Interview:"Viele Kuriere landeten im Gefängnis"

Bibliothekar Abdel Kader Haïdara über die abenteuerliche und eine Million Euro teure Rettungsaktion für die Manuskripte von Timbuktu.

Interview von Hubert Filser

Abdel Kader Haïdara schmuggelte die Manuskripte in Metallkisten aus Timbuktu. Für seinen Einsatz bekam er vergangenes Jahr den Deutschen Afrika-Preis.

SZ: Wann wurde Ihnen klar, dass die Islamisten von Ansar Dine auch die Bibliotheken zerstören wollten?

Haïdara: Als ich durch das Verwaltungsviertel von Timbuktu lief, lag überall Papier von den Plünderungen. Ich spürte, dass sich die Dinge nicht gut entwickelten. Aber wir gingen davon aus, dass bald internationale Hilfe käme. Da passierte aber nichts. Also mussten wir selbst handeln.

Wie organisierten Sie die Evakuierung?

Anfangs mit 12 000 Euro aus einem Stipendium, das von der Ford-Stiftung bewilligt worden war: Ich sollte Englisch lernen. Damit kauften wir in Mopti auf dem Markt die ersten 400 Metallkisten. Alle 35 Familien in Timbuktu, die Schriften besaßen, beteiligten sich an der Aktion. Wir teilten gut 100 Leute in drei Gruppen, ein Teil blieb in Timbuktu, Kuriere bildeten die zweite Gruppe, und die dritte war in Bamako, der Hauptstadt. Die Leute tauschten wir ständig aus. Wir wollten so wenig Aufmerksamkeit wie möglich erregen.

Zur Person

Abdel Kader Haïdara, ist Leiter der großen Mamma-Haïdara-Bibliothek in Timbuktu. Er studierte in Marokko Bibliothekswesen und ist Mitglied einer einflussreichen Familie in Mali.

Die gesamte Operation kostete eine Million Dollar. Was war so teuer?

Wir mussten den Transport bezahlen, die Kontrollposten mussten Geschenke bekommen, sonst hätten wir bei den Kontrollen die Kisten nicht selbst öffnen und die brüchigen Manuskripte herausholen und wieder einpacken dürfen.

Waren die Manuskripte in Bamako in Sicherheit?

Nein, da war es zunächst noch gefährlicher. Da kamen immer wieder Kuriere mitsamt den Manuskripten ins Gefängnis. Ich holte die Leute dort wieder raus. Auch das funktionierte nur mit Geschenken. Wir schliefen nicht mehr, ich nahm Medikamente, um wach zu bleiben. Wir setzten unser Leben aufs Spiel.

Was hat Sie angetrieben?

Ich war der Erste, der in Afrika eine private Bibliothek mit Manuskripten gegründet hat. Dafür musste ich meine Familie begeistern. Dann überzeugte ich die anderen Familien aus Timbuktu, damit sie ihre alten Manuskripte holten, die sie oder ihre Väter irgendwann zu Kolonialzeiten in Höhlen, in zugemauerten Räumen ihrer Häuser oder in der Wüste versteckt hatten. Ich hatte einen Verein der Manuskriptbesitzer gegründet. Deshalb fühlte ich mich verantwortlich für das Schicksal der Schriften.

Interview: "Wir mussten selbst handeln", sagt Abdel Kader Haïdara.

"Wir mussten selbst handeln", sagt Abdel Kader Haïdara.

(Foto: Stephan Brendgen)

Eine große Verantwortung.

Ja, das war eine schwere Last. Aber die Verantwortung hat mir auch sehr viel Mut gegeben. Jetzt sage ich Ihnen noch etwas: Sehen Sie hier meine weißen Haare? Als ich mit der Rettungsaktion anfing, hatte ich kein einziges weißes Haar.

Half Ihnen denn die Unesco?

Als unsere Evakuierung bereits vier Monate lief, gab die Unesco in Paris öffentlich bekannt, dass die Handschriften bedroht seien. Die Dschihadisten bekamen dadurch erst mit, wie wertvoll sie sind. Wir mussten unsere Evakuierung für drei bis vier Wochen stoppen. Ich rief bei der Unesco an und sagte den Verantwortlichen: Achtung, Sie gefährden unsere Arbeit! Die waren dann erst sehr irritiert, dann teilten sie mit, dass ich täglich anrufen und den aktuellen Stand der Dinge mitteilen solle. Okay, sagte ich. Die Hilfe der Unesco bestand darin, nicht mehr zu kommunizieren.

Wann werden die Schriften nach Timbuktu zurückkehren?

Allein die Notmaßnahmen zur Erhaltung der zerbrechlichen Dokumente dauern noch ein oder zwei Jahre. Wenn das abgeschlossen ist, können die Schriften vielleicht in die Bibliotheken zurückkehren.

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