Juckreiz-Forschung:Teufelskreis des Kratzens

Wenn es am Rücken juckt, sind viele versucht, zu kratzen. Allerdings verstärkt das den Juckreiz häufig noch. Forscher haben nun ermittelt, woran das liegt.

Von Marlene Weiß

Das Video, das die Forschergruppe aus China und den USA zu ihrem Artikel mitliefert, ist schwer zu ertragen. Erst sieht die Maus noch ganz zufrieden aus. Dann geht es los: Linkes Bein. Rechtes Bein. Beide Pfoten. Wieder rechtes Bein. Das arme Tier muss sich unentwegt kratzen, und schon beim Zusehen juckt es.

Nun hat diese Maus noch vergleichsweise Glück gehabt; sie bekam lediglich einen Stoff gespritzt, der eine Zeit lang einen Juckreiz auslöst. Im Dienste der Forschung müssen Labormäuse oft viel Schlimmeres ertragen. Aber direkt angenehm ist so ein hartnäckiger Juckreiz ist auch nicht gerade, und das Kratzen, das kennt fast jeder aus Erfahrung, macht es nicht besser, sondern schlimmer (wobei nicht Kratzen meist auch keine Lösung ist). Warum das so ist, wusste man jedoch bislang nicht. Mit ihrem Mäuseversuch haben die Wissenschaftler um Zhou-Feng Chen nun gezeigt, woran es liegen könnte: Falls sich die Ergebnisse auf den Menschen übertragen lassen, ist ein hormoneller Teufelskreis schuld, schreibt das Team im Fachjournal Neuron.

Juckreiz-Forschung: Auch Tiere plagt der Juckreiz, sie wissen sich aber meist kreativ zu helfen.

Auch Tiere plagt der Juckreiz, sie wissen sich aber meist kreativ zu helfen.

(Foto: Tambako / Flickr / CC-by-ND)

Wenn es um Juckreiz geht, dürfte Chen sich auskennen, er ist Direktor des Zentrums für Juckreiz-Studien an der University of Washington. "Der Sinn vom Kratzen ist, dass es den Juckreiz mit einem leichten Schmerz überdeckt", sagte Chen laut einer Mitteilung der Universität. "Aber das funktioniert nicht besonders gut, also muss man sich stärker kratzen." Der Schmerz wird heftiger, vorübergehend hilft das. Aber auf Schmerzreize reagiert das Gehirn, indem es Serotonin ausschüttet, ein Botenstoff, der im Herz-Kreislauf-System eine wichtige Rolle spielt und hilft, Schmerz zu verarbeiten.

Mehr Schmerz, mehr Serotonin, mehr Juckreiz

Dummerweise hat der noch eine weitere Wirkung, die in diesem Fall absolut kontraproduktiv ist, wie die Wissenschaftler nun festgestellt haben: "Das Serotonin kann den Juckreiz schlimmer machen", so Chen. Und so geht es alles wieder von vorne los: Mehr Juckreiz, mehr Kratzen, mehr Schmerz, mehr Serotonin, mehr Juckreiz. Schuld daran ist eine Kombination von zwei bestimmten Rezeptoren, an denen das Serotonin andockt und das Jucken verstärkt. Einer der beiden, der sogenannte GRPR-Rezeptor, ist schon aus einer früheren Arbeit bekannt als zuständig für Juckreiz. Der andere, 5HT1A, kommt erst bei Serotonin-Ausschüttung ins Spiel.

Getestet haben das die Forscher an Mäusen, die kein Serotonin produzierten - sie kratzten sich weit weniger, wenn sie eine Juck-Substanz gespritzt bekamen. Bekamen sie zusätzlich Serotonin, kratzten sie sich ebenso viel wie ihre normalen Artgenossen. Auch Mäuse, bei denen der eine oder der andere der beiden Rezeptoren ausgeschaltet wurde, litten weniger unter Juckreiz. Erst beide zusammen machen die fatale Wirkung von Serotonin möglich.

Das ist auch der Ansatzpunkt, in den die Forscher ihre Hoffnungen für die Behandlung von chronischem Juckreiz stecken - vorausgesetzt jedenfalls, der Mechanismus ist beim Menschen der gleiche. Es wäre sehr unvernünftig, das Serotonin zu hemmen, dafür hat es viel zu viele wichtige Funktionen im Körper. Das Zusammenspiel der beiden Rezeptoren dagegen könnte sich schon eher stören lassen. Sollte das irgendwann funktionieren, können Patienten womöglich eine ganz neue Erfahrung machen: Dass nämlich Kratzen doch einmal Erleichterung bringt.

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