Interview mit Nobelpreisträger Stefan Hell:"Das Feld hat sich stürmisch entwickelt"

Strukturen, die kleiner sind als die Wellenlänge von Licht? So etwas kann man nicht sichtbar machen, hieß es lange. Doch der Chemie-Nobelpreisträger Stefan Hell hat die Gesetze der Optik ausgetrickst.

Von Christopher Schrader

Der rumäniendeutsche Physiker Stefan Hell hat den diesjährigen Nobelpreis für Chemie erhalten. Dank seiner Mikroskopie-Technik können kleinste Vorgänge in lebenden Zellen sichtbar gemacht werden. Hell forscht am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen.

Süddeutsche.de: Guten Tag, Herr Professor Hell, und herzlichen Glückwunsch zum Nobelpreis. Haben Sie damit gerechnet?

Stefan Hell: Ich wusste, dass das ein wichtiges Forschungsfeld ist und habe mich riesig gefreut, dass es ausgezeichnet wird. Aber mit dem Nobelpreis kann man nicht rechnen.

Sie galten eher als Kandidat für den Nobelpreis für Physik.

Das Problem ist tatsächlich auch primär physikalisch, es geht um die Beugungsgrenze von Licht. Aber ich habe es umgangen, in dem ich die Strukturen, die ich abbilden will, nicht mehr mit Licht zu trennen versuche, sondern nach dem Zustand der Moleküle. Und es gibt inzwischen etliche abgewandelte Verfahren mit Molekülen. Da wird es dann sehr chemisch. Das Feld hat sich stürmisch entwickelt.

Der Clou ist ja, dass Sie das Leuchten der Moleküle erst an und dann bei den meisten schnell wieder abschalten. Wissen Sie noch, wie Sie die Idee dazu hatten?

Es war lange eine Art Bauchgefühl da, dass die Beugungsgrenzen mit irgendeiner physikalischen Methode zu brechen wären. Sie waren schließlich das einzige, aber fundamentale Problem, das der Entwicklung besserer Lichtmikroskope im Wege stand. Viele Physiker hatten sich damit abgefunden. Ich konnte das nicht glauben, seit 1873 hatte es doch so viel neue Physik gegeben. 1993 bin ich dann fündig geworden.

So funktioniert die Fluoreszenz-Mikroskopie

Lichtmikroskope konnten bis vor wenigen Jahren keine Objekte vergrößern, die kleiner als 0,2 Mikrometer groß sind. Diese physikalische Grenze postulierte der Optiker Ernst Abbe 1873.

Dem Physiker Stefan Hell ist es gelungen, diese Grenze zu überwinden. Mit seiner Technik können jetzt auch winzige Strukturen wie Mitochondrien in lebenden Zellen mit Lichtmikroskopen vergrößert und in Echtzeit beobachtet werden.

Hell baute einen Laser in sein Mikroskop ein, der Proben zum Nachleuchten bringt, und einen zweiten, der den Molekülen ihre Erregung wieder nimmt. Die zweite Lichtquelle lässt das Nachleuchten nur in einem Millionstel Millimeter großen Ausschnitt zu, der nicht mehr an das Abbe-Limit gebunden ist. Je intensiver der Laserstrahl, umso besser wurde nun die erzielbare Auflösung. So hatte Hell das Tor zur Nanoskopie aufgestoßen.

Sie sind ja ein Spätaussiedler, ein Banater Schwabe. Wie hat das Ihr Leben beeinflusst?

Ja, man kann mich ohne diesen Hintergrund wahrscheinlich gar nicht verstehen. Ich stamme aus einem kleinen Dorf in Rumänien und bin mit 15 Jahren nach Deutschland gekommen. Vorher war ich in Temeswar übrigens auf dem gleichen Gymnasium wie die Literatur-Nobelpreisträgern Herta Müller. Sie ist etwas älter als ich.

Und wie war es, Ende der 1970er-Jahre in Deutschland anzukommen?

Es war eine Riesenbefreiung. Rumänien war ein kommunistisches Land, in dem man nicht alles sagen durfte. Und es war toll, in einem Land zu leben, in dem meine Muttersprache die Landessprache war. Bei uns zu Hause wurde schließlich Deutsch gesprochen und ich fühlte mich als Deutscher.

Fiel Ihnen der Einstieg leicht?

Es gab schon ein paar Schwierigkeiten, Fuß zu fassen. Aber ich merkte dann schnell, dass ich in Temeswar auf eine sehr gute Schule gegangen war. Als ich in Ludwigshafen in die neunte Klasse gekommen bin, war ich meinen Mitschülern in Physik, Biologie und Chemie ein Jahr voraus.

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