25 Jahre D-1-Mission:Deutsche Pionierarbeit im All

Vor 25 Jahren stieg Deutschland mit einer eigenen Mission in die bemannte Raumfahrt ein. Die anfänglichen Hoffnungen haben sich zerschlagen, die Bilanz bleibt gemischt.

Alexander Stirn

Für die Amerikaner war Deutschlands Einstieg in die bemannte Raumfahrt ein Kuriosum. Das begann schon mit dem Namen Oberpfaffenhofen. Ausgerechnet von einem Ort namens Oberpfaffenhofen wollten die Deutschen ihre erste eigene Weltraummission kontrollieren. "Ein Name, so lang wie ein Countdown", spottete die New York Times.

Space Shuttle 'Challenger' - Mission D1

Die D-1-Besatzung 1985: Ernst Messerschmid (vorn beim Überschlag) und Reinhard Furrer (links). Mit an Bord der Raumfähre Challenger (von links): Die Amerikaner Bonnie Dunbar und Guion Bluford sowie der Niederländer Wubbo Ockels. Nicht im Bild: Die Amerikaner Henry Hartsfield, Steven Nagel und James Buchli.

(Foto: dpa)

Doch alle Häme half nichts: Am 30. Oktober 1985, Punkt 12 Uhr mittags, startete in Cape Canaveral die Raumfähre Challenger ins All - und mit ihr die Bundesrepublik. Die Deutschen hatten sich nicht damit zufrieden gegeben, zwei Astronauten an Bord zu bringen, sie hatten gleich das komplette Shuttle gechartert. Und sie verloren keine Zeit. Kaum im All angekommen, übernahm das Kontrollzentrum - in Oberpfaffenhofen.

D-1 hieß der Ausflug in 383 Kilometer Höhe. Er sollte Deutschland wissenschaftlich voranbringen. Eigentliches Ziel der Mission war aber, die wirtschaftliche und politische Position zu stärken. 25 Jahre später fällt die Bilanz daher gemischt aus. Viele Hoffnungen haben sich zerschlagen, geblieben ist vor allem die Führungsrolle in der bemannten Raumfahrt Europas - und die ist für Deutschland Bürde und Chance zugleich.

"Es war damals eine Zeit des Aufbruchs", erinnert sich Ernst Messerschmid, einer der beiden Deutschen unter den acht Astronauten an Bord von D-1. Geld schien keine Rolle zu spielen. Allein, um die Challenger eine Woche lang exklusiv zu nutzen, hatte die Bundesregierung rund 170 Millionen Mark an die Nasa überwiesen.

Weitere 230 Millionen verschlangen die Experimente, das Training und die rund 250 Experten in Oberpfaffenhofen. Zuvor waren bereits 1,2 Milliarden Mark in Bau und Entwicklung des Weltraumlabors Spacelab geflossen. Dieses galt zwar als europäisches Projekt, Deutschland hatte aber die Führungsrolle beansprucht.

Entsprechend vollgepackt war der Zeitplan an Bord. 76 Experimente sollten die Astronauten während ihres siebentägigen Flugs angehen, angeblich schlug nur eines davon fehl. Bundesforschungsminister Heinz Riesenhuber, der Mann mit der Fliege, jubelte im Anschluss über den "hundertprozentigen Erfolg" der Mission.

Ein Vierteljahrhundert später ist umstritten, was die damaligen Versuche wirklich gebracht haben. "Die Experimente waren vor allem Pionierarbeit", erinnert sich Berndt Feuerbacher, zu jener Zeit Direktor beim Institut für Raumsimulationen der Deutschen Versuchs- und Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt. "Wir haben Neuland betreten, aber auch Dinge gemacht, von denen die Menschen noch heute profitieren."

Ausgerechnet die Raumfahrtmedizin zählt Feuerbacher dazu - jene Disziplin, die häufig im Verdacht steht, Probleme zu untersuchen, die es ohne bemannte Raumfahrt gar nicht gäbe. So gehörte es zu den Aufgaben der D-1-Astronauten, auf einem Schlitten durchs Weltraumlabor zu sausen und dabei ihren Gleichgewichtssinn zu testen.

Verschoben und gestrichen

"Heute hilft uns das, Gleichgewichtsstörungen besser therapieren zu können", sagt Feuerbacher. Ähnliches gelte für den Knochenschwund, der im Weltall zehnmal so schnell abläuft wie auf der Erde - und dennoch nach Ende der Mission umkehrbar ist. "Dadurch haben wir Möglichkeiten bekommen, Alterskrankheiten wie Osteoporose entgegenzuwirken, zum Beispiel mit einer Vibrationsplattform", sagt Feuerbacher.

Explosion des Space Shuttles "Challenger", 1986

Am 28. Januar 1986 explodierte die Raumfähre Challenger kurz nach dem Start.

(Foto: AP)

Doch den großen wissenschaftlichen Durchbruch sucht man in den Annalen von D-1 vergebens. "Wissenschaft macht man nicht mit einer einzigen Mission, und anwendbare Ergebnisse erlangt man nicht mit nur einem oder zwei Versuchen", sagte damals Reinhard Furrer, der zweite, mittlerweile verstorbene Deutsche an Bord des Shuttles.

