Interview:Die Globalisierung hat längst den Bio-Markt vereinnahmt

Bio-Äpfel aus Argentinien, Öko-Tomaten aus Afrika, der Markt verändert sich. Agrarökonom Ulrich Hamm skizziert den weiteren Weg.

Interview: Sebastian Herrmann

Die Discounter sind in den Öko-Lebensmittelmarkt eingestiegen, die Branche wächst. Wirbelt das den Markt durcheinander?

Interview: "Die meisten Bio-Produkte, die wir von außerhalb der EU importieren, sind solche, die wir selbst nicht erzeugen können."

"Die meisten Bio-Produkte, die wir von außerhalb der EU importieren, sind solche, die wir selbst nicht erzeugen können."

(Foto: Foto: AP)

Die Nachfrage ist bei manchen Produkten so hoch, dass die Erzeuger Lieferschwierigkeiten haben. Aber eine vergleichbare Entwicklung haben wir im Öko-Landbau immer wieder mal gehabt. Das ist immer noch ein sehr kleiner Markt - schon geringfügige Änderungen bei Angebot oder Nachfrage haben große Auswirkungen. Und nun sind eben die Discounter eingestiegen, das bewegt viel.

Lidl kauft seine Öko-Milch in Dänemark und Österreich. Bio-Erdbeeren kommen aus Spanien, Öko-Äpfel aus Übersee. Mit dem Prinzip der Regionalität ist das nicht vereinbar. Wird die Internationalisierung des Marktes zunehmen?

Grundsätzlich werden wir diesen Trend etwa bei Obst und Gemüse weiter beobachten können. Argentinien ist zum Beispiel ein wichtiges Lieferland für verschiedene Obstsorten.

Können wir nicht die gleiche Bio-Ware aus der eigenen Region beziehen?

Die meisten Bio-Produkte, die wir von außerhalb der EU importieren, sind solche, die wir selbst nicht erzeugen können. Die Verbraucher wollen alles in Öko-Qualität haben, was sie auch konventionell kennen: Bananen, Kaffee, Tee, Ananas, tropische Produkte.

Das gilt aber nicht für Äpfel, die müssten doch nicht importiert werden.

Doch, zu bestimmten Zeiten. Denn der zweite große Bereich im Import sind die so genannten Off-Season-Produkte: Das ist Obst und Gemüse, das von der Südhalbkugel stammt und dann frisch ist, wenn es bei uns nicht frisch zu haben ist - Trauben, Erdbeeren, Äpfel, Birnen. Die wichtigsten Lieferländer im Öko-Bereich sind für uns Argentinien, Chile, Südafrika, Australien, Neuseeland.

Machen die den heimischen Bio-Bauern nicht zunehmend Konkurrenz?

Nein, das ist bislang alles saisonale Ergänzung. Die Öko-Puristen sagen natürlich, was soll einer Ananas essen, die importiert werden muss, er könnte ja auch einen Apfel essen. Aber es gibt auch einen direkten Wettbewerb, vor allem mit unseren EU-Nachbarländern, da ist die Konkurrenz am härtesten. Und dann, je nach Produkt, auch mit Osteuropa oder Nordafrika. Bio-Tomaten kommen nicht mehr nur in der Vorsaison, sondern auch in der Saison aus Ägypten, Marokko, Algerien. Israel ist für Avocados und Möhren ein wichtiges Lieferland.

Welche Vorteile haben Erzeuger in diesen Ländern gegenüber heimischen Bauern?

Vor allem einen zeitlichen. Wenn etwa der erste Spargel - egal woher - auf den Markt kommt, dann lechzen alle danach und kaufen. Wenn dann der erste deutsche Spargel verkauft wird, haben viele schon genug. Das Gleiche gilt für Erdbeeren und Frühkartoffeln. Das ist jedes Jahr das gleiche Spiel und vollzieht sich nun auch bei der Öko-Ware.

Kann ich einer Öko-Tomate aus Afrika oder Obst aus Übersee überhaupt trauen?

Da mache ich mir überhaupt keine Sorgen. Lieferländer wie Argentinien oder Costa Rica, die sich jetzt im Ökobereich einen Namen gemacht haben, werden peinlich genau darauf achten, dass nichts schief läuft. Bei der kleinsten Betrügerei verlieren die ein sehr großes Geschäft und einen lukrativen Wachstumsmarkt. Diese Länder kontrollieren in der Regel noch viel schärfer als wir innerhalb der EU. Der große Unterschied zu Europa ist, dass sie teilweise ihre ganze Öko-Produktion exportieren, da sie keinen Binnenmarkt haben. Wenn sich da einer was zu schulden kommen lässt, dann bricht denen der ganze Markt zusammen. Bei kleinen Kooperativen oder Initiativen in Entwicklungsländern muss man vielleicht sorgfältiger kontrollieren. Dafür würde ich meine Hand nicht so ins Feuer legen. Aber auch die werden nach EU-Verordnung überprüft. Ich schätze die Chance, dass da betrogen wird, nicht höher ein als bei uns in Europa.

Womit wird am ehesten betrogen?

Die meisten Skandale gab es immer im Kern Europas. Bei Getreide zum Beispiel. Meistens waren das aber keine Erzeuger, sondern Händler, die durch die großen Preisdifferenzen zwischen konventionell und ökologisch hergestellten Produkten in Versuchung geraten sind und Papiere gefälscht haben.

Wird jetzt die Versuchung zu betrügen durch die rasch wachsende Nachfrage der Discounter vielleicht zunehmen?

Nein, im Gegenteil. Wenn Aldi Süd nicht mehr kauft, verlieren die Produzenten ja richtig viel, das lässt sich mit der Situation von Lieferländern ohne Binnenmarkt vergleichen. Auch auf ihre Bio-Eigenmarken werden die Händler peinlichst aufpassen.

Und trotzdem wird der Marktdruck der Discounter die Öko-Erzeuger in Deutschland verändern?

Die Marktgesetze wirken überall gleich. Deshalb ist völlig klar, dass kleine Bio-Betriebe unter Druck geraten. Der so genannte Strukturwandel und die Spezialisierung greifen auch im Öko-Bereich.

Müssen wir uns also von der Bio-Bauern-Romantik verabschieden?

Die Heidi-Idylle entsprach nie der Realität. Diese Bilder aus der Werbung haben im konventionellen Bereich nie gestimmt und im Bio-Bereich war das nie viel anders.

Ulrich Hamm, Experte für Agrar- und Lebensmittel-Marketing im Öko-Bereich, lehrt und forscht an der Universität Kassel in Witzenhausen.

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