Intelligenz bei Tieren:Achtarmige Bauherren

Was Affen und Krähen können, gelingt dem Oktopus spielend. Der Meeresbewohner benutzt Werkzeug - und zwar mit Weitsicht und Charakter.

Tina Baier

Als Julian Finn den Stelzengang des Oktopus zum ersten Mal sah, bekam er unter Wasser einen Lachanfall. Das Tier war dem Wissenschaftler aufgefallen, weil es vor der Küste von Sulawesi geschäftig Kokosnusshälften aufeinanderstapelte, die irgendjemand ins Meer geworfen hatte. Als der Ader-Oktopus damit fertig war, schwang er seinen glibbrigen Körper in die oberste Schale, wurstelte seine acht Arme nach draußen, versteifte sie und rannte wie auf Stelzen davon. Später setzte er die Schalen zu einer hohlen Kugel zusammen, um sich darin zu verstecken (Current Biology, online).

Intelligenz bei Tieren: Im Eigenheim: Bei Gefahr versteckt sich der Oktopus in der Kokusnuss.

Im Eigenheim: Bei Gefahr versteckt sich der Oktopus in der Kokusnuss.

(Foto: Foto: AFP)

Dieses Verhalten beobachteten Finn und seine Kollegen vom Museum Victoria in Melbourne noch bei drei weiteren Exemplaren. Sie sind überzeugt, damit erstmals den Gebrauch von Werkzeug bei einem wirbellosen Tier beobachtet zu haben. Das Verhalten der Tintenfische ist so besonders, weil sich die Tiere die Kokosschalen sichern, um sie erst zu einem späteren Zeitpunkt zu nutzen. Bis dahin sind ihnen die Kokosnüsse sogar eher hinderlich. Das ist eine viel größere Denkleistung als etwa die eines Einsiedlerkrebses, der in ein leerstehendes Schneckenhaus krabbelt, um es sofort als Schutzhöhle zu benutzen. Verhaltensforscher lassen das nicht als Werkzeuggebrauch gelten. Denn das Haus des Krebses ist permanent in Gebrauch, während ein echtes Werkzeug der Definition nach keinen Nutzen hat, bis es in einer bestimmten Situation benötigt wird.

Das Verhalten der Tintenfische ist auch keine Antwort auf ein unmittelbares Bedürfnis, denn zum Zeitpunkt des Sammelns bestand keine Gefahr. Die Tiere scheinen also zu wissen, dass sie in Zukunft schutzbedürftig sein werden und die Kokosschalen dann gut gebrauchen können. Aus diesem Grund ist die kognitive Leistung der Tintenfische möglicherweise sogar größer als die eines Schimpansen, der mit einem Stock nach Termiten angelt, um ein unmittelbares Bedürfnis, nämlich Hunger, zu stillen. Sie ist wohl eher vergleichbar mit der Weitsicht von Delphinen, die dabei beobachtet wurden, kleine Schwämme mit sich herumzutragen, um sie später bei der Futtersuche als Schutz für ihre empfindlichen Nasen zu benutzen.

Im Video: Manche Tintenfische vor der indonesischen Küste benutzen ins Wasser gefallene Kokosnuss-Schalen, um sich zu verstecken. Weitere Videos finden Sie hier

Dass Tintenfische viel intelligenter sind als ihre nahe Verwandtschaft zu Schnecken und Muscheln vermuten lässt, ist schon länger bekannt. Im Gegensatz zu ihren Verwandten haben sie ein großes Gehirn mit gefalteten Lappen. Sie können gut sehen und mithilfe ihrer Tentakeln schmecken und riechen. Da sie weder Knochen noch Gräten haben, können sich auch große Exemplare durch kleine Spalten zwängen. Taucher, die Kraken begegnen, sind beeindruckt vom intelligenten Ausdruck ihrer Augen, die ihr Gegenüber zu beobachten scheinen. Berüchtigt ist auch die Neugierde mancher Exemplare: Anstatt zu fliehen untersuchen sie den Taucher und seine Ausrüstung, indem sie ihn minutenlang mit ihren Tentakeln abtasten.

Auf der Flucht sind Tintenfische extrem kreativ. Ein Oktopus, der einem Feind entkommen muss, kombiniert verschiedene Taktiken, die je nach Situation immer wieder unterschiedlich sind. Er kann erst weiß werden und sich aufblähen, um seinem Gegner einen Schrecken einzujagen, dann Tinte versprühen, um ihn zu verwirren, anschließend im Zickzack flüchten und sich wenig später in einem Korallenriff verstecken, wo er seine Körperfarbe der Umgebung so perfekt anpasst, dass er fast unsichtbar wird.

Über Oktopoden in Gefangenschaft gibt es unzählige Geschichten: Sie legen sich in einen Hinterhalt und spucken Menschen, die ihnen zu nahe kommen, ins Gesicht; andere zerlegen die Pumpen ihrer Aquarien oder blockieren den Abfluss. Einige sollen dabei erwischt worden sein, wie sie in der Nacht ihren Tank verließen, sich in ein anderes Aquarium schlichen, dort alles auffraßen, was ihnen in die Quere kam und sich dann in ihren eigenen Tank zurückzogen. Wären nicht die verräterischen Schleim- und Wasserspuren gewesen, man wäre ihnen nie auf die Schliche gekommen.

Andere Oktopus-Exemplare lernen zum Beispiel, mit zwei ihrer acht Arme Gläser mit Drehverschluss zu öffnen. Zudem scheinen Oktopoden so etwas wie Persönlichkeit zu besitzen. Diesen Schluss legt unter anderem ein Experiment nahe, in dem die Tiere mit dem Anblick eines Raubvogels über ihrem Aquarium konfrontiert wurden. Die meisten versteckten sich sofort ängstlich; einer aber versprühte einfach eine Ladung Tinte und schwamm im Schutz der Farbwolke ungerührt weiter.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: