15 Jahre nach Tschernobyl:Leukämie, Krebs und Missbildungen

Die Folgen des radioaktiven Fall-Outs für die Gesundheit der Menschen sind bis heute unklar.

Angelika Jung-Hüttl

Eine annähernd stimmige Zahl der Opfer wird nach Ansicht von Strahlenfachleuten niemals zu ermitteln sein. Denn ausreichende epidemiologischen Untersuchungen fehlen. Die in Medien genannten Todeszahlen reichen von "Tausenden" über 30 000 bis hin zu einer halben Million. Als am meisten strahlenbelastet gelten nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) etwa 800 000 Liquidatoren, meist junge Soldaten, die in der Sperrzone Aufräumarbeiten zu erledigen hatten.

kind_dpa

Dieses Mädchen aus der Ukraine wurde kurz nach der Tschernobyl-Katastrophe mit einer zusammengewachsenen Händen geboren, die jetzt in einer Rostocker Klinik getrennt wurden.

Vor allem Leukämie, Krebs und Missbildungen bei Neugeborenen kommen nach dem Reaktorunglück in der Umgebung von Tschernobyl, aber auch in entfernteren Gebieten häufiger vor.

Beispiel Schilddrüsenkrebs

Ein Beispiel: Die Zeitschrift Cancer berichtete 1999 über die Zunahme von Schilddrüsenkrebs in der Ukraine. Zwischen 1981 und 1986, dem Jahr des GAUs, wurden dort jährlich nur 12 Patienten unter 18 Jahren wegen dieser Krebserkrankung behandelt. 1996 und 1997 waren es 73 Fälle pro Jahr. Dabei waren vor allem Kinder betroffen, die zum Zeitpunkt der Katastrophe jünger als fünf Jahre waren.In der Ukraine erhalten derzeit die Familien von 15 000 gestorbenen Tschernobyl-Opfern staatliche Zuwendungen.

Folgen in Deutschland

Nach übereinstimmender Meinung fast aller internationaler Experten hat die zusätzliche radioaktive Belastung in Deutschland außer Schrecken und Verunsicherung keine messbaren gesundheitlichen Folgen gehabt. Insbesondere Leukämie, Schilddrüsenkrebs, Missbildungen und die Kindersterblichkeit stiegennicht oder nur so gering, dass sich ein Zusammenhang mit der Reaktorkatastrophe vor 15 Jahren kaum ziehen lässt.

Trotzdem berichten einzelne Wissenschaftler immer wieder von Missbildungen und einer erhöhten Säuglingssterblichkeit sowievermehrten Leukämiefällen. Nach einer Statistik des Kinderkrebsregisters der Universität Mainz könnten vor allem Kinder zu Opfern der radioaktiven Wolke geworden sein, die nach dem GAU in Tschernobyl über Europa niederging. Sechs Jahre nach dem Reaktorunglück, im Jahr 1992, ist nach der Statistik ein markanter Anstieg der Leukämiefälle verzeichnet worden, der später alledings wieder zurückging. Die sechs Jahre decken sich genau mit der Latenzzeit der Krankheit. Das sei zwar kein Beweis, heißt es in Fachkreisen, doch ein ernsthafter Hinweis auf mögliche weitreichende Konsequenzen des Reaktorunglücks.Ein Arzt berechnet für Berlin neun Monate nach dem Unglück eine Erhöhung der monatlichen Zahl von Down-Kindern(Mongolismus) von 3 auf 12. Er konnte aber nicht erklären, warum in Bayern mit einer deutlich höheren Strahlenkontamination eine gleiche Untersuchung keine Erhöhung zeigte.

Vorwurf der Vertuschung

Osteuropäische Fachleute müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie die Situation beschönigen. Ein Bericht der Kommission der Vereinten Nationen für die Folgen atomarer Strahlung (UNSCEAR) wurde von ihnen so interpretiert, als sei alles nicht so schlimm. Es seien nicht Hunderttausende von Menschen verstrahlt worden, geschweige denn in Folge der Verstrahlung gestorben. Es gebe keine einzige verlässliche Untersuchung, die eine wesentliche Zunahme von Krebserkrankungen belege. Stattdessen seien bei den psychosomatischen Krankheiten erhebliche Zuwachsraten zu verzeichnen. Die Folgen von Tschernobyl seien zunächst von Umweltorganisationen und später von der ukrainischen Regierung aufgebauscht worden. Kiew habe nämlich erkannt, dass auf der "Tschernobyl-Schiene" Milliarden-Zuschüsse aus dem Westen garantiert seien.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: