50 Jahre US-Satelliten:Nachzügler im Orbit

Am 31. Januar 1958 schoss die US-Armee den ersten amerikanischen Satelliten ins All. Explorer I sollte die Antwort der USA auf Sputnik sein. Möglich wurde der Start durch einen Deutschen.

Alexander Stirn

Es war seine große Chance, vielleicht die letzte, die er bekommen sollte. Wernher von Braun, einst Hitlers Raketenbauer und nun im Dienste der US-Armee, wusste: Wenn sein Geschoß an diesem Abend, dem 31. Januar 1958, nicht abheben sollte, konnte er einpacken.

50 Jahre US-Satelliten: Wernher von Braun mit einem Modell der Jupiter-C-Rakete.

Wernher von Braun mit einem Modell der Jupiter-C-Rakete.

(Foto: Foto: Upi)

Und die Rakete, ein Abkömmling der Nazi-Vernichtungswaffe V-2, enttäuschte ihren Erbauer nicht. Mit Explorer I beförderte sie den ersten amerikanischen Satelliten ins All. Fast vier Monate, nachdem Sputnik die westliche Welt geschockt hatte, war Amerika wieder auf Kurs - dank eines Deutschen.

Dabei hätten die USA schon viel früher ihren ersten Trabanten ins All schicken können. Im Juli 1955 hatte Präsident Dwight D. Eisenhower angekündigt, Amerika werde während des Internationalen Geophysikalischen Jahres, das am 1. Juli 1957 starten sollte, einen Forschungssatelliten ins All bringen.

Interessenten für das Himmelfahrtskommando fanden sich schnell: Die US-Luftwaffe bot an, ihre Interkontinental-Rakete vom Typ Atlas, die sich gerade in der Entwicklung befand, an die Erfordernisse eines Satellitenstarts anzupassen.

Die Marine wollte mit der Vanguard-Rakete punkten, die aus einer Höhenforschungsrakete hervorgehen sollte. Und für die US-Army, also das Heer, brachte von Braun die Jupiter-Rakete ins Spiel, ein atomwaffenfähiges Projektil, das in der Nachkriegszeit aus den Plänen seiner V-2 hervorgegangen war.

Häme über "Kaputnik"

Eisenhower, während des Weltkriegs alliierter Oberbefehlshaber in Europa, konnte von Braun nicht ausstehen. Er wollte nicht, dass ein Deutscher, noch dazu ein ehemaliger SS-Mann, Amerika ins All bringt.

Und er wollte erst recht nicht, dass das mit einem Gerät geschieht, dessen Vorläufer die Nazis als Waffe einsetzten - einer Rakete, an der das Blut Tausender Zivilisten und Zwangsarbeiter klebte. Eisenhower gab daher dem Vanguard-Programm den Zuschlag, zumal deren umgebaute Forschungsrakete die von ihm propagierte friedliche Erkundung des Weltalls unterstrich.

Dennoch durften auch von Braun und sein Team, dem viele Forscher aus der ehemaligen Heeresversuchsanstalt Peenemünde angehörten, ihre Rakete weiterentwickeln.

Bereits am 20. September 1956 startete die Jupiter-C erstmals von der Luftwaffenbasis in Cape Canaveral. Die vierte Stufe der Rakete, in der Platz für einen Satelliten gewesen wäre, musste von Braun auf Anordnung der US-Regierung mit Sand füllen - andernfalls hätte sie eine Umlaufbahn um die Erde erreicht. Statt eines Satelliten hievten die Amerikaner den ersten Sandsack in mehr als 1000 Kilometer Höhe.

Das Vanguard-Projekt der Marine kam dagegen nicht voran. Sonderlich eilig hatte es in den USA aber ohnehin niemand. Die Ankündigung der Sowjetunion, einen eigenen Satelliten ins All zu schießen, nahmen die Verantwortlichen nicht ernst - bis am 4. Oktober 1957 Sputnik mit seinem verächtlichen Piepsen über die Köpfe der geschockten Amerikaner hinweg raste.

Als die Sowjets einen Monat später auch noch die Polarhündin Laika ins All schossen, musste Eisenhower handeln. Von Braun bekam den Auftrag, parallel zu den Arbeiten der Navy innerhalb von 90 Tagen ein eigenes Satellitenprogramm aufzubauen. Der Wettlauf ins All fand nicht mehr nur zwischen Amerika und der Sowjetunion statt. Er war längst zu einem Wettstreit innerhalb der USA geworden.

