200 Jahre Darwin (26):"Im Wallenstein ist auch kein Platz für Schiller"

Kreationisten aufgepasst: Die Evolutionstheorie ist für den Glauben an Gott keine Bedrohung, sondern eine Bereicherung.

C. Kummer

Manche Christen und manche Naturwissenschaftler, besonders die jeweils lautstarken, fundamentalistisch argumentierenden Vertreter, erklären die Evolutionstheorie und Religion für unvereinbar. Im Darwin-Jahr gewinnt dieser Streit an Aufmerksamkeit. Der Biologe, Jesuit und Professor an der Münchner Hochschule für Philosophie Christian Kummer beschreibt, warum es diesen Konflikt gar nicht gibt.

200 Jahre Darwin (26): Nicht jede Facette der Evolution braucht einen "göttlichen Handwerker". Aus Aicht der Theologie ist ein Schöpfer weitaus befriedigender, "der macht, dass die Dinge sich machen".

Nicht jede Facette der Evolution braucht einen "göttlichen Handwerker". Aus Aicht der Theologie ist ein Schöpfer weitaus befriedigender, "der macht, dass die Dinge sich machen".

(Foto: Foto: AP)

Evolution ist keine Gefahr, sondern ein Segen für die Theologie. Ein solcher Ausspruch, noch dazu aus dem Mund eines katholischen Theologen, mag verwundern. Doch er passt in eine lange Denkschule. Schon vor Jahrzehnten schien die Kluft zwischen Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube überwunden.

Damals war es für aufgeklärte Christen unter dem Einfluss des französischen Jesuiten und Paläontologen Pierre Teilhard de Chardin (1881-1955) fast selbstverständlich geworden, an eine "Schöpfung durch Evolution" zu glauben.

Inzwischen wird eine solche "theistische Evolution" von Kreationisten wie Darwinisten gleicherweise mit Naserümpfen quittiert. Sie sei ein untauglicher Versuch, christliche und naturwissenschaftliche Weltanschauung unter einen Hut zu bringen. Angesichts dieser Situation scheint sich auch die katholische Kirchenleitung ihrer alten Ressentiments gegen Teilhard zu erinnern.

Der unselige Artikel Kardinal Schönborns über das Design in der Natur, der 2005 in der New York Times erschien, ist ein markantes Indiz dafür. Es mag unversöhnlich wirken, auf diesem "Ausrutscher" des Kardinals nach wie vor herumzuhacken, von dem er sich auf seiner Homepage einigermaßen distanziert hat. Der Text bleibt aber ein bezeichnendes Dokument der Evolutionskritik.

Vermischte Ebenen

Einmal ärgert den Kardinal (und vermutlich nicht nur ihn) die große Resonanz, welche die Ansprache von Johannes Paul II. vor der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften im Oktober 1996 gefunden hat. Darin hat der Vorgänger Benedikts die Evolution "mehr als eine Hypothese" genannt. Für gewisse Kreise der Kurie war diese verhaltene Bemerkung ein zu großes Zugeständnis.

Aus diesem Geist heraus schrieb Schönborn in seinem Artikel: "Die Evolution im Sinn einer gemeinsamen Abstammung (aller Lebewesen) kann wahr sein, aber die Evolution im neodarwinistischen Sinn - ein zielloser, ungeplanter Vorgang zufälliger Veränderung und natürlicher Selektion - ist es nicht." Woher nimmt ein Theologe die Autorität, darüber zu befinden, ob eine naturwissenschaftliche Theorie richtig oder falsch ist?

Wichtiger ist indessen ein zweiter Punkt, auf den der Kardinal hinweist. Er erklärt nachdrücklich, dass die Kirche trotz aller Anerkennung der Evolution an der unmittelbaren Erschaffung der menschlichen Seele durch Gott festhält. Diese Lehrmeinung gibt er korrekt wieder, aber was ist von einer solchen Grenzziehung zu halten?

Die "Erschaffung der menschlichen Seele" ist eine theologische Aussage. Daher muss das, was unter "Seele" verstanden wird, auch theologisch gedeutet werden, im Sinne einer unmittelbaren, besonderen Bezogenheit des menschlichen Geschöpfs auf Gott.

