Influenza-Pandemie:Eine Frage der Zeit

Grippe-Pandemien entstehen rein rechnerisch alle 30 bis 50 Jahre. Sich auf Katastrophenfälle im Gesundheitswesen vorzubereiten, ist allerdings äußerst schwierig.

Jonas Reese

Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die nächste Influenza-Pandemie ausbricht, da sind sich die Experten einig. Anlässlich des Weltgesundheitstages unter dem Motto "Maßnahmen des Gesundheitswesens im Katastrophenfall" hat sueddeutsche.de mit Dr. Walter Haas Leiter vom Robert-Koch-Institut in Berlin gesprochen. Er ist Leiter des Fachgebiets "Respiratorisch übertragbare Erkrankungen" und koordiniert dort seit 2003 die Expertengruppe Influenza, Pandemieplanung.

Influenza-Pandemie: Walter Haas vom Robert-Koch-Institut: "Die größte Gefahr geht von den natürlichen Krankheitserregern aus, wie eben Influenza A."

Walter Haas vom Robert-Koch-Institut: "Die größte Gefahr geht von den natürlichen Krankheitserregern aus, wie eben Influenza A."

(Foto: Foto: RKI/ Bredow)

sueddeutsche.de: Ist das Risiko von Pandemien, also länder- und erdteilübergreifenden Krankheiten, heutzutage größer als früher? Gerade in unserer sehr mobilen Welt?

Walter Haas: Viren brauchen keinen Pass und kein Visum. Wenn infizierte Personen reisen, können sie sehr schnell Infektionsketten auslösen. Das haben wir bei Sars gesehen. Aber auch 1918 bei der Spanischen Grippe, also der schwersten Influenza-Pandemie des letzten Jahrhunderts, als 20 bis 50 Millionen Menschen starben, gab es eine Menge Handelsverkehr und internationalen Austausch. Heute geht die Verbreitung aber noch viel schneller.

sueddeutsche.de: Wovon geht die meiste Gefahr aus?

Haas: Die größte Gefahr geht von den natürlichen Krankheitserregern aus, wie eben Influenza A. Das Vogelgrippevirus A/H5N1 geht derzeit nur in seltenen Fällen vom Tierreich auf den Menschen über. Wenn es sich aber so verändern würde, dass es sich rasant von Mensch zu Mensch überträgt, kann es auch hier sehr schnell zu einer Pandemie kommen.

sueddeutsche.de: Wie kann man dem begegnen?

Haas: Man muss international zusammenarbeiten, vor allem bei der Früherkennung. Die Vorbereitungen in den einzelnen Ländern müssen aufeinander abgestimmt sein. Sonst bringen alle Vorkehrungen wenig. Wir sind in Europa und unter dem Dach der Weltgesundheitsorganisation gut organisiert.

sueddeutsche.de: Wie sieht es in Deutschland aus? Wie wappnet man sich hierzulande vor einer Massenerkrankung?

Haas: Man muss sich bewusst sein, dass solche Seuchen sehr schnell das Gesundheitssystem be- und wahrscheinlich überlasten. Deshalb versuchen wir, gezielt Strukturen zu schaffen, die das, soweit möglich, auffangen. In Deutschland ist das der Nationale Pandemieplan: ein Rahmen, der auch die Grundlage für die Pandemiepläne der Länder und die Ausführungspläne der Kommunen darstellt. Außerdem muss gewährleistet sein, dass auch die anderen gesellschaftlichen Abläufe nicht zusammenbrechen. Eine Pandemie ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung.

sueddeutsche.de: Wie kommt man da von der Theorie in die Praxis?

Haas: 2007 haben wir zum Beispiel die länderübergreifende Pandemie-Übung "Lükex 07" durchgeführt. Dabei wurde vor allem die Koordinierung und Kommunikation der beteiligten Institutionen geprobt: zum Beispiel Feuerwehr, Polizei, Gesundheits- und Innenministerium.

sueddeutsche.de: Wie groß ist denn die Wahrscheinlichkeit, dass ein solcher Katastrophenplan wirklich zum Einsatz kommt?

Haas: Da sind sich die Experten einig: Man muss leider davon ausgehen, dass eine Influenza-Pandemie nicht eine Frage des "ob" ist, sondern eine Frage des "wann". Das "wann" kann aber letztendlich niemand vorhersagen. Dafür spielen zu viele Faktoren mit. Je länger es dauert, desto mehr Zeit haben wir, uns auf diesen Fall vorzubereiten. Wir wissen aber, dass es seit dem 16. Jahrhundert immer wieder zu Pandemien gekommen ist. In der Regel entstehen in jedem Jahrhundert zwei bis drei Influenza-Pandemien.

sueddeutsche.de: Wie würde ein Worst-Case-Szenario aussehen?

Haas: Diese Szenarien sind sehr stark von den Annahmen abhängig, die man für sie festlegt: Sprich Ausbreitungsgeschwindigkeit und Schwere der Krankheit, die das Virus verursacht. Im Nationalen Pandemieplan haben wir Situationen mittleren Ausmaßes für einen Influenza-Virus beschrieben: Bei einer 30-prozentigen Erkrankungsrate schätzen wir, dass in einem Zeitraum von acht Wochen in Deutschland mit 103.000 Influenza-bedingten Todesfällen zu rechnen ist. Handelt es sich aber um einen völlig neuen Erreger, zum Beispiel aus der Tierwelt, der sich schnell über die Luft überträgt, kann es noch schlimmere Ausmaße annehmen.

sueddeutsche.de: Wie lange dauert es in so einem Fall, Impfstoffe bereitzustellen?

Haas: Nach dem derzeitigen Stand der Technik würde es zwölf Wochen dauern, bis erste Lieferungen möglich wären. Dann ist noch nicht die ganze Bevölkerung versorgt, aber die Produktion läuft an.

sueddeutsche.de: Das dauert aber ganz schön lange.

Haas: Wenn man die Mobilität und die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Influenza betrachtet, sind zwölf Wochen lang. Deshalb muss man ehrlicherweise sagen, dass neu produzierte Impfstoffe nach derzeitigem Stand erst bei einer zweiten Infektionswelle zur Verfügung stehen würden. Zwölf Wochen sind aber schon ein großer Fortschritt. Noch vor zwei oder drei Jahren musste man von mehr als 20 Wochen ausgehen. Die Bundesregierung hat die Entwicklung moderner Impfstoffe gefördert.

sueddeutsche.de: Neben der natürlichen Ausbreitung von Krankheitserregern gibt es auch die künstliche - verursacht durch terroristische Aktionen, wie zum Beispiel die Milzbrand-Anschläge. Wie hoch schätzen Sie die Gefahr von Pandemien durch Bioterrorismus ein?

Haas: Das Gefahrenpotential ist da. In der Geschichte waren aber diese Angriffe regionaler Ausprägung und meist nur auf Einzelpersonen ausgerichtet. Also nicht darauf ausgelegt, Epidemien auszulösen. Deshalb ist die Gefahr einer natürlichen Ausbreitung größer als die einer künstlichen. Und wenn man sich auf die natürliche gut vorbereitet, ist man auf bioterroristische Anschläge ebenfalls gut vorbereitet.

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