Infektionskrankheit Mers:Das Kamel, die heilige Kuh

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Kamele auf einem Markt in Doha, der Hauptstadt von Qatar.

(Foto: dpa)

Kamele übertragen die gefährliche Seuche Mers. Die Suche nach einem Impfstoff macht gute Fortschritte. Aber beim Kampf gegen die Krankheit müssen sich die Forscher auch mit einer Kultur auseinandersetzen, die die Tiere verehrt.

Von Kai Kupferschmidt

Es gibt nicht viele Kamele in Korea. Zahlen der staatlichen Quarantäneagentur zufolge sind es genau 46. Zwei Dutzend leben auf einem Reiterhof auf der Insel Jeju. Die übrigen sind in Zoos und Parks des Festlands untergebracht. In der Regel grasen die Tiere dort gemütlich und ohne viel Aufhebens vor sich hin. Doch vor wenigen Wochen war es mit der Gemütlichkeit vorbei.

Als das Mers-Virus begann, sich in den Krankenhäusern von Seoul auszubreiten, standen die Tiere plötzlich im Mittelpunkt des Interesses. Kamele gelten als der natürliche Wirt des Erregers. Und obwohl kein Kamel, sondern ein 68-jähriger Mann das Virus aus dem Nahen Osten nach Korea eingeschleppt hatte, reagierten die Zoos prompt. Sie steckten die völlig gesunden Tiere in Quarantäne.

Es ist nur ein weiteres von sehr vielen Missverständnissen in der Geschichte der Kamele. Das fängt schon bei der Herkunft an: Die meisten Menschen verbinden die stolzen Wesen mit der arabischen Halbinsel, doch ursprünglich stammt das Kamel aus Nordamerika.

Die Kamele Nordamerikas starben vor 10 000 Jahren

Vor etwa 40 Millionen Jahren entwickelte sich dort das Urkamel Protylopus. Es hatte die Größe eines Feldhasen. Millionen Jahre später wanderten die Tiere nach Südamerika - wo heute Lamas, Alpakas, Guanakos und Vikunjas als Neuweltkamele leben - und in die andere Richtung, über die Beringstraße nach Asien. Von den bis heute dort lebenden Altweltkamelen gibt es nur zwei Arten: das einhöckrige Dromedar und das zweihöckrige Trampeltier.

Die letzten Kamele Nordamerikas starben vermutlich vor mehr als 10 000 Jahren aus. Doch dafür eroberten ihre Verwandten weite Teile Asiens und Afrikas und wurden auf der arabischen Halbinsel schließlich domestiziert. Kein Wunder, schließlich können die Tiere schwere Lasten schleppen und sind hervorragend an die Wüste angepasst: Sie speichern bis zu 150 Liter Wasser in ihrem Körper, wenn auch nicht - noch ein Missverständnis - in ihrem Buckel, dort lagern bloß Fettreserven.

Sogar das Kamelblut ist an Wassermangel angepasst

Die Tiere können aber wochenlang aufs Trinken verzichten und bis zu 25 Prozent ihres Körpergewichts an Wasser verlieren. Für andere Säugetiere wie den Menschen ist ein Verlust von 15 Prozent tödlich. "Vor allem haben Dromedare es geschafft, den Wasserverlust zu minimieren", sagt Pamela Burger, Tierärztin an der Universität Wien. Die Tiere lassen ihre Körpertemperatur tagsüber einfach deutlich steigen, anstatt Wasser zu schwitzen und den Körper zu kühlen.

Außerdem gewinnen sie über ihre Nasenschleimhäute einen Teil des Wassers aus der Atemluft, die sie ausatmen, zurück. Die Nieren schließlich produzieren einen hoch konzentrierten Urin, sodass nur wenig Flüssigkeit ausgeschieden wird. Sogar die roten Blutkörperchen haben sich angepasst: Ihre ovale Form erlaubt es ihnen, selbst dann durch kleine Blutgefäße zu gleiten, wenn so wenig Wasser vorhanden ist, dass das Blut dickflüssig wird. "Kamele sind die zukunftsträchtigsten Nutztiere für diese Wüstenregionen", sagt Burger. "Sie können aus den wenigen vorhandenen Ressourcen am meisten rausholen."

Kamele - in Wüstenländern verehrt, in Australien eine Plage

Längst sind Dromedare in den Wüstenländern ein zentraler Bestandteil der Kultur geworden - und ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Die Tiere liefern Fleisch und Leder. Kamelurin soll Krankheiten kurieren. Aus Kamelmilch wird inzwischen Eis und Schokolade gemacht, und sogar ein weicher Käse, Camelbert genannt. Es gibt Kamelrennen und Schönheitsparaden. Manche Zuchthengste sind mehr als 20 Millionen Euro wert.

Pamela Burger ist gerade von der Konferenz der "Internationalen Gesellschaft zur Erforschung und Entwicklung von Kamelen" im kasachischen Almaty zurückgekehrt. Eines der großen Themen dort sei die Konservierung von Kamelsperma gewesen. "Die Spermien halten nicht lang, nur etwa zwölf Stunden. Darum sind künstliche Befruchtungen sehr schwierig. Das ist seit Jahren ein Problem", sagt die Forscherin.

