Japan: Kernschmelze und atomarer GAU:Das China-Syndrom - vom Albtraum im Film zur Realität?

Vor drei Jahrzehnten spielte ein Hollywood-Film mit Jane Fonda und Michael Douglas das Szenario einer Kernschmelze durch: Wie realistisch ist diese Vorstellung vom Super-GAU?

M. C. Schulte von Drach

Sie haben nur die heimlich gefilmte Aufnahme eines mit panischen Wissenschaflern gefüllten Kontrollraums eines Atomkraftwerks. Doch den Experten, die die beiden Journalisten Kimberly Wells und Richard Adams dann zu Rate ziehen, sind die Bilder genug, um einen furchtbaren Verdacht zu äußern."Ich bin nicht sicher, aber sie könnten sich kurz vor der Freilegung des Kerns befunden haben", erklären ihnen die Fachleute. "Wenn das wahr ist, dann waren sie sehr dicht am China-Syndrom."

Japan: Kernschmelze und atomarer GAU: Jane Fonda in dem Film Das China-Syndrom. Als Reporterin erlebt sie gemeinsam mit ihrem Kameramann - gespielt von Michael Douglas - einen Störfall in einem AKW, und erfährt, was der Begriff "China-Syndrom" bedeutet.

Jane Fonda in dem Film Das China-Syndrom. Als Reporterin erlebt sie gemeinsam mit ihrem Kameramann - gespielt von Michael Douglas - einen Störfall in einem AKW, und erfährt, was der Begriff "China-Syndrom" bedeutet.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Das China-Syndrom: Die beschrieben Szene stammt aus dem gleichnamigen Hollywood-Film aus dem Jahre 1979 mit Jane Fonda und Michael Douglas. Die Bezeichnung rührt von der Vorstellung her, dass sich der geschmolzene Reaktorkern eines Kernkraftwerks durch die Erdkruste brennen und angeblich auf der anderen Seite der Erde, von den USA aus gesehen in China, wieder herauskommen würde.

Während Amerika in dem Film einem Super-GAU in einem fiktiven Kernkraftwerk gerade noch entging, kam es keine zwei Wochen nach dem Kinostart in den Vereinigten Staaten, am 28. März 1979, zu einer teilweisen Kernschmelze im Kernkraftwerk Three Mile Island bei Harrisburg, Pennsylvania. Menschliches Versagen führte zu Problemen mit der Kühlung, der Reaktor schaltete sich ab, doch die Nachzerfallswärme führte dazu, dass ein Teil des Reaktorkerns schmolz. Der reale GAU war eingetreten. Vor dem Hintergrund der Annahme der Reaktorbetreiber, dass eine Kernschmelze überhaupt nicht eintreten würde, war es sogar ein Super-GAU. Und auf jeden Fall ein Albtraum.

Eine ähnlich albtraumhafte Situation herrscht nun in Japan. In den Reaktoren 1, 2 und 3 des Atomkraftwerks Fukushima-1 besteht aufgrund der ausgefallenen Kühlsysteme die Gefahr von Kernschmelzen - möglicherweise ist es bereits zu einer teilweisen Schmelze gekommen. Das bedeutet, die Brennelemente haben sich trotz der Abschaltung des Reaktors aufgrund der sogenannten Nachzerfallswärme so stark erhitzt, dass sie sich in einen heißen Brei verwandeln.

Um diesen Prozess aufzuhalten, werden die Brennstäbe mit Meerwasser gekühlt. Greift diese Maßnahme nicht, besteht die Gefahr, dass die geschmolzene Masse der Brennelemente sich innerhalb einer Woche zuerst durch den Boden des Reaktordruckbehälters aus Spezialstahl, dann durch den Boden des sogenannten Containments - meist Stahlbeton - und schließlich durch die Gebäudehülle brennt.

Glutflüssiger Brei aus Spaltmaterial und Metall

Wie Lothar Hahn, der frühere Geschäftsführer der Gesellschaft für Reaktorsicherheit erklärte, ist unklar, womit man den geschmolzenen Kern kühlen könnte."So weit sind die Analysen eines solchen Störfalls nie getrieben worden", sagte er der Süddeutschen Zeitung. Wie tief sich der glutflüssige Brei aus Spaltmaterial und Metall dann in die Erde hineinfrisst, hängt von verschiedenen Faktoren ab und lässt sich nicht vorhersagen.

