50 Jahre Pille:Der Preis der sexuellen Freiheit

Die Antibabypille hat vielen Frauen mehr Freiheit beschert - in der Sexualität und der Familienplanung. Aber sie birgt auch Gesundheitsrisiken.

Cordula Sailer

"Enovid" hieß die kleine Pille, die 1960 in den USA auf den Markt kam und ein für alle Mal den Beginn der sexuellen Revolution einläutete.

Pille, dpa

Die Antibabypille wird 50.

(Foto: Foto: dpa)

Ein Jahr später trat die Antibabypille des Schering-Konzerns "Anovlar" in Deutschland ihren Siegeszug an: Bei einer Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 2007 gaben mehr als die Hälfte der Frauen zwischen 20 und 44 Jahren an, mit der Pille zu verhüten.

Doch die Filmtabletten, die heute wohlklingende Namen wie Miranova, Valette, Yasmin oder Petibelle tragen, haben den Frauen nicht nur zu mehr Selbstbestimmung verholfen, was die Familienplanung und das Sexualleben angeht. Wer die Hormonpillen regelmäßig schluckt, trägt auch ein höheres gesundheitliches Risiko - trotz stetiger Weiterentwicklung.

Die Präparate verhindern mit Hilfe der künstlich hergestellten Hormone aus der Östrogen- und der Gestagen-Klasse den Eisprung und schützen so vor einer ungewollten Schwangerschaft. Doch während "Enovid" noch eine hochkonzentrierte "Hormonbombe" war, enthalten die heute als Mikropillen bezeichneten Verhütungsmittel nur noch einen Bruchteil der früheren Hormondosis - mit gleicher Wirksamkeit.

Im Laufe der Jahrzehnte wurde versucht, die Zusammensetzung immer weiter zu verbessern, mit dem Ziel, das Risiko der Nebenwirkungen zu verringern. Von vier "Generationen" von Pillen spricht man inzwischen, die jeweils unterschiedliche Gestagene enthalten.

Tödliches Risiko durch die Pille?

Und doch wurde im vergangenen September die tödliche Lungenembolie einer jungen Schweizerin mit der Einnahme ihrer Antibabypille in Zusammenhang gebracht. Die Frau verwendete "Yaz", ein Hormonpräparat des Bayer-Schering-Konzerns. "Yaz" gehört zu den Pillen der sogenannten vierten Generation, welche das Gestagen Drosperinon enthalten.

Geht von den Verhütungsmitteln etwa ein tödliches Risiko aus?

Tatsächlich ergaben eine niederländische sowie eine dänische Studie 2009, dass Antibabypillen das Thrombose-Risiko erhöhen. Bei einer Thrombose entsteht ein Blutgerinnsel in den Gefäßen, meist in den Beinvenen. Die betroffene Körperstelle schwillt schmerzhaft an. Und unter Umständen wandert ein solches Blutgerinnsel bis zur Lunge und kann dort, wie im Falle der Schweizerin - eine tödliche Lungenembolie auslösen

Die Wissenschaftler verglichen das Risiko für eine Venenthrombose bei Frauen, die keine Pille anwendeten, mit dem bei Frauen, die damit verhüteten. Pillen der vierten Generation mit dem Gestagen Drosperinon erhöhen das Risiko demnach im Durchschnitt um das Sechsfache. Bei einer Antibabypille der dritten Generation mit dem Gestagen Desogestrel liegt den Mediziner zufolge die Gefahr sogar etwa sieben Mal höher.

"Gefährlich ist es nicht"

Die "sicherste" Pille war ein kombiniertes Präparat der zweiten Generation mit einer niedrigen Östrogendosis sowie dem Gestagen Levonorgestrel. Dieses, so stellte das Team von Frits R. Rosendaal von der Universität Leiden fest, erhöht das Risiko um das Vierfache.

Darüber hinaus konnten beide Untersuchungen zeigen, dass vor allem in den ersten Monaten der Pillen-Einnahme das Risiko einer Thrombose besonders hoch ist. Auch die verstorbene Schweizerin hatte ihre Pille erst seit zehn Monaten genommen.

Doch in keinem Fall wollen die Wissenschaftler von einem hohen Risiko sprechen. Denn bei dem Vergleich des Gefahrenpotentials muss man berücksichtigen, wie häufig die Thrombosen überhaupt auftreten: Jährlich erkrankt etwa eine von 10.000 Frauen im Alter zwischen 20 und 44 Jahren an einer Venenthrombose, ohne die Pille zu nehmen. Unter den Frauen, die damit verhüten, währen es demnach vier bis sieben unter 10.000.

"Gefährlich ist es nicht, Pillen der dritten oder vierten Generation zu verwenden", sagt Rosendaal. "Aber man kann auch nicht beweisen, dass sie Hautprobleme, Regelschmerzen oder unregelmäßige Blutungen stärker reduzieren als andere Pillen. Warum sollte man dann nicht die sicherste Pille verwenden?"