"Seele" bezeichnet aber auch etwas Diesseitiges: seelisches Empfinden, Psyche, Geistesleben. Diese Ebene wird von der theologischen Aussage aufgrund der Doppeldeutigkeit des Begriffs vereinnahmt. Die Kirche behauptet damit, der Mensch sei ohne Theologie nicht vollständig zu erklären.

Wie konfliktgeladen die Vermischung dieser Ebenen ist, zeigt ein Blick auf die Entstehung des Menschen. Der Theologe Karl Rahner hat das in drastischer Weise dargestellt. Nach klassischer Lehre würden die Eltern einen Affen erzeugen, der erst durch göttlichen Eingriff zum Menschen wird.

Die quälende Angst der Kirche

Hinter diesem Anspruch auf die Deutungshoheit der menschlichen Natur kommt zum Vorschein, was der frühere Leiter der vatikanischen Sternwarte, George Coyne, als "nagging fear", als quälende Angst der Kirche vor den Naturwissenschaften bezeichnet hat.

Schönborn zum Beispiel fürchtet, eine Auslieferung an den "Neodarwinismus" wäre gleichbedeutend mit dem Verzicht, die Welt als einen Ort göttlicher Weisheit und Zielsetzung zu begreifen. Hier zeigt sich eine immer wieder in römischen Verlautbarungen nachweisbare Angst vor der Freiheit der aufgeklärten Vernunft.

Wenn sich der Mensch zum Maß aller Dinge macht, so die Vermutung oder besser das Misstrauen, gerät seine Selbsteinschätzung außer Kontrolle; er verliert jede Orientierung für sein Handeln. Nur durch den Glauben könne das Licht der menschlichen Vernunft auf ein für ihn selbst erträgliches Maß gedimmt werden.

Dem kann man durchaus etwas abgewinnen; es fragt sich nur, auf welche Weise diese Korrektur geschehen soll: durch Anlegen von Scheuklappen oder durch Aufzeigen einer eigenen Perspektive?

Wie befreiend ist im Vergleich zu einer solchen Geisteshaltung die Vision des Teilhard de Chardin. Er hat die Evolutionstheorie Darwins ins theologische Denken integriert. Er hat nicht gefeilscht, wie viele Anteile der Schöpfungsaktien an die Naturwissenschaften abgetreten werden können und wie viele die Theologie behalten muss.

Schöpfung durch Evolution

Nein, er hat die Evolution vollständig, ja bedenkenlos übernommen. Er beschreibt sie 1950 mit dem französischen Wort "dérive" (Strömung, Drift), in dem das Kontinuierliche, Unaufhörliche mitschwingt, dessen Kraft man kaum merklich ständig ausgesetzt ist wie dem Abdriften mit der Ebbe auf einem scheinbar ruhigen Meer.

Evolution ist dann "ontologisch", ein Attribut des Seins. Erst vor diesem Hintergrund wird die Formel "Schöpfung durch Evolution" mehr als ein billiges Versöhnungsangebot, das beiden Seiten zu ihrem Recht verhelfen möchte. Schöpfung geschieht "durch" Evolution - nicht "statt" und nicht "neben" ihr.

Was macht ein Schöpfer in einer evolutiven Welt? Er macht keine Dinge, sondern er macht, dass "die Dinge sich machen". Dieses "Dieu faisant se faire les choses" ist eine wirkmächtige und fruchtbare Formel Teilhards. Sie beinhaltet vier Elemente:

- Gottes Schöpfertätigkeit ist von anderer Art als das Tun eines Handwerkers. Er ermöglicht die Dinge, aber dirigiert sie weder, noch bastelt er sie zusammen.

- Die Dinge machen sich selber. Es ist wirklich die Aktivität der Dinge, die sie werden lässt. Das bedeutet ein Ernstnehmen der empirischen Kausalität, die auch dort vorhanden sein muss, wo wir sie noch nicht aufgedeckt haben. Schöpfung ist kein Ersatz für das Wissen um Ursachen. Das ist gerade für die Biologie im Hinblick auf die großen weißen Flecken etwa bei der Entstehung des Bewusstseins wichtig.

