Interview mit Alexander Gerst:"Eine kleine, zerbrechliche Oase"

Außenarbeiten an der ISS

Der deutsche Astronaut Alexander Gerst bei Außenarbeiten an der Internationalen Raumstation ISS

(Foto: dpa)

Verlorene Löffel, gerettete Experimente und Fotos von Israel und Palästina: Nach einem halben Jahr im All erklärt Alexander Gerst im Interview, wie der Weltraum den Blick auf die Erde verändert - und warum Geld für die Raumfahrt eine gute Investition ist.

Von Alexander Stirn

Exakt 2566 Mal hat der deutsche Astronaut Alexander Gerst im vergangenen halben Jahr die Erde umrundet. Er hat in 400 Kilometer Höhe an Bord der Internationalen Raumstation ISS gelebt, geforscht, gearbeitet. Nach seiner Landung in der vergangenen Woche ist der Geophysiker nun zurück im Kölner Astronautenzentrum der Europäischen Raumfahrtagentur Esa.

SZ: Herr Gerst, wie oft sind Sie in den vergangenen Tagen schon gepikst, vermessen, untersucht worden?

Alexander Gerst: Unzählige Male. Hier läuft das komplette Programm ab: Blut-, Speichel-, Urinproben, Ultraschall von Venen und Arterien, Augenuntersuchungen, sogar eine Tomografie der Wirbelsäule.

Warum der ganze Aufwand? Sie sehen doch fit und gesund aus.

Bei unseren Missionen gehen wir unter anderem der Frage nach, wie sich der Aufenthalt im All auf den Körper auswirkt. Wir werden daher vor dem Start untersucht, machen das auf der Raumstation selbst, und nun werden wieder Daten erhoben.

Macht das noch Spaß?

Wenn einem zum fünften Mal Blut abgenommen wird, ist der Spaß vielleicht nicht mehr ganz so groß. Andererseits weiß ich, dass damit die Datensammlung komplettiert wird. Ich weiß, dass ich etwas Wichtiges zu einem erfolgreichen Ende bringe - und das macht dann schon Spaß.

Wären Sie nicht ganz gerne wieder im All? Mehr Ruhe, maximal fünf Leute um Sie herum...

Nein. Natürlich denkt man sich manchmal: Ein bisschen ruhiger könnte es jetzt schon sein. Doch es liegt in der Natur der Sache, dass es in den ersten Tagen nach der Rückkehr wilder zugeht. Das halbe Jahr auf der Raumstation war toll, das möchte ich nicht missen. Aber es fühlt sich gut an, wieder in meiner Heimat zu sein.

Der Ausblick war auf der ISS aber besser, oder?

Klar, keine Frage. Hier im Kölner Herbst blicke ich auf etwas traurig aussehende Bäume, die schon alle ihre Blätter verloren haben. Letztlich macht mir dieses Schmuddelwetter aber nichts aus. Es klingt vielleicht komisch, aber ich freue mich, Regen auf meiner Haut zu spüren, auch wenn es ein grauer Herbstregen ist. Ich freue mich, den Wald und die heruntergefallenen Blätter zu riechen. Das ist toll. Das sind Dinge, die mir sehr gefehlt haben.

Was macht es mit einem, wenn man die Erde durch die Fenster der Raumstation beobachtet?

Es ist einfach die andere Perspektive. Als Geophysiker war mir klar, wie die Erde und ihre Atmosphäre aufgebaut sind. Theoretisch habe ich daher durch den Blick aus dem Fenster nicht viel Neues gesehen. Aber das Gefühl, der Blickwinkel, die Sichtweise, das ist schon faszinierend. Man erkennt, dass die Erde wirklich nur eine Ansammlung aus kosmischem Staub ist, der sich zu einem Felsen verklumpt hat und über dem eine hauchdünne, zerbrechlich wirkende Atmosphäre liegt. Um das zu begreifen, habe ich den Blick aus dem Fenster gebraucht. Das ist etwas, das prägt, das ich nicht vergessen werde.

Leben im All

Alexander Gerst, geb. 1976 in Künzelsau, wurde 2009 ins Europäische Astronautenkorps berufen. Im Mai 2014 startete er zu seiner 166-Tage-Reise ins All.

(Foto: dpa)

Wird es auf Dauer nicht langweilig?

