25 Jahre Sandoz-Katastrophe:Als im roten Rhein die Fische starben

Nach einem Großfeuer in einer Halle des Chemieunternehmens Sandoz schwemmte das Löschwasser mindestens 20 Tonnen Gift in den Rhein. In dem rot gefärbten Fluss starben die Fische, die Trinkwasserversorgung brach in einigen Regionen zusammen. Die Empörung in der Bevölkerung war so groß, dass die Politik reagieren musste - und tatsächlich reagierte.

Als in der Nacht auf den 1. November 1986 meterhoch die Flammen aus der Lagerhalle 956 der Firma Sandoz AG bei Basel schlugen, konnte noch niemand die Wirkung des Brandes absehen: nicht nur für die Umwelt, sondern auch für den Umweltschutz.

Brand beim Schweizer Chemieunternehmen Sandoz vor 25 Jahren

Tote Fische in einer roten Brühe. Nach dem Brand im Chemieunternehmen Sandoz bei Basel waren die Folgen für die Umwelt nicht zu übersehen - und ließen sich auch nicht verharmlosen.

(Foto: dapd)

Ein kleiner Schwelbrand, ausgelöst bei Verpackungsarbeiten, entwickelte sich zu einem Großfeuer. Zusammen mit dem Löschwasser der Feuerwehr gerieten mindestens 20 Tonnen hochgiftige Giftstoffe, insbesondere Pestizide und Insektizide, aber auch 150 Kilogramm Quecksilber in den Rhein.

Als der Brand nach fünf Stunden gelöscht war, trieben die Chemikalien gemeinsam mit einem sichtbaren harmlosen, roten Farbstoff den Rhein hinunter bis Rotterdam - und töteten auf einer Strecke von etwa 400 Kilometern fast sämtliche Aale, etliche weitere Fische, Schnecken, Muscheln und Kleinlebewesen. Auch Wasservögel starben in den Rheinauen bei Basel.

Aus Sicht der Bevölkerung in Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden stellten die gelben Flammen und die roten Fluten eine deutlich sichtbare Warnung vor den Gefahren der Chemie dar.

Nur wenige Monate zuvor hatte die Explosion im sowjetischen Kernkraftwerk Tschernobyl die Welt geschockt. Die Ukraine jedoch war fern, die Bedrohung nicht sicht- und spürbar. Westliche Politiker wie der damalige Innenminister Friedrich Zimmermann (CDU) hatten beteuert, dass solche Vorfälle in europäischen Atomkraftwerken nicht auftreten könnten. In Harrisburg 1979 und Sellafield 1957 waren die Unfälle schließlich glimpflich ausgegangen.

Auch die Katastrophe im indischen Bhopal 1984 mit Tausenden von Toten war weit weg passiert, noch dazu in einem Entwicklungsland. Aus dem Unglück im italienischen Seveso 1976 würden die Verantwortlichen, so hoffte man in der Bevölkerung, sicher gelernt haben. Und schließlich konnte kein einziger Todesfall direkt auf das dort freigesetzte Dioxin zurückgeführt werden.

Das Unternehmen verharmloste den Vorfall

Doch als der Rhein sich rot färbte, war die Bevölkerung bereits stark sensibilisiert. Das Sterben des Waldes war ein Thema, die Angst vor dem Ozonloch kursierte, der Klimawandel hatte die öffentliche Wahrnehmung erreicht. Seit 1980 thematisierten die Grünen den Umweltschutz genauso wie Greenpeace und andere Organisationen - und Bundeskanzler Kohl hatte nach dem Super-Gau von Tschernobyl Walter Wallmann zum ersten Bundesminister für Umwelt gemacht.

Nun schwammen Tonnen toter Aale im bedeutendsten Fluss Deutschlands. Tagelang brach die Trinkwasserversorgung in etlichen Gemeinden am Rhein zusammen, Wasserwerke und Brunnen mussten geschlossen werden. Und das Unternehmen Sandoz verharmloste den Vorfall und gab nur zögerlich Informationen an die Behörden weiter. So zögerlich, dass noch drei Tage nach dem Brand Baden-Württembergs Umweltminister erklärte, die Belastungen der Umwelt seien "absolut minimal" - bis auf die "Problematik des Fischsterbens."

Weitere Chemieunternehmen gerieten in die Kritik

Doch die Empörung der Bevölkerung war enorm - das Löschwasser hatte gewissermaßen das Fass zum Überlaufen gebracht. Der Umgang der Verantwortlichen mit der Katastrophe ging sogar dem Bundeskanzler zu weit: Er habe absolut kein Verständnis für die Informationspolitik der Chemie-Manager, die in den letzten Tagen nur bruchstückhaft die Wahrheit über die Rheinzerstörung herausgelassen hätten, schimpfte Kohl. Schließlich standen im kommenden Jahr Wahlen an und die Großchemie reagierte auf die Sandoz-Katastrophe mit einer "durch nichts zu erschütternden Zuversicht in die eigene Größe", wie die Frankfurter Rundschau damals schrieb.

Hinzu kam, dass nach dem Unfall bei Basel nach und nach weitere Chemieunternehmen zugegeben mussten, dass sie Giftstoffe in den Rhein geleitet hatten oder solche bei Unfällen in den Fluss geraten waren. Zuvor hatten die Unternehmen seit 1980, als die Störfallverordnung eingesetzt worden war, ganze 14 Störfälle gemeldet. "Angesichts der jetzigen Häufung von Unfällen erscheint es mir nicht sehr wahrscheinlich, dass es lediglich diese 14 Unfälle gegeben hat", erklärte Walter Wallmann.

"Die Katastrophe bewirkte ein Umdenken in Politik und Industrie"

Da konnte auch der Hinweis die Menschen nicht mehr beschwichtigen, dass die Chemieunternehmen am Rhein seit den 70er Jahren, in denen der Fluss eine richtige Kloake gewesen war, Klär- und Filteranlagen eingebaut hatten. Endlich sah sich die Politik zum Handeln gezwungen, wenigstens gegen die Brunnenvergiftung vorzugehen.

Zwar hielt es Wallmanns Nachfolger als Umweltminister, Klaus Töpfer (CDU), später selbst für eine Dummheit, dass er bereits im September 1988 durch den Rhein geschwommen war, um die gute Qualität des Flusswassers zu belegen.

Doch, wie Umweltministerin Angela Merkel (CDU) 1996 wohl zutreffend feststellte: "Die damalige Katastrophe bewirkte ein Umdenken in Politik und Industrie. Die schon am 19. Dezember 1986 beschlossenen Sofortmaßnahmen zur Verbesserung der Rheinwasserqualität und zur Störfallvorsorge sowie das ein Jahr später verabschiedete Aktionsprogramm Rhein haben dazu geführt, dass heute wieder früher heimische Arten, wie der Lachs, im Rhein zu finden sind."

Und tatsächlich: Die Lachse sind in ihren früheren Heimatgewässern zurückgekehrt. Menschen können wieder im Rhein baden. Der Fluss ist heute sauberer als vor 100 Jahren.

Unfälle und vermutlich auch vorsätzliche illegale Einleitungen von Giftstoffen in Deutschlands Gewässer kommen noch immer vor. Auch können die Unternehmen Chemikalien in einem gewissen Umfang legal in den Rhein fließen lassen. Aber der Rhein von vor mehr als 25 Jahren ist mit dem heutigen Gewässer kaum noch zu vergleichen.

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