Kambodscha:Metropolen unter dem Dschungel

Mit Laser-Messungen haben Archäologen in der Umgebung der Tempelanlage von Angkor Wat die Reste riesiger Stadtgebiete entdeckt.

Von Hubert Filser

Mitten in den Wäldern bei Angkor Wat kann man auf Elefanten treffen. Es sind keine lebenden, sondern steinerne Riesen wie aus einer anderen Zeit. Wuchernde Moose und Flechten lassen die Tiere lebendig erscheinen. Einer sieht aus, als hätte er sich müde auf den Waldboden gesetzt.

Jüngst ist die jahrhundertelange Ruhe der Steinriesen ein wenig gestört worden. Helikopter sind über sie hinweggeflogen und haben die gesamte Gegend mit Laserstrahlen abgetastet. Die Region um Angkor erlebte im vergangenen Jahr im Rahmen der "Cambodian Archaeological Lidar Initiative" (Cali) die größte Vermessungsaktion der Archäologiegeschichte. Es war eine Suche nach untergegangenen, vom Dschungel überwucherten Orten.

Die gesamte Landschaft ist künstlich von Menschen angelegt worden

Forscher um Damian Evans von der École française d'Extreme-Orient in Paris haben nun ihre sensationellen Ergebnisse veröffentlicht: Sie haben nahe der berühmten Tempelanlage Angkor Wat die Überreste gigantischer Städte entdeckt. Die gesamte Landschaft rund um Angkor ist offenbar von Menschen künstlich angelegt worden, eine Fläche so groß wie das heutige Berlin. Es sind die größten bekannten Siedlungen der vorindustriellen Zeit. "Wir haben ganze Städte unter den Wäldern entdeckt, von denen bisher niemand wusste, dass sie dort sind", sagte Evans. Seine Ergebnisse stellte der australische Archäologe am gestrigen Montag zeitgleich im Journal of Archaeological Science und einem Vortrag in der Royal Geographical Society in London vor.

Angkor Wat Complex

Der Baum als Schutz: Bauwerk in Ta Prohm.

(Foto: Kike Calvo/AP)

Die Archäologen wussten schon länger, dass sich unter den Waldböden zahlreiche Spuren der alten Khmer-Städte finden würden, in denen einst fast eine Million Menschen lebten. Es waren mittelalterliche Metropolen gigantischen Ausmaßes, aus der Zeit zwischen dem 9. und 15. Jahrhundert. Danach verschwand das mächtige Weltreich, das weite Teile Südostasiens von Myanmar bis Vietnam beherrscht hatte - aus noch ungeklärten Gründen.

In Hubschraubern flogen die Forscher mit ihren Geräten in 800 Metern Höhe über den endlosen Dschungel, stundenlang entlang vorgegebener Raster. 1901 Quadratkilometer Fläche zu erfassen ist eine monotone Fleißarbeit. Der von den Wissenschaftlern benutzte Lidar, eine Art Lichtradar, feuert dabei 16 Laserpulse pro Quadratmeter ab, die die dichte Vegetation durchdringen können und vom Boden reflektiert werden. Aus den gemessenen Reflexionen lässt sich ein exaktes 3-D-Profil der Landschaft erstellen. Die Technologie wird mittlerweile öfter angewendet, um große, schwer zugängliche Gebiete aus der Luft abzutasten, das passierte rund um die Kultanlagen um Stonehenge genauso wie im mexikanischen Bundesstaat Chiapas, wo Forscher die Olmeken-Stadt Izapa entdeckten, mit 10 000 Einwohnern eine der größten Städte der vorchristlichen Zeit.

In Kambodscha enthüllten die luftgestützten Laser neben mysteriösen, geometrischen Strukturen auch ein weites Netzwerk von Straßen und Kanälen, die zahlreiche antike Städte der Umgebung mit dem grandiosen Tempelkomplex von Angkor Wat verbanden, dem größten religiösen Bauwerk der Welt. "Unsere Geräte zeigen eine komplexe Stadtlandschaft in erstaunlicher Klarheit", sagt Evans. Von Angkor Wat führte offenbar eine kilometerlange Straße über die auf dem nahegelegenen Plateau Phnom Kulen gelegene Großstadt Mahendraparvata bis zur bis dahin völlig unbekannten Stadt Preah Khan in der Provinz Kampong Svay. Die gigantische Ausdehnung überrascht die Archäologen.

Kambodscha: SZ-Karte

SZ-Karte

In Preah Khan fanden sie Hinweise auf Brennöfen für das Schmelzen von Eisen, im Luftbild sind es starke Signale, die Öfen sind meist von kleinen Teichen umgeben. Die Forscher vermuten, dass es sich dabei um ehemalige Eisenminen handelt, die man mit Wasser geflutet hat. Preah Khan könnte eine große Rolle gespielt haben, die Hauptstadt Angkor mit dem wichtigen Eisen zu versorgen, sagt Mitch Hendrickson von der Universität von Illinois, der ebenfalls am Cali-Projekt mitarbeitet.

Nachdem die Archäologen erste Daten ausgewertet hatten, begannen sie mit Testgrabungen, etwa dem Two Buddhist Towers Project (TBT) in Preah Khan. Dort hatten die Forscher einen Tempel aufgespürt, geschützt durch Dämme und umgeben von Wasserbecken. Manche der Anlagen sind offenbar älter als die von Angkor. Bislang dachte man, das ausgeklügelte Wassersystem sei dort erfunden worden.

Doch offenbar begannen die Khmer-Ingenieure schon im 9. Jahrhundert, die Wasserversorgung zu etablieren und das Wasser vom Berg Phnom Kulen und anderen umliegenden Bergen zu kontrollieren. 90 Prozent des Wassers kamen einst während der Monsunzeit vom Himmel, sie wurden in riesigen Becken aufgefangen. Dämme schützten gleichzeitig die Häuser und Tempel vor Überflutung. Die Menschen nutzten dann während des restlichen Jahres das Wasser aus den großen Reservoirs. Das war letztlich die Basis dafür, dass man fernab der Küsten eine derart große und mächtige Königsstadt bauen konnte.

Wie ausgeklügelt das System war, verraten die neuen Karten. Es ist ein Netzwerk aus Dämmen, erhöhten, oft schnurgeraden Straßen und parallel laufenden Kanälen, Teichen und Staubecken. Sie sind Belege einer hoch entwickelten Ingenieurskunst. Eines zeigen die Kartierungen ganz klar: Es ging um die Kontrolle des Wassers. Nur so konnte man die Menschen in der Millionenmetropole Angkor versorgen.

Möglicherweise erklären die neuen Ergebnisse nun auch, wie das mächtige Königreich der Khmer einst untergegangen ist. Die neuen Untersuchungen liefern keine Hinweise auf eine feindliche Invasion, keine Spuren massiver Zerstörung. Das lässt eher vermuten, dass die Khmer die Kontrolle über das Wasser verloren hatten, ihre entscheidende Ressource. Auslöser war womöglich ein globaler Klimawandel, der auch in Europa spürbar war und dort im Mittelalter die Kleine Eiszeit brachte. Forscher konnten mittlerweile anhand von Baumringen auch in Kambodscha zahlreiche Dürrekatastrophen am Ende des 14. und Anfang des 15. Jahrhundert belegen. Der Monsun war in diesen Jahren wohl schwach und zu spät, was sich im Wachstum der Bäume spiegelt. Dazwischen gab es offenbar Mega-Monsune, die die Anlagen von Angkor überforderten. Es könnte einem möglicherweise bereits geschwächten Königreich den Todesstoß versetzt haben, von dem nur noch die Tempel von Angkor zeugen, und die Elefanten im Wald.

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