Im Gegenteil. Die Aussicht ist nicht nur unglaublich schön, sie verändert sich auch unglaublich stark. Jedes Mal, wenn man auf die Erde herunterschaut, sieht sie anders aus. Jeder Blickwinkel, jeder Sonnenstand, jede Bahn der ISS macht einen kleinen Unterschied.

Auch nachts?

In Vollmondnächten ist die Erde von einem fahlen Licht erleuchtet, das ist einfach magisch. Dann gibt es komplett dunkle Nächte, in denen die Erde wie eine schwarze Kugel über einem zu schweben scheint. Das wirkt beinahe bedrohlich. Dann fliegt man über die Tropen und sieht Hunderte Blitze in der Minute - manchmal so hell, dass sie die Außenhülle der Raumstation erleuchten. Jedes Mal, wenn man rausschaut, entdeckt man etwas Neues.Das ist unvorstellbar. Mein heimlicher Wunsch wäre, dass jeder Mensch die Erde einmal so sehen könnte.

Fast 200 000 Follower bei Twitter

German Astronaut Alexander Gerst Aboard The International Space Station

Polarlichter in der Erdatmosphäre: eines der vielen Fotos, die Alexander Gerst von der ISS zur Erde schickte

(Foto: ESA via Getty Images)

Das wird wohl noch dauern. Stattdessen haben Sie die Menschen über soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter an Ihren Erlebnissen teilhaben lassen.

Das war mir sehr wichtig, auch wenn es keinen konkreten Plan hinter all dem gab. Ich habe einfach Bilder geteilt, die mir selbst gefallen haben. Ich habe das aufgeschrieben, was mir in den Sinn gekommen ist.

Aber Sie haben nicht selbst getwittert?

Doch, klar. Die Texte habe ich selbst geschrieben und dann mit den Bildern per E-Mail an mein Team am Boden geschickt. Die haben es dann online gestellt. Im Gegenzug wurden mir die Reaktionen der Menschen weitergeleitet. Ein paarmal habe ich auch versucht, mich einzuloggen, aber meistens war die Internetverbindung an Bord der ISS dafür zu instabil.

Und, sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?

Ich hätte nie gedacht, dass das so erfolgreich sein würde: fast 200 000 Follower bei Twitter, noch mehr bei Facebook. Wenn ich sehe, wie viele Leute diesen Blickwinkel offenbar als neu und wertvoll empfunden haben, macht mich das sehr glücklich. Das ist für mich das größte Kompliment.

"Mein traurigstes Foto" haben Sie eines Ihrer Bilder überschrieben. Es zeigt Explosionen und Raketen in Gaza und Israel. Eine politische Botschaft aus dem All?

Ich sehe darin gar keine politische Aussage, für mich ist das vielmehr eine humanistische Botschaft: Wenn man von außen auf unseren Planeten schaut, auf diese kleine und zerbrechliche Oase, dann ist es völlig unlogisch, unverständlich und grotesk, dass wir uns gegenseitig bekriegen und unsere Umwelt verschmutzen.

Und das wollten Sie anprangern?

Ich will den Leuten nicht sagen, was sie zu tun und zu lassen haben. Das ist nicht meine Art und nicht meine Aufgabe, ich bin kein Moralapostel. Für mich war es in dem Moment aber wichtig, diese Perspektive von außen zu teilen, diesen Gedanken zu teilen.

Ist twittern wichtiger als Wissenschaft?

Nein, sowohl die Wissenschaft als auch das Entdecken einer neuen Perspektive sind wichtige Gründe, warum wir in den Weltraum fliegen. Ich möchte das gar nicht vergleichen.

Was war das wichtigste Experiment, das Sie auf der Station gestartet haben?

Es wäre unfair, da eines rauszupicken. Wir hatten zum Beispiel viele Experimente zur Reaktion des Immunsystems, die ich persönlich sehr wichtig finde. Da geht es um Salmonellen, multiresistente Bakterien, Krebsforschung. Das sind Experimente, die finden in kleinen, relativ unscheinbaren Boxen statt.. Da raucht nichts, da knallt nichts, und dennoch ist das höchst relevant für alle Menschen auf der Erde.

Fiebern Sie bei solchen Versuchen mit?

Bei vielen Versuchen muss ich einfach nur eine Flüssigkeit aus der Krebstherapie auf Zellen verteilen und das Experiment anschließend wieder im Kühlfach verstauen. Da reicht es mir zu wissen, dass das ein wichtiger Versuch ist, dass ich ihn ordentlich durchführe, dass er tadellos funktioniert. Dann gibt es Experimente wie unseren Elektromagnetischen Levitator (EML), in den ich viel Arbeit und Herzblut gesteckt habe, um ihn zum Laufen zu bringen.

