Island:Fluch des Erfolges

Auf Island ist erneuerbare Energie so erfolgreich und billig, dass Umweltaktivisten dagegen protestieren. Immer neue Wasserkraftwerke zerstören die Natur der Insel.

Von Daniel Münter

Islands bekanntester Fernsehjournalist hat eine Mission. Von der Hauptstadt Reykjavik aus tourt Ómar Ragnarsson in seinem Sportflugzeug durch das Land. Der 78-Jährige filmt, hält Vorträge, betreibt einen Internetblog. Ragnarsson möchte die Isländer für ihr eigenes Land begeistern. Er sorgt sich, dass die einmalige Natur der Insel im Nordatlantik durch die Gier nach immer mehr Ökostrom-Projekten verloren geht.

Island zeigt: Erneuerbare Energien können ein ganzes Land versorgen - und zwar so günstig, dass es zum Problem wird. Die Isländer beziehen Strom seit Jahrzehnten komplett aus Wasserkraft und heizen mit Wärme aus der Erde. Nicht der Umwelt oder des Klimas wegen, sondern weil das wenig kostet und die Vulkaninsel so von Energieimporten unabhängig ist. Fast nirgendwo in Europa ist Strom billiger als in Island. Der günstige Strom lockte internationale Aluminiumkonzerne an, die Arbeitsplätze und Wohlstand brachten. Die grüne Energie löste einen Boom aus.

Auch Ragnarsson unterstützte früher diesen Kurs. Doch 70 Prozent des Stroms auf Island gehen mittlerweile in die Schwerindustrie, und für jede neue Alu-Schmelze wird ein Wasserkraftwerk gebaut. Unter dem milchigen Gletscherwasser der Stauseen verschwindet einmalige Natur unwiederbringlich. Gegen das bisher größte Projekt organisierte Ragnarsson breiten Widerstand. Für umgerechnet mehr als eine Milliarde Euro wurde 2006 der gigantische Kárahnjúkar-Staudamm ins isländische Hochland gebaut. Alles für ein Werk des US-Konzerns Alcoa.

Trotz einer der größten Demonstrationen in der isländischen Geschichte konnte die Umweltbewegung den Bau nicht verhindern. Doch Kárahnjúkar war ein Weckruf. Mehr und mehr Isländer wenden sich heute gegen Pläne der staatlichen Energiefirma, die Kapazität zur Erzeugung von Wasserkraft noch einmal zu verdoppeln.

"Wir haben 1100 Jahre in diesem Land überlebt, indem wir alles Greifbare benutzt haben, immer sofort!", sagt Ragnarsson etwas verbittert. "Es wurde so viel Fisch gefangen wie möglich. Alle Naturschätze wollten wir sofort erschließen." Von dieser Mentalität müssten die Isländer Abstand nehmen, glaubt er. "Und erkennen, dass der größte Naturschatz dieses einmalige Land selbst ist." Wenn die Isländer das eines Tages begreifen, dann war die Mission des Ómar Ragnarsson nicht vergeblich.

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