Insektenforschung in Dachau:Nazis erprobten Moskitos zur Kriegsführung

Mücke beim Stich

Die Anopheles-Mücke ist die Überträgerin der Malaria - in Dachau experimentierten Nazi-Wissenschaftler mit den Insekten

(Foto: dpa)

Krieg der Mücken: Die Nazis überlegten laut einem Biologen der Uni Tübingen, mit Malaria infizierte Moskitos über feindlichem Gebiet auszusetzen. Die Forschung dazu musste im Geheimen stattfinden.

Von Christoph Behrens

Die Waffen-SS hat gegen Ende des Zweiten Weltkriegs an Moskitos als biologische Waffen geforscht. Demnach gab es Überlegungen, mit Malaria infizierte Stechmücken über feindlichem Gebiet auszusetzen, berichtet der Biologe Klaus Reinhardt von der Universität Tübingen im Fachblatt Endeavour.

Der Reichsführer-SS Heinrich Himmler persönlich hatte 1941 die Gründung eines Entomologischen Instituts auf dem Gelände des Konzentrationslagers Dachau verfügt. Himmler litt zwar angeblich selbst unter einer Phobie vor Fliegen, doch die Forschung an Insekten beschäftigte ihn sehr. Die deutschen Truppen waren von Läusen stark betroffen, die Krankheiten wie Fleckfieber auslösen können. Zudem drohte im Konzentrationslager Neuengamme eine Fleckfieber-Epidemie auszubrechen.

"Jede zweite Nacht ein Karnickel"

Historiker vermuteten daher bislang, die Insektenforschung in Dachau sei zum Schutz der Soldaten vor den Krankheiten und zur Eindämmung von Schädlingen angelegt gewesen. In Dachau züchteten die Nazis mit Malaria infizierte Stechmücken im großen Maßstab. "Die Weibchen bekommen jede zweite Nacht ein Karnickel, sodass sie Blut saugen können", schilderte ein beteiligter Forscher in einem Brief an einen Freund. Der später im Dachau-Hauptprozess zum Tode verurteilte Tropenmediziner Claus Schilling infizierte auch Lagerinsassen mit Malaria.

Welchem Zweck die Versuche dienten, war bislang umstritten. "Es ist schwierig, in der Rüstungsforschung defensive und offensive Zwecke zu entwirren", schreibt Reinhardt, da Angriffsforschung unter dem Deckmantel der Verteidigung verschleiert werden könne. So fürchteten die Nazis, dass auch die Alliierten zu biologischen Waffen greifen könnten. Doch Protokolle des Institutsleiters Eduard May machten den Biologen Reinhardt stutzig. Angesichts von Experimenten mit Anopheles-Stechmücken notierte May: "Ein Transport [der Mücken] ist von der Zuchtstation zur Abwurfstelle möglich." Als May die Überlebensraten zweier Mückenarten verglich, schrieb er: "Für die praktische Ausführung sollte man die Art A. maculipennis einsetzen." Diese Wortwahl mache es wahrscheinlich, "dass May über die offensive Natur seiner Forschung Bescheid wusste und eine Empfehlung abgab", schreibt Reinhardt.

Von Esoterik beeinflusste Forschung

Die Insektenforscher mussten auch deshalb Geheimniskrämerei betreiben, weil Hitler biologische Waffen ausdrücklich verboten hatte. "Die konnten das nur im stillen Kämmerlein machen", sagt Reinhardt. Himmler habe jedoch versucht, das Verbot zu umgehen. Sein Forschungsprogramm sei "ein bizarrer Mix aus Himmlers Halbwissen, persönlichen Ängsten, esoterischen Ansichten und ernsthaften Sorgen um seine SS-Truppen" gewesen. "Lächerliche Forschung im Vergleich zum biologischen Wissen der Alliierten", sagt Reinhardt.

Die ganzen Hintergründe über die biologische Kriegsforschung der Nazis bleiben womöglich verborgen - vor der Befreiung des KZ Dachau vernichteten die Nazis viele Unterlagen; andere gingen in die Sowjetunion oder in US-Archive. Wie vernebelt die Forscher waren, lässt sich aber an einem Detail ablesen: Nur 19 Tage bevor die Amerikaner Dachau befreiten, gab Institutsleiter May noch eine Bestellung auf. Er brauche Ratten.

Anmerkung: In einer früheren Version des Artikels hieß es fälschlicherweise, Läuse könnten Typhus übertragen. Das ist falsch, gemeint war Fleckfieber oder Läusefieber. Diese Krankheit wird im Englischen als "typhus" bezeichnet. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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