Kalifornien:Forschung steht Kopf

Der Fund des ältesten Homo-Sapiens-Schädels belebt die Abstammungsdebatte.

Christopher Schrader

(SZ vom 12.6.2003) - Der 27.November 1997 war ein guter Tag für Tim White. Das Team des kalifornischen Professors grub in der Nähe von Herto, im Tal des Awash-Flusses in Äthiopien, nach menschlichen Fossilien und fand zwei fast vollständig erhaltene Schädel.

Sechs Tage später entdeckten die Forscher sogar noch einen dritten, den Wind und Wetter freigelegt hatten. Er war kleiner und in 200 Fragmente zerbrochen - vielleicht von einem siebenjährigen Kind. Die drei Köpfe, schreibt White nach fünf Jahren Auswertung heute im Fachblatt Nature, stehen für den ältesten gesicherten direkten Vorfahren der Menschheit, den ältesten Homo sapiens.

In die Diskussion darüber, wie die Menschheit wurde, was sie heute ist, gerät durch den Fund neue Bewegung. Viele Anthropologen behaupten, der Mensch sei nicht nur in Afrika entstanden. Dort habe eine kleine Gruppe auch alle archaischen Züge verloren, bevor sie sich aufmachte, die Welt zu erobern. Ihre entfernten Verwandten, die Afrika schon vorher verlassen hatten, hätten sie dabei verdrängt: die Neandertaler in Europa und den Homo erectus in Asien.

Auch White sieht das so und untermauert die These mit seinem Fund. Die drei Schädel sind etwa 160.000 Jahre alt, also gut 40.000 Jahre älter als der bisherige Rekordhalter unter den Homo sapiens, der in Israel gefunden wurde. Die Form der Knochen zeigt viele, aber nicht alle Merkmale des modernen Menschen. Darum hat der kalifornische Forscher seinen Fund Homo sapiens idaltu genannt (das Wort stammt aus einer ostafrikanischen Sprache) - der heutige Mensch heißt Homo sapiens sapiens.

Die Anatomie des neuen Fundes ist "entschieden anders" als beim Neandertaler, schreibt White und schließt damit aus, dass jener einen "signifikanten Beitrag zur Abstammung des modernen Menschen geleistet hat".

Über die Lebensweise des Homo sapiens idaltu wissen die Forscher nur wenig: Er lebte offenbar am Rande eines großen Sees und jagte dort Nilpferde und Kühe. Und er zog seinen Toten die Haut vom Kopf. Die drei gefundenen Schädel weisen nämlich Schnitte und Spuren von Schabern auf. Manche Knochen waren sogar poliert, womöglich durch häufiges Anfassen. Diese Praxis, vermutet White, zeuge nicht von Kannibalismus, sondern von Begräbnisriten.

Füge man den neuen Frühmenschen in einen Stammbaum, dann sitze er an einer entscheidenden Stelle, sagt Chris Stringer vom Natural History Museum in London: Er gehörte zu einer kleinen Gruppe, von der die gesamte heutige Menschheit abstammt. Wie vor kurzem Genetiker aus Moskau und Kalifornien errechnet haben, könnte diese Gruppe sogar gefährlich klein gewesen sein: Jede Katastrophe hätte Homo sapiens damals auslöschen können.

Die Forscher haben das Erbgut von 52Volksgruppen nach charakteristischen Merkmalen untersucht, aus denen sich die Abstammung zurückrechnen lässt. Demnach haben sich alle Vorfahren der Menschheit vor 70.000 bis 140.000 Jahren in Afrika von einer größeren Gruppe abgespalten. Sie waren Jäger und Sammler, später auch Ackerbauern, aber sie waren ziemlich wenige: Kinder bekamen zunächst nur etwa 2600 von ihnen; bei der Gruppe, die später Europa und Asien bevölkern sollte, waren es sogar nur 1800.

Ein Vulkanausbruch mit Folgen für das Klima oder eine Epidemie - und die Welt würde heute vom Homo sapiens neandertalensis beherrscht.

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