Wo lag das Problem?

Mit dem EML wollen wir metallische Schmelzen in der Schwerelosigkeit untersuchen - in der Hoffnung, neuartige Legierungen zum Beispiel für Flugzeugturbinen auf der Erde einfacher entwickeln zu können. Als ich das Gerät in Betrieb nehmen wollte, klemmte allerdings ein Sicherungsbolzen. Er hätte das Experiment beinahe zum Scheitern gebracht.

Wie konnten Sie es retten?

Mit einer sehr kreativen Lösung, die wir gemeinsam mit der Bodenkontrolle entwickelt hatten: Ich nahm eine Sägeblatt und ein Multifunktionswerkzeug. Zudem sprühte ich das Ganze mit Rasierschaum ein, sodass keine Sägespäne durch die Raumstation schweben konnten. Das war ein Tag Arbeit, hat aber viel Spaß gemacht. und gehörte zu den befriedigendsten Dingen, die ich dort oben erledigen konnte. Außerdem zeigt es: Kreative Menschen können im All Probleme lösen, die einen unbemannten Satelliten zum Scheitern gebracht hätten.

"Wir Menschen waren schon immer Entdecker"

German Astronaut Alexander Gerst Aboard The International Space Station

Auch bei seinem Ausflug an die Außenwand der ISS fotografierte Gerst

(Foto: ESA via Getty Images)

Etwa 130 Millionen Euro gibt allein Deutschland jährlich für den Betrieb der ISS aus. Ist es das wert?

Ja, selbstverständlich. Wir schießen das Geld ja nicht in den Weltraum, sondern finanzieren damit in Deutschland die Entwicklung neuer Technologien. Als Gesellschaft - ganz besonders in einem Hochtechnologieland mit wenig eigenen Rohstoffen - sind wir auf diese Ideen angewiesen. Hinzu kommt die Wissenschaft an Bord der ISS, die neuen Medikamente, die internationale Zusammenarbeit und nicht zuletzt die Tatsache, dass wir Menschen schon immer Entdecker waren: Sobald wir Flöße bauen konnten, sind wir über Flüsse gefahren. Sobald wir Schiffe bauen konnten, sind wir hinter den Horizont gesegelt. Sobald wir fliegen konnten, sind wir geflogen. Und jetzt können wir Raumschiffe bauen, also fliegen wir in den Weltraum, um ihn zu entdecken.

Der deutsche Beitrag für zwei Jahre ISS würde reichen, um eine weitere Sonde wie Philae zu bauen, die gerade Millionen Menschen mit ihrer Landung auf einem Kometen begeistert hat.

Das eine kann das andere doch nicht ersetzen. Es wäre sogar schädlich, sich nur auf ein Feld zu konzentrieren. Weder die bemannte noch die robotische Raumfahrt dürfen vernachlässigt werden.

Menschen im All können nicht nur Probleme lösen, sie können auch Probleme verursachen. Wie war die Stimmung in Ihrer Crew?

Herzlich. Wir haben viel Spaß gehabt.

Kein Ärger, keine Streitereien, kein böses Wort? Echt nicht?

Selbst, wenn es einmal eine Situation gab, die einer von uns nicht so toll fand, haben wir zwei Minuten später darüber gelacht. Wirklich. Das lag vielleicht daran, dass wir alle einen ähnlichen Humor haben. Außerdem mussten wir einander nichts vormachen, niemand musste beweisen, wie toll er ist und wie stark. Im Gegenteil: Wenn jemandem ein peinliches Missgeschick widerfuhr, war das ein beliebtes Gesprächsthema - und Anlass immer wieder gemeinsam darüber zu lachen.

Was ist Ihnen denn so passiert?

Mir sind in der Schwerelosigkeit zum Beispiel alle möglichen Dinge davon geschwebt, ein MP3-Player oder mein persönlicher Löffel. Der war zwei Wochen verschwunden, dann hat ihn Max Surajew, unser Kommandant, wieder gefunden. Einen Tag später habe ich den Löffel erneut verloren. Das war mir schon etwas peinlich. Aber anschließend darüber zu lachen - das waren genau die Momente, die das Leben an Bord der Station so angenehm gemacht haben.

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