70 Jahre Kernspaltung:Der kleine große Knall

Vor 70 Jahren machte Physikerin Lise Meitner eine folgenschwere Entdeckung: Sechs Jahre dauerte es bis zur ersten Atombombe, neun Jahre zum Kernkraftwerk.

C.Schrader und A.Nassoufis

Am 19. Dezember vor 70 Jahren schrieb der Chemiker Otto Hahn zwei der wichtigsten Schriftstücke seines Lebens. Da war zum einen der Aufsatz für die Zeitschrift Naturwissenschaften, in der er die Entdeckung der Kernspaltung berichtete. Zwei Tage zuvor hatten Hahn und sein Kollege Fritz Straßmann den ersten Hinweis dafür in ihren Experimenten gefunden; die Publikation erschien am 6. Januar 1939. Gleichzeitig bat Hahn die Physikerin Lise Meitner mit einem Brief um eine Erklärung für seine Messungen. Sie veröffentlichte die theoretische Erklärung am 11.Februar 1939 in Nature.

70 Jahre Kernspaltung: Obwohl Physikerin Lise Meitner die Erklärung zu Otto Hahns Messungen liefert, bleibt sie im Schatten des Chemikers.

Obwohl Physikerin Lise Meitner die Erklärung zu Otto Hahns Messungen liefert, bleibt sie im Schatten des Chemikers.

(Foto: Foto: dpa)

Damit war die Kernspaltung kurz vor dem Zweiten Weltkrieg öffentliches Wissen. Sechs Jahre später explodierten die ersten Atombomben, weitere neun Jahre später speiste das erste zivile Kernkraftwerk Strom ins Netz.

Hahn und Meitner hatten mit dem Chemiker Fritz Straßmann in Berlin seit Jahren an Uran geforscht. Sie beschossen das radioaktive Metall mit Neutronen, um Transurane zu erzeugen - noch schwerere Elemente. Im Sommer 1938 allerdings musste die Jüdin Meitner ins Exil nach Schweden fliehen. So ist sie bei den entscheidenden Versuchen nicht dabei, Hahn und Straßmann verlassen sich darum allein auf ihre chemischen Fähigkeiten. Am 17. Dezember 1938 erkannten sie daher, dass bei ihren Versuchen nicht wie vermutet Radium entstanden war, sondern Barium. Dieses Element hat nur etwa zwei Drittel der Masse von Uran.

"Hahn war die Sache völlig unverständlich"

"Hahn war die Sache völlig unverständlich", sagt der Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer. Daher schrieb der Chemiker an Meitner: "Es ist nämlich etwas bei den ,Radium-Isotopen, was so merkwürdig ist, daß wir es vorerst nur Dir sagen. (...) Vielleicht kannst Du irgendeine phantastische Erklärung vorschlagen." Uran könne doch "eigentlich nicht" zu Barium "zerplatzen".

Am 21. Dezember kam dieser Brief bei Meitner an. "Zuerst war sie sich sicher, dass Hahn sich vertan hat", beschreibt Fischer die Situation. Doch dann war sie auch überzeugt: Wenn Hahn das so schreibt, dann wird es stimmen. Sie folgerte, dass sich der Urankern tatsächlich gespalten hatte.

Der kleine große Knall

"Das war ein dramatischer Moment", sagt Fischer in seinem Hörbuch "Paarläufe der Wissenschaft". Eine 60-jährige, einsame, vertriebene Frau, im tiefen Winter in einem verschneiten Dorf, kurz vor Weihnachten, hat einen Brief in der Hand und eine Rechnung im Kopf - und weiß jetzt, dass man Atombomben bauen kann." Zusammen mit ihrem Neffen Otto Robert Frisch beschreibt sie den Urankern in Nature später als eine Art Tropfen. Getroffen vom Neutron beginnt er zu schwingen. Die Bewegung schaukelt sich hoch und schließlich zerreißt er, wobei viel Energie frei wird.

Meitner geht leer aus

Obwohl Meitner die Erklärung liefert, bleibt sie im Schatten von Hahn. "Meitner gilt oft noch immer als Hahns Mitarbeiterin, die nur eine simple Rechnung durchgeführt hat", sagt Fischer. "In Wirklichkeit war es anders: Sie hat das Wissen gehabt, er hat die Versuche durchgeführt." Dennoch geht sie leer aus, als Hahn nach dem Krieg den Chemienobelpreis für 1944 bekommt. Fischer nennt das eine "Dummheit der Schwedischen Akademie".

Meitner selbst gönnt dem Kollegen die Ehrung: "Sie haben wirklich mit der Chemie einen physikalischen Prozess sozusagen nachgewiesen", schreibt sie. Dennoch nimmt sie für sich in Anspruch, "etwas nicht Unwesentliches zur Aufklärung des Uranspaltungsprozesses beigetragen (zu) haben - wie er zustande kommt und daß er mit einer so großen Energieentwicklung verbunden ist, lag Hahn ganz fern".

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