200 Jahre Darwin (25):Was Elektroautos und Wale gemein haben

Ob Fahrzeuge oder Computertastaturen: Wissenschaftler erkennen Parallelen zwischen dem technischem Fortschritt und der Evolution.

Helmut Martin-Jung

Es ist nur Popcorn-Kino. Doch es enthält Bilder, die sich festsetzen, die Ikonen geworden sind: die spinnenartigen, riesigen Wächterdrohnen, die sich in der Filmtrilogie "Matrix" gnadenlos durch metallische Schiffsrümpfe bohren; oder die Kampfmaschine, die der Muskelmann Arnold Schwarzenegger in den Terminator-Filmen spielt und die unter seiner Haut auftaucht, wenn er im Verlauf der Handlung mehr und mehr von seiner humanoiden Hülle verliert.

Beluga-Wale, Reuters

Die Entwicklung der Arten und lässt sich wie die der Technik nicht einfach wieder zurückdrehen.

(Foto: Foto: Reuters)

Es geht um technische Monster, aber die Story dieser Erfolgsfilme beruft sich letzten Endes auf Charles Darwin. Maschinen, einst vom Menschen mit künstlicher Intelligenz ausgestattet, nehmen ihre Entwicklung in einer Art Turbo-Evolution selbst in die Hand und deklassieren am Ende ihren ursprünglichen Erfinder als das weniger gut angepasste Wesen - jedenfalls bis kurz vor dem Ende, in dem es der Menschheit irgendwie gelingt, ihre Vernichtung noch aufzuhalten. Aber ist es abseits von Romanen und Blockbustern, die natürlich mit solch plakativen Bildern arbeiten müssen, überhaupt statthaft, die Geschichte der Technik mit Begriffen aus der Biologie zu fassen? Kann man also überhaupt von einer Evolution der Technik sprechen?

"Es ist sehr fruchtbar, mit diesen Begriffen zu arbeiten", sagt der Technikhistoriker Thomas Wieland von der Technischen Universität München. "Die Technikgeschichte schafft es so, von einer bloßen Aneinanderreihung einzelner Erfinder und heroischer Momente wegzukommen." Die Erfindung des Personalcomputers beispielsweise sei schon ein großer Einschnitt gewesen, "aber hätte es nicht die vielen kleinen Schritte danach gegeben, wären die heutigen Geräte nicht so viel leistungsfähiger als die alten aus den frühen achtziger Jahren". Alle diese kleinen Schritte ließen sich durchaus mit einem evolutionären Prozess vergleichen.

Andererseits aber, warnt Wieland, gebe es auch einen fundamentalen Unterschied zwischen der Entwicklung von Technik und der biologischen Evolution. Diese sei eben nicht zielgerichtet. Auch in der Technik setzten sich zwar manchmal Erfindungen entgegen der Erwartung gegen andere durch, aber alle würden vom Menschen bewusst mit Eigenschaften versehen.

Die Evolutionstheorie, resümiert der Historiker, stelle damit zwar passene Metaphern bereit, mit denen sich die Aspekte aus der Entwicklung der Technik recht treffend beschreiben lassen. Effekte wie etwa Nachahmung und bewusste Variation, die Ingenieure oft zum Teil ihrer Strategie machten, gerieten dabei jedoch aus dem Blick.

Anachronistische Tastaturen

Dabei ist die Entwicklung technischer Erzeugnisse mit kleinen Schritten nicht einmal die einzige Analogie zur Natur. So wie die Vorfahren der Wale, die sich als Landsäugetiere wieder an das Leben im Wasser anpassten, nicht zur Kiemenatmung der Fische zurückkehrten, lässt sich oft auch die technische Entwicklung nicht einfach wieder zurückdrehen. So war beispielsweise zu Beginn des Automobilbaus mitnichten klar, ob sich Elektro- oder Verbrennungsmotoren durchsetzen würden. Heute, da nahezu die gesamte Infrastruktur auf Verbrennungsmotoren ausgerichtet ist, fällt es dementsprechend schwer, auf die einst gescheiterte Technik umzustellen, die nun wieder als zukunftsträchtig gilt.

Auf Computertastaturen - ein anderes Beispiel - findet sich noch immer dieselbe Anordnung der Zeichen, wie sie einst für mechanische Schreibmaschinen eingeführt wurde. Diese Anordnung wurde jedoch auch unter dem Gesichtspunkt gewählt, dass sich die Typenhebel möglichst wenig verhakten.