Zu der einst geplanten Serie deutscher Missionen kam es aber nicht: Drei Monate nach D-1 explodierte die Challenger, alle Shuttle-Flüge wurden gestoppt. Die zweite deutsche Mission, ursprünglich für 1988 geplant, verschob sich in das Jahr 1993 und kostete letztlich 900 Millionen Mark; D-3 und D-4 wurden komplett gestrichen.

Auch das europäische Raumlabor Columbus, eigentlich als direkter Nachfolger der deutschen Missionen gedacht, kam in Verzug. Erst im Februar 2008 konnte es ins All fliegen. Kontinuierliche Forschung sieht anders aus. Unerfüllt blieb auch die einstige Hoffnung, in der Schwerelosigkeit wertvolle Kristalle und Mineralien für die Industrie zu züchten: Bereits bei D-1 waren nur drei Unternehmen beteiligt, seither ist das Interesse nicht groß gestiegen.

Dennoch sieht Berndt Feuerbacher die Materialwissenschaften als große Gewinner der bemannten Raumfahrt: "Es geht nicht darum, Materialien im Weltall herzustellen, sondern Daten für Prozesse auf der Erde zu gewinnen." Extrem reine Kristalle, die während D-1 gezüchtet worden sind, seien für irdische Experten ein enormer Gewinn gewesen. Sie hätten den Forschern geholfen, den Aufbau solcher Materialien besser zu verstehen und die Kristallzucht von einer empirischen in eine theoretische Wissenschaft zu verwandeln. "Gerade diese indirekten Auswirkungen sind auch für die deutsche Industrie sehr wichtig", sagt Feuerbacher.

Dabei war Wissenschaft nur ein Grund, und vielleicht nicht einmal der wichtigste, warum Deutschland in den 80er-Jahren viele Milliarden Mark in die bemannte Raumfahrt steckte. "Deutschland wollte damals auch erreichen, dass sich die Europäische Raumfahrtagentur Esa auf diesem Gebiet engagiert", sagt Ex-Astronaut Messerschmid. Zu jener Zeit hatten die Esa-Mitgliedsstaaten große Probleme, sich auf ein gemeinsames Programm zu verständigen. Frankreich zum Beispiel hatte sich auf das lukrative Geschäft mit unbemannten Transportraketen konzentriert, Deutschland suchte seine Rolle. "Europa brauchte jemand, der voran ging", sagt Messerschmid.

Deutschlands Beitrag an der ISS

ISS

Die Internationale Raumstation ISS, die aus dem Projekt hervorgegangen ist, seit zehn Jahren bewohnt, die geschätzten Kosten sind auf 100 Milliarden Euro gestiegen.

(Foto: dpa)

Bundeskanzler Helmut Kohl übernahm diese Rolle: Neun Monate vor dem D-1-Start hatte die Bundesregierung beschlossen, sich am Aufbau der Internationalen Raumstation zu beteiligen - gegen den erbitterten Widerstand von Forschungsminister Riesenhuber, der keinen wissenschaftlichen Nutzen in der bemannten Raumfahrt sah.

Doch der Minister war chancenlos, genauso wie die sechs größten wissenschaftlichen Gesellschaften der Bundesrepublik, die sich ebenfalls gegen die Pläne stemmten. Kohl hatte US-Präsident Ronald Reagan und Frankreichs Präsident François Mitterand persönlich eine Beteiligung an dem gigantischen Projekt versprochen. Die Amerikaner brauchten Deutschland, um weitere internationale Partner ins Boot zu holen, die Franzosen erhofften sich zusätzliche Flüge für ihre Ariane-Raketen. Mit acht Milliarden Dollar wurde der orbitale Außenposten der Menschheit damals veranschlagt.

Mittlerweile ist die Internationale Raumstation ISS, die aus dem Projekt hervorgegangen ist, seit zehn Jahren bewohnt, die geschätzten Kosten sind auf 100 Milliarden Euro gestiegen. Mit einem Anteil von rund 40 Prozent am europäischen Beitrag ist Deutschland bis heute der größte Geldgeber unter den Esa-Staaten, weit mehr als 100 Millionen Euro jährlich fließen in den Orbit - die logische Folge einer Entwicklung, die mit D-1 den Anfang genommen hat.

Die deutschen Raumfahrtunternehmen freut das, schließlich fließen gut 90 Prozent der Ausgaben als Aufträge zurück ins Land. Die einst ersehnte Führungsrolle in der bemannten Raumfahrt ist aber auch eine Belastung: Selbst wenn es die Regierung wollte, ohne ernste internationale Auseinandersetzungen könnte Deutschland derzeit nicht aus dem geldfressenden ISS-Projekt aussteigen.

Ernst Messerschmid sieht das indes als große Errungenschaft seines Raumflugs von 1985. Letztlich habe D-1 geholfen, den Weg für eine europäische Zusammenarbeit unter dem Dach der Esa zu ebnen. "Alleine würde man solche Projekte vielleicht nicht anpacken, aber gemeinsam können und sollten wir sie uns leisten."

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