Wie die Reporter in dem Film Das China-Syndrom allerdings bereits erfahren hatten, frisst der Kern sich nicht wirklich durch die Erdkruste und kommt auf der anderen Seite - im Fall von Japan wäre dies vor der Ostküste Südamerikas - heraus. Vielmehr dürfte es in der Realität zu einer Explosion kommen, wenn der extrem heiße Brei in die Erde unter der Atomanlage eindringen und mit Grundwasser in Berührung kommt. Denn beim direkten Kontakt mit Wasser entsteht sofort Wasserdampf. Je nach Menge kann es zu mehr oder weniger großen Explosionen kommen, bei denen dann radioaktives Material in die Atmosphäre freigesetzt würde.

Wasserstoff, der bei der großen Hitze aus dem restlichen Kühlwasser entstanden sein dürfte, könnte eine solche Explosion durch den Knallgaseffekt noch verstärken. Von der Stärke der Explosion und den Wetterbedingungen hängt dann ab, ob nur die nähere Umgebung verseucht wird, oder ob strahlendes Material in weit entfernte Gegenden gelangt und dort als radioaktiver Fallout herunterkommt. Auf jeden Fall aber werden der Boden in der Umgebung und das nicht verdampfte Grundwasser kontaminiert. Irgendwann hat der Kern in der Erde schließlich so viel Energie abgegeben, dass er erstarrt.

Noch besteht Hoffnung, dass es den Japanern geht wie den Amerikanern vor mehr als dreißig Jahren. Fünf Tage dauerte die Krise - dann hatte sich der Reaktorkern stabilisiert, das Stahl-Containment hatte gehalten, die Sicherheitsvorrichtungen den Super-GAU beendet.

Harrisburg: Offiziell gibt es keine Todesfälle

Drei Jahre später belegten Bilder einer Roboterkamera, dass etwa fünfzig Prozent des Kerns geschmolzen oder zerstört waren. Die USA waren einer Katastrophe knapp entgangen. Bis heute ist allerdings nicht klar, wie stark die Menschen in der Umgebung des Kraftwerks unter der freigewordenen Radioaktivität gelitten haben. Offiziell gibt es keine Todesfälle im Zusammenhang mit dem Vorfall.

Beschwerden aus der Bevölkerung führten zu mehreren Untersuchungen der Krebshäufigkeit in der Region - mit unklaren und umstrittenen Ergebnissen. So berichtete der Arzt Ernest Sternglass von einer erhöhten Säuglingssterblichkeit - die vom Gesundheitsministerium von Pennsylvania nicht bestätigt wurde. Auch Untersuchungen mehrerer Universitäten zur Krebshäufigkeit in der Region fanden keine eindeutigen Zusammenhänge mit dem Super-GAU.

Anders verlief es bei dem Super-GAU 1986 in der heutigen Ukraine, wo es im Block 4 des Kernkraftwerks Tschernobyl zu einer unkontrollierten Kettenreaktion kam. Im Gegensatz zu Fukushima-1 hatte sich der Reaktor nicht abgeschaltet, sondern befand sich in Betrieb, als er explodierte.

Während auf der sogenannten INES-Skala der Störfälle in Atomkraftwerken Tschernobyl als Unfall der höchsten Stufe 7 (Schwerwiegender Unfall) eingeordnet wurde, erreichte der Vorfall von Three Mile Island die Stufe 5 (Unfall mit weitergehenden Konsequenzen). Die Ereignisse in Fukushima-1 wurden von der Internationalen Atomenergiebehörde bislang lediglich der Stufe 4 zugeordnet (Unfall mit lokalen Konsequenzen.). Ob dies noch lange gerechtfertigt sein wird, ist fraglich.

Zur Kernschmelze in einem Reaktor ist es bereits mehrfach gekommen - allerdings meist ohne weitergehende bekannte Folgen. So führte der Ausfall der Kühlung im Versuchsatomreaktor Lucens in der Schweiz 1969 zu einer teilweisen Kernschmelze. Die austretende Radioaktivität beschränkte sich offenbar weitgehend auf die unterirdische Anlage selbst.

1977 kam es im AKW Jaslovské Bohunice in der damaligen Tschechoslowakei zur Schmelze von Brennelementen, 1980 ereignete sich ein ähnlicher Vorfall der Stufe 4 im französischen AKW Saint-Laurent. In beiden Fällen wurden offenbar die Reaktorgebäude kontaminiert und Radioaktivität in die Umwelt freigesetzt. Wie viel, ist unklar. Alles in allem jedoch: auch diese Vorfälle waren Albträume, die von der Realität eingeholt wurden.

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