Die Pille und das Krebsrisiko

Doch Blutgerinnsel sind nicht das einzige Risiko, das von Antibabypillen ausgeht. Diskutiert wird auch immer wieder ein Zusammenhang der Hormon-Einnahme mit Krebs-Erkrankungen.

So zeigte eine Analyse etlicher Studien durch die internationale Agentur für Krebsforschung IARC im Jahr 2005, dass einige Kombinationspräparate das Risiko für Brust-, Leber- sowie Gebärmutterhalskrebs leicht erhöhen können.

Auf der anderen Seite aber stellten die Experten fest, dass sich bei Frauen, welche eine Pille mit den Hormonen Östrogen und Gestagen einnehmen, das Risiko an Gebärmutterschleimhautkrebs zu erkranken, fast halbiert hatte. Diese positive Wirkung war noch bis zu 15 Jahre nach dem Absetzen der Pille erkennbar.

Auch die Ergebnisse einer schottischen Langzeitstudie, an der seit 1968 mehr als 46.000 Frauen teilgenommen hatten, sprechen gegen ein erhöhtes Krebsrisiko durch die Pille. Bis zu einer Einnahmedauer von acht Jahren würde das Krebsrisiko durch die Kontrazeptiva demnach sogar um zwölf Prozent reduziert.

Keine Studien zu neueren Präparaten

Nach einer längeren Einnahme der Pille würde dann aber vor allem das Risiko, an Gebärmutterhalskrebs zu erkranken, ansteigen. Die Studienteilnehmerinnen hatten allerdings überwiegend Antibabypillen der ersten Generation verwendet. Man könnte die Ergebnisse nicht einfach auf neuere Präparate übertragen, warnte deshalb das Team um Philip C. Hannaford von der Universität Aberdeen.

Auch Jane Green von der Universität Oxford stellte bei der Auswertung verschiedener internationaler Studien einen Zusammenhang zwischen der Pillen-Einnahme und dem Gebärmutterhalskrebs-Risiko fest: Hatten die Frauen die Pillen weniger als fünf Jahre lange eingenommen, war kein wesentlicher Anstieg des Krebsrisikos festzustellen.

Wurden die Hormone jedoch länger eingenommen, stieg die Gefahr, an Gebärmutterhalskrebs zu erkranken, um das Doppelte. Doch auch hier "kann man fest davon ausgehen, dass die meisten Pillen der ersten oder zweiten Generation verwendet haben", sagt Green.

Über den Einfluss neuerer Präparate auf die Entstehung von Krebs lässt sich dagegen offensichtlich noch nichts sagen.

Keine geringere Lebenserwartung

Trotz der Ergebnisse der Krebsstudien zu den ersten zwei Pillen-Generationen sollten sich Frauen, die diese Pillen nehmen oder genommen haben, nicht übermäßig sorgen. Erst in diesem März veröffentlichte das schottische Forschungsteam um Philip C. Hannaford weitere Ergebnisse seiner Langzeitstudie im British Medical Journal.

Diese zeigen, dass Pillen-Nutzerinnen keine geringere Lebenserwartung haben als Nicht-Nutzerinnen - im Gegenteil. Die Sterberate unter ihnen war sogar um zwölf Prozent geringer.

Und wer sich entschließt, doch ein Kind zu bekommen, braucht sich wegen der vorherigen Verhütung keine Sorgen zu machen. Das zeigen Studien aus den Jahren 1960 bis 2007, die Kurt T. Barnhart vom Universitätsklinikum in Pennsylvania untersucht hat.

Dabei stellte der Gynäkologe fest, dass die Fruchtbarkeit nur in den ersten Monaten nach Ende der Pillen-Einnahme eingeschränkt ist.

Unter dem Strich muss man feststellen, dass sich die Risiken, die von den verschiedenen Pillen mit ihren unterschiedlichen Kombinationen von Hormonen ausgehen, nur schwer einschätzen lassen, aber eher gering zu sein scheinen.

"Es sind keine Medikamente, die gegen eine Krankheit genommen werden, sondern Medikamente, die von gesunden Mädchen und Frauen verwendet werden", stellt Frits Rosendaal fest. Und bei Medikamenten muss man mit Nebenwirkungen rechnen. Wer sich für die Pille zur Verhütung entscheidet, muss deshalb mit dem Frauenarzt absprechen, welche es letztlich sein soll.

Ob die Pille wirklich ein "Meilenstein in der Geschichte der Emanzipation" ist, wie Alice Schwarzer der Nachrichtenagentur dpa erklärte, oder ob sie "frau" eine zusätzliche Bürde auflädt, damit "mann" sich keine Sorgen um Verhütung zu machen braucht, bleibt offen.

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