerte Wirkung sorgte dafür, dass tatsächlich die gesamte Kolonie mit der fortpflanzungsfähigen Königin zerstört wurde", sagt Althoff. Heute spielen die Sechsbeiner kaum mehr eine Rolle unter den hiesigen Schädlingen.

Doch auch dies war sicher nur ein Etappensieg. Ständig tauchen neue potentielle Problemfälle auf, wie eine Beobachtung von Udo Sellenschlo zeigt. Der Biologe musste neulich eine unbekannte Ameise begutachten, die mit exotischen Früchten eingeschleppt worden war. "Ob sie sich in Supermärkten festsetzen kann, wird sich zeigen", sagt Sellenschlo.

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