James Bond in der Wissenschaft:Forschungsgegenstand 007

James Bond

Insignien eines Superagenten: Die Pistole blieb, die Zigarette verschwand.

(Foto: Twentieth Century Fox)

Mit fast absurder Akribie haben Forscher den Tabakkonsum in den James-Bond-Filmen zusammengezählt. Es ist nicht die einzige Arbeit dieser Art.

Von Patrick Illinger

Sogar beim Drachenfliegen. Sogar während er im Kampf gegen niederträchtige Finsterlinge waghalsig durch die Luft gleitet, ist Geheimagent 007 mit einer Zigarette gesehen worden. 19,3 Minuten dauerte es in den 1960er Jahren durchschnittlich, bis sich James Bond, seinerzeit dargestellt von Sean Connery, die erste Zigarette ansteckte. In fast jedem Film wurde seither geraucht, wenngleich mit klar abnehmender Tendenz. Seit 2002 kommt James Bond ganz ohne Tabak aus. Was aber nicht heißt, dass seine Gesundheit damit gerettet wäre: Noch immer ist er dem Zigarettenrauch schmauchender Mitstreiter(innen) ausgesetzt, so zum Beispiel beim Bardialog mit der schönen Sévérine in Skyfall (2012). Bond ist zumindest noch Passivraucher.

Mit ins Absurde reichender Akribie haben Wissenschaftler der Universität von Otago in Neuseeland soeben die zwei Dutzend James-Bond-Filme seit 1962 nach Rauchwaren aller Art durchforstet. Zigaretten oder Zigarren, so ihr Fazit, gehörten fast immer zur Ausstattung - wenn auch mit abnehmender Häufigkeit. Bond sei in dieser Hinsicht kein gutes Signal. Allein die Raucherszenen im jüngsten Film Spectre (2015) hätten hochgerechnet auf die Zahl der Zuschauer 261 Millionen "Tabakeindrücke" bei US-Jugendlichen hinterlassen, mahnen die Gesundheitsexperten in der Zeitschrift Tobacco Control.

Damit ist James Bond erneut zum Forschungsobjekt geworden. Die aktuelle Studie zum Rauchverhalten ist die jüngste einer seit Jahren anhaltenden Flut akademischer Publikationen rund um den Pop-Mythos. Die Physik seiner Stunts, die Plausibilität seiner Gadgets, die Psychologie, die Gleichberechtigung und selbstverständlich das Trinkverhalten wurden in den vergangenen Jahren ausgiebig erkundet und bewertet. James Bond fasziniert Wissenschaftler ähnlich wie sein Kinopublikum. Und viele Wissenschaftler nutzen die Bekanntheit des Agenten, um Forschung in die Öffentlichkeit zu bringen.

Immerhin erkennen auch die Tabakexperten ironische Komponenten rund um Bond und die Zigaretten. Sie verweisen auf Szenen wie in Leben und sterben lassen, in der Roger Moore Warnhinweisen auf Packungen zustimmt, nachdem er in einer Zigarettenschachten Patronen entdeckt. Ein andermal nutzt Bond eine Zigarette mit eingebautem Raketenwerfer als Waffe ("Diese Zigarette kann Leben retten"). Der einzige Nichtraucherfilm war der 2006 erschienene Casino Royale .

Eigentlich ein Wunder, dass nicht Glücksspielforscher diesen Film aufs Korn genommen haben, schließlich spielt Bond darin Poker. Die Tabakforscher bemängeln unterdessen, dass jede fünfte von Bonds "Sexualpartnerinnen" Raucherin sei. In Diamantenfieber (1971) stand sogar ein Aschenbecher auf der entblößten Brust des Agenten, den seine Geliebte benutzte. Immerhin, so die Mediziner, führe die Kürze seiner Beziehungen nicht zu einer Dauerbelastung mit Passivrauch. 17 der insgesamt 60 Partnerinnen sterben schneller als der Zigarettenrauch bis in Bonds Lungen braucht.

Gehörten 1979 noch Marlboro-Plakate zum product placement, wurde die Raucherei mit den Jahren seltener. In Die Welt ist nicht genug (1999) wirft die Chefsekretärin Miss Moneypenny geschenkte Zigarren sogar achtlos in den Müll. Sévérines Zigarette in Skyfall (2012) klingt da wie ein Rückfall. Andererseits wirkt diese Requisite eher wie ein Retroobjekt. So als träfe Bond jemanden, der Vinylplatten hört.

Vollends übersehen haben die Tabak-Forscher, welch gefährliche Rolle Rauchwaren im Mann mit dem goldenen Colt (1974) spielten: Der Bösewicht Scaramanga besitzt darin eine Pistole, die er aus Kugelschreiber, Zigarettenschachtel und Feuerzeug zusammenbaut. Die Einzelteile passieren Sicherheitskontrollen problemlos.

Physik der Stunts

Bond als Geschäftsgrundlage für Wissenschaftler - auf diese Idee ist vor Jahren bereits Metin Tolan gekommen. In Büchern und Vorträgen erklärt der Dortmunder Experimentalphysiker seine Wissenschaft anhand von Bond-Filmen und analysiert deren Realismus. So zum Beispiel die spektakuläre Eröffnungsszene in Goldeneye (1995): James Bond alias Pierce Brosnan springt darin von einem Staudamm einem abstürzenden Flugzeug hinterher und besteigt im freien Fall das Cockpit. Unmöglich, mahnt Tolan, Bonds Körper müsste hierzu 14-mal so windschlüpfrig sein wie das Flugzeug.