Zum ersten Schlag holte die Navy aus: Am 6. Dezember 1957 sollte die Vanguard, deren Antriebssystem zuvor nie erprobt werden konnte, mit einem winzigen Satelliten an Bord abheben.

Obwohl der Start offiziell als Test deklariert war, ließ ihn das Weiße Haus live im Fernsehen übertragen. Vor Augenzeugen aus aller Welt flog die Vanguard anderthalb Meter, bevor die Triebwerke versagten und die Rakete in einem Feuerball zusammensackte. Die Zeitungen überboten sich mit Schlagzeilen wie "Kaputnik", "Nullnik" oder "Flopnik".

Wie eine Spielzeug-Rakete

Noch bevor von Braun kontern konnte, unternahm die Marine am 23. Januar 1958 einen zweiten Versuch. Es regnete, ein Kurzschluss im Kabelsystem vereitelte die Pläne. Der Start musste auf den 3.Februar verschoben werden.

Die nächsten Tage gehörten der Army. Innerhalb kürzester Zeit hatte von Braun seine umgebaute, 21 Meter lange Rakete auf den Start vorbereitet. Er verpasste ihr eine neue Oberstufe und taufte sie auf den friedlich klingenden Namen Juno - nach der römischen Göttin der Ehe und Geburt.

An der Spitze der Rakete ließ von Braun ein Fliegengewicht montieren: Der Satellit Explorer I war knapp 14 Kilogramm schwer und sah aus wie eine mannshohe Spielzeug-Rakete.

Nachzügler im Orbit

In seinem Innern hatten die Ingenieure des kalifornischen Jet Propulsion Laboratory zwei Sender, einen Strahlungsmesser, mehrere Temperatur-Sensoren und ein Mikrofon eingebaut, das Einschläge von Mikrometeoriten aufzeichnen sollte. Mehr Platz war nicht. Die Idee für die Messinstrumente kam vom Physiker James Van Allen.

50 Jahre US-Satelliten: Der "Explorer 1" war der erste US-Satellit im All.

Der "Explorer 1" war der erste US-Satellit im All.

(Foto: Foto: Nasa/ddp)

Doch das Glück war von Braun, der bislang immer vom Scheitern der Anderen profitieren konnte, dieses Mal nicht hold. Zweimal musste der Explorer-Start wegen zu starker Winde verschoben werden. Dann entdeckten Ingenieure ein Leck an der Rakete.

Ein Techniker, unverheiratet und kinderlos, meldete sich - so wird erzählt - freiwillig für die lebensgefährliche Reparatur auf der Rampe. Erst am 31. Januar 1958, dem letzten möglichen Starttermin, standen schließlich alle Zeichen auf grün. Gut eine Stunde vor Mitternacht, in Europa hatte bereits der 1. Februar begonnen, schoss Juno von Cape Canaveral aus in den Himmel.

Die Batterie hielt 15 Wochen

Dass alle vier Stufen gezündet und den Satelliten in eine sichere Umlaufbahn gebracht hatten, erfuhr von Braun erst eineinhalb Stunden später. Ein weltweites Netz von Antennen, die Explorer auf seiner Bahn verfolgen konnten, gab es noch nicht.

Erst als sich der künstliche Trabant wieder Amerika näherte, fing die Bodenstation in Kalifornien sein Signal auf. Die USA hatten es geschafft und von Braun, später Leiter des amerikanischen Mondprogramms, verkündete voller Stolz: "Die Eroberung des Weltraums hat begonnen."

Fünfzehn Wochen lang funkte Explorer I Daten zur Erde, dann waren seine Batterien leer. Die Messwerte lieferten erste Hinweise darauf, dass die Erde von starken Strahlungszonen umgeben ist, in denen geladene Teilchen aus dem Weltall eingefangen werden.

Heute sind diese Regionen als Van-Allen-Gürtel bekannt. Für das Jet Propulsion Laboratory, das noch 1958 Teil der neu gegründeten US-Weltraumbehörde Nasa werden sollte, begann mit Explorer I der Aufstieg zum führenden Forschungszentrum für unbemannte Missionen. Wernher von Braun wurde als Held gefeiert. Er, der Aristokrat aus Nazi-Deutschland, hatte die Ehre Amerikas wiederhergestellt. Zwei Wochen später strahlte sein Siegerlächeln von der Titelseite des Time-Magazins. Seine zweite, kometenhafte Karriere hatte begonnen.

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