Lernende Roboter

Der Gedanke, die Entwicklung der Technik im Sinne der Evolutionstheorie zu verstehen, entstand schon im 19. Jahrhundert. Ernst Kapp erkannte in seinen von Darwin wie Hegel beeinflussten "Grundlinien einer Philosophie der Technik", die Entwicklung der Geräte sei eine bewusste oder unbewusste Übertragung von Formen des Körpers auf die Technik. Zum Beispiel leitete er den Hammer von der geballten Faust her. Heute wirken diese Thesen konstruiert, ihr Erkenntnisgewinn ist auch nicht sehr groß.

Da ist ein vergleichsweise neuer Wissenschaftszweig erheblich erfolgreicher, der ebenfalls nach natürlichen Vorbildern für industrielle Produkte sucht. Seit 1960 hat diese Wissenschaft den Namen Bionik, weil sie biologische Evolution als Vorbild für Technik begreift.

Der Bionik verdankt die Menschheit Entwicklungen wie beispielsweise Fassadenfarbe, von der Feuchtigkeit und Schmutz abperlen. Abgeguckt haben sich ihre Erfinder das bei der Lotusblume. Obwohl sie in Sümpfen sprießt, sind ihre Blüten stets auffallend sauber. Die Haut von Delphinen wiederum diente als Vorbild für Schiffsrümpfe, die Treibstoff sparen und dazu die Fahrzeuge auch noch leiser durchs Wasser gleiten ließ - ein wichtiger Vorteil für U-Boote. Auf die Idee dazu waren Wissenschaftler gekommen, als sie festgestellt hatten, dass Delphine mit der Kraft ihrer Muskeln alleine gar nicht so schnell hätten schwimmen dürfen wie es Beobachtungen und Messungen wieder und wieder ergaben.

Wegen dieser erfolgreichen Kooperation lag auch der Umkehrschluss nahe: Technik wird nutzbar gemacht, um einige ungeklärte Fragen der Evolutionstheorie zu verstehen. So verwenden etwa Sara Mitri, Dario Floreano und Laurent Keller an der Politechnischen Hochschule Lausanne lernfähige Miniroboter, die das Verhalten lebendiger Wesen simulieren und leichter als im Tierversuch dabei helfen können, Hypothesen zu entwickeln. Diese, sagt Mitri, könnten dann in Tierversuchen überprüft werden.

Die Roboter sollten zum Beispiel in einer Art Spiel lernen, zwischen giftigem und essbarem Futter zu unterscheiden. Verständigen konnten sie sich über Lichtsignale. Zunächst zeigten viele der Roboter mit einem auffallenden Leuchtsignal an, wenn sie gutes Futter fanden. Doch das lernten bald auch die Konkurrenten zu deuten. Der Vorteil wandelte sich also zum Nachteil. Trotzdem gaben nicht alle Roboter die Lichtsignale auf. Einigen behielten die Angewohnheit sogar über hunderte von Generationen.

Da inzwischen nur wenige der Roboter gutes Futter mit einem Leuchten meldeten, spielte es für die Selektion und die erfolgreiche Fortpflanzung keine Rolle mehr. Das Leuchten passierte so sporadisch, dass die anderen Roboter daraus keine Schlüsse ziehen konnten.

Ähnliche Phänomene beobachten Forscher in der Natur. Keineswegs erzeugt die Evolution stets zu hundert Prozent perfekte Wesen, es kommt vielmehr zu einer Balance zwischen Anpassung und Variation. Dies könne erklären, schreibt Mitri im Fachmagazin PNAS (online), warum die Flügel von Nachtfaltern so viele unterschiedliche Muster hätten. Weil die exakte Form bei der Selektion keine große Rolle spielte, entwickelten sich die zahllosen Variationen, die schon vielen Forschern Rätsel aufgaben.

Auch Computersimulationen verwenden Wissenschaftler natürlich schon länger, um evolutionäre Prozesse nachzuvollziehen. In den Mainstream herübergeschwappt ist ein von Technik ermöglichter Blick auf die Evolution aber erst mit dem Computerspiel "Spore". Auf der einen Seite hat es vieles, was andere Computerspiele auch haben. Die Spieler müssen sich durch verschiedene Spielstufen kämpfen, damit ihre Spielfigur überlebt. Diese kann dabei auf verschiedene Hilfsmittel zurückgreifen, die sie auf ihrem Weg einsammeln muss.

Nur geht es hier nicht um das Leben von Individuen, sondern um das Leben überhaupt. In einer liebevoll animierten Ursuppe wie in den späteren Stationen an Land heißt es stets: fressen oder gefressen werden. Und dennoch: Jede Entscheidung, die der Spieler trifft, beispielsweise welche Fortbewegungsart sein Einzeller sich aneignet, wirkt sich auf seine spätere Entwicklung aus. Einen simplen Weg zurück gibt es nicht - wie im wirklichen Leben.

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