- Machen, dass die Dinge sich machen, heißt auch, den Dingen das Vermögen zu verleihen, mehr zu werden, als sie aus sich heraus sind. Gott schafft keine Kreaturen, er verleiht Kreativität. Und dazu ist es nötig, dass er den Dingen zuinnerst ist. Er ist nicht der lockere Chef, der sagt, die können das schon von alleine, und verschwindet, sondern der Anteil nehmende Chef, der sich trotz aller Freiheit, die er lässt, interessiert zeigt an allem, was geschieht, es fördert und bestärkt.

- Der Schöpfer ist darum eben nicht fern, weggegangen, in seinem Himmel, sondern er ist gegenwärtig, überall und in allem. Gott ist ständig - ganz - verschenkt. Das beinhaltet zweierlei: Er ist nicht nur gelegentlich und ein wenig präsent, sondern ständig und ganz. Und er besitzt die Souveränität: Schenken setzt Freiheit und Selbstbesitz voraus.

Die erneuernde Kraft des Menschen

Nun sollte klar werden, warum ich Evolution als einen Segen für die Theologie ansehe und nicht als Bedrohung. Eine solche Theologie steht überdies voll auf dem Boden der Bibel. Gewiss wäre es eine ahistorische Vergewaltigung, von einem mehr als zweieinhalb Jahrtausende alten Text evolutive Aussagen zu erwarten.

Aber es kann nachdenklich machen, dass die Schöpfungserzählung des ersten Kapitels der Genesis ein Wort für "Schaffen" verwendet, das allein Gott vorbehalten ist. Das zeigt doch wohl das feine Gespür des biblischen Verfassers, dass göttliche Schöpfertätigkeit etwas anderes ist als menschliche Herstellungskunst.

Die wohlbekannte Erzählung, wie der erste Mensch aus Ackerboden "gemacht" wird, ist kein Widerspruch dazu. Hier steht die mythologisch wichtige Gestalt des Töpfers im Mittelpunkt. Es geht mehr um das Hervorbringen von Gestalt aus dem Stoff, um den Prozess der Kreativität, als um das "Verfertigen" von Produkten.

Das wird besonders deutlich durch den Bezug auf einen anderen biblischen Text (Jer 18,5), wo das Bild vom immer wieder neue Gefäße formenden Töpfer darauf abzielt, die Hoffnung auf Gottes erneuernde Kraft im Menschen lebendig zu halten.

Neben einem moralischen Appell lässt sich hieraus auch eine Aussage über den göttlichen Akteur gewinnen. Gott handelt seiner Schöpfung gegenüber wie ein Künstler, der eine ihn bewegende Idee verwirklichen will. Das geschieht erst in der Auseinandersetzung mit dem Stoff.

Kein Platz für Schiller

Es braucht die Materie, damit die Idee Gestalt annimmt; die materielle Form ist mehr als nur eine Kopie des im Geist schon Vorhandenen. So wie der Künstler die Materie, den Stoff braucht, um seine Idee auszudrücken, braucht Gott die Eigentätigkeit der Geschöpfe, um seinen "Schöpfungsplan" hervorzubringen.

Dieser Schöpfungsplan ist also nicht schon vor allen Zeiten minutiös festgelegt worden. Gott "braucht" Geschöpfe, um sich an sie zu verschenken und sie dadurch auf den Weg der "schöpferischen Einigung" mit ihm zu ermächtigen.

Könnte sich Schönborn auf einen solchen "Schöpfungsplan" einlassen? Wohl nicht, wenn die Konsequenz davon lautet: In der modernen Kosmologie ist kein Platz mehr für Gott! Wie aber, wenn man mit dem Münchener Religionsphilosophen Richard Schaeffler darauf konterte: "Im Wallenstein ist auch kein Platz für Friedrich Schiller"?

Er kommt darin nicht vor, und doch ist jede Seite von ihm. Entsprechend könnte Gott beim Lesen im Buch der Welt Kontur gewinnen wie ein Dichter in seinem Werk - vielschichtig zwar und auch widersprüchlich, aber darum nicht minder nachhaltig.

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