Mit ähnlich aufklärerischem Drang haben Gewaltforscher die zunehmende Brutalität der Filme angekreidet. Für diese Erkenntnis braucht es allerdings nicht unbedingt den wissenschaftlichen Blick, es genügt gesunder Menschenverstand. Während Schlägereien mit Roger Moore stets humoristischer Natur waren (in Man lebt nur zweimal vergreift er sich in den Pobacken eines Sumo-Ringers) gehen Daniel Craigs Gefechte mitunter an die Grenzen des Erträglichen, so wie das neorealistische Macheten-Duell in Casino Royale.

Abseits der Zweikämpfe wurde auch Bonds riskanter (und wenig vorbildlicher) Lebensstil mehrmals kritisiert, das schnelle Autofahren zum Beispiel. An diesem Punkt wird das wissenschaftliche Gekrittel natürlich lebensfremd. Wer, bitte, würde die mitreißende Hubraumerotik zwischen Bond (im Aston Martin) und Tilly Masterson (im Mustang) aus dem Film Goldfinger (1964) entfernen wollen?

Andere Bond-Stereotype haben sich mit der Zeit klar gewandelt und das zum Positiven. Nicht nur, dass eine Hauptdarstellerin namens Pussy Galore heute unvorstellbar wäre (wenngleich die Pilotin des Herrn Goldfinger ein für jene Epoche beeindruckendes Selbstbewusstsein an den Tag legte): Bonds erotische Kontakte bahnen sich zunehmend auf Augenhöhe an und weniger zwischen Macho und Dummchen.

Ein erster Lichtblick war die charmante und erstaunlich monogame Affäre zwischen Bond alias Timothy Dalton und Kara Milovy, dargestellt von Maryam d'Abo, in Der Hauch des Todes (1987). Man erinnere sich an die Rutschpartie im Cellokasten. Das war allerdings wohl auch der seinerzeit flammenden Aids-Diskussion geschuldet. Inzwischen kann man Bond wieder der Vielweiberei bezichtigen, allerdings begegnet er ebenbürtigen, wenn nicht überlegenen Frauen. 1995 bekam er mit Judi Dench eine Chefin. In Casino Royale entwickelt er tiefe Gefühle zur Finanzbeamtin Vesper Lynd, die den Agenten intellektuell klar übertrifft.

Ist James Bonds Lebensstil mit den Jahren angemessen und gesundheitsfördernd geworden? Natürlich nicht. Abgesehen von all den Kugeln und Bösewichtern versuchten Mediziner erst vor einigen Monaten kräftig Martini in den Wodka zu schütten. Nur an 36 von 123 Diensttagen, so die Experten der Universität von Nottingham, sei James Bond trocken geblieben. In der übrigen Zeit trank er im Schnitt mehr als 13 Alkoholeinheiten pro Tag (was etwa einem Liter Wein entspricht) und somit vier Mal so viel, wie Ärzte als Höchstdosis empfehlen. Seine Lebenserwartung liege bei Mitte 50, hieß es.

Einmal berechneten Forscher die Lebenserwartung von 007: Sie kamen auf Mitte 50

Na, vielleicht sollte man die Alkohol-Experten einmal in das Londoner Churchill-Museum führen. Dort zeigt sich: Mit der entsprechenden Konstitution kann man Mittags und Abends mehr saufen als andere im ganzen Monat - und dabei noch Krieg führen. Andererseits möchte man als Bond-Fan tatsächlich nie wieder Szenen erleben, wie in Der Morgen stirbt nie (1997), als Pierce Brosnan wie ein gescheiterter Gartenrobotervertreter mit einer Flasche Smirnoff abstürzt.

Auch für Psychologen ist Bond ein faszinierendes Forschungsobjekt. Der deutsche Professor Werner Greve hat in dem Buch "James Bond 007 - Agent des Zeitgeistes" unter anderem die Bond-Formel entwickelt. Darin begründet er den über Jahrzehnte anhaltenden Erfolg der Reihe mit der zeitgemäßen Charakterzeichnung des Hauptdarstellers. Ein Geheimnis sei zudem die vom Publikum goutierte, stilvolle Variation wiederkehrender Elemente und Abläufe ("gerührt und nicht geschüttelt"). Selbstironie ist Teil des Programms, etwa wenn Bond auf die Frage, ob er den obligatorischen Wodka Martini gerührt oder geschüttelt haben wolle, plötzlich antwortet: "Sehe ich aus, als wär' mir das wichtig?"

Successful aging nennt man das Überdauern einer Pop-Ikone in neuen Epochen. Helden wie John McClane aus der Stirb-Langsam-Trilogie passen nur in ihre Zeit. Bond war anpassungsfähig. Einfallstor für die Wissenschaft ist, dass die Drehbücher nun auch den Menschen Bond entblößt haben. In Casino Royale wird seine Kindheit als Waise thematisiert, in Skyfall zerstört er sein Elternhaus und damit ein Trauma, in Spectre ist seine Londoner Wohnung zu sehen. Dabei war es doch Teil des Zaubers, dass Bond eigentlich nicht von dieser Welt ist. Wer weiß, vielleicht ist dieser Aspekt ja bald für das Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik interessant.

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