Nicht überall werden Kamele verehrt. In Australien gelten sie als Plage. Im 19. Jahrhundert wurden Tausende Kamele als Reit- und Lastentiere auf den Kontinent geschifft. Autos machten die Tiere bald überflüssig, und viele von ihnen wurden freigelassen. Heute streunen rund 300 000 wilde Kamele im Outback herum, fressen Pflanzen, zerstören Zäune und trinken Wasserstellen leer. Ein Tier kann binnen Minuten bis zu 100 Liter Wasser trinken. Schützen in Helikoptern machen deshalb Jagd auf die Tiere, im Auftrag der Regierung wurden bislang 160 000 Tiere getötet. Doch das Problem bleibt, und inzwischen werden andere Lösungen erwogen. So exportieren mehrere Firmen Kamelfleisch in den Nahen Osten.

Übertrugen Dromedare das Virus?

Und dann ist da eben noch Mers, das Middle East Respiratory Syndrome, eine schwere Krankheit der Atemwege, die durch ein Virus ausgelöst wird. Nachdem der Erreger 2012 entdeckt worden war, fahndeten Forscher verzweifelt nach seiner Quelle, Fledermäuse galten als Topkandidaten. Schließlich bieten die Tiere vielen gefährlichen Erregern eine Brutstätte: dem Tollwutvirus, Ebola und Sars, einem Verwandten von Mers. Einige Forscher vermuteten, Fledermäuse hätten mit ihrem Speichel Datteln kontaminiert und so auch Menschen angesteckt.

Doch im August 2013 machten niederländische Forscher eine überraschende Entdeckung: In Oman wiesen sie in 50 Dromedaren Antikörper gegen das Mers-Virus nach. Die Tiere mussten infiziert gewesen sein. In Kühen, Ziegen und Schafen fanden sie hingegen keine Antikörper. Übertrugen also die Dromedare das Virus?

Auf Twitter küssen Kamelbesitzer ihre Tiere

Den Forschern schlug Skepsis entgegen. "Das erschien einfach so seltsam", sagt Peter Daszak, der bei der Ecohealth Alliance in New York Tierseuchen erforscht. Alles habe auf Fledermäuse hingedeutet. Die Reaktion auf der arabischen Halbinsel war noch ablehnender. "Wir glauben nicht, dass Kamele irgendetwas damit zu tun haben", erklärte Saudi-Arabiens stellvertretender Gesundheitsminister.

Auf Twitter präsentierten empörte Kamelbesitzer Fotos, auf denen sie ihre Tiere küssen. "Im Mittleren Osten wurde die Idee, Kamele seien Teil des Problems, komplett verleugnet", erinnert sich Peter Ben Embarek, Mers-Bauftragter der Weltgesundheitsorganisation WHO. Die Menschen dort seien seit Jahrhunderten auf Dromedare angewiesen, um zu überleben, sagt er. "Es hat lange gedauert, die Regierung und die Bevölkerung zu überzeugen."

Zwei Mers-Impfstoffe werden bereits getestet

Inzwischen ist die Beweislast jedoch erdrückend: Forscher haben Mers-Viren aus dem Nasensekret von Kamelen isoliert und sequenziert. Ihr Genom entspricht fast Buchstabe für Buchstabe dem Erbgut von Viren, die in Patienten gefunden wurden. Auch wurde das Virus aus einem Kamel in Katar isoliert. Menschliche Zellen ließen sich im Labor problemlos damit infizieren. Irgendwann war klar, wie eine ideale Strategie gegen Mers aussehen müsste: Die Dromedare impfen und so das Reservoir des Virus austrocknen.

Tatsächlich sind bereits zwei Impfstoffe entwickelt und an Kamelen getestet worden. Ein Impfstoff enthält ein Eiweiß namens Spike, Stachel. Das Mers-Virus trägt dieses Eiweiß auf seiner Oberfläche und dockt damit an menschliche Zellen an. In einem ersten Versuch haben Forscher drei Dromedare und zwei Alpakas geimpft. Die Ergebnisse sind noch nicht veröffentlicht, sollen aber ermutigend sein.

Tests in einem Hochsicherheitslabor in Barcelona

Der andere Impfstoff stammt aus München. Gerd Sutter, Virologe an der tierärztlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität, hat ein Mers-Gen in ein abgeschwächtes Pockenvirus eingeschleust. Den Impfstoff zu testen, war allerdings nicht leicht. Kaum ein Hochsicherheitslabor ist dafür ausgelegt, mit so großen Tieren zu arbeiten.

Und Mers scheint unter Kamelen so verbreitet zu sein, dass kaum ein Tier zu finden wäre, das die Infektion nicht schon durchgemacht hat. Am Ende gelang es den Forschern, acht Kamele auf den Kanarischen Inseln zu kaufen und in ein Hochsicherheitslabor in Barcelona zu bringen. Dort impften sie vier der Tiere und infizierten alle acht mit Mers. Noch werden die Daten ausgewertet, sagt Sutter.

Beide Gruppen wollen die Menge an Viren verringern, die von den Tieren ausgeschieden wird. Ob sich Menschen dann auch seltener anstecken, lässt sich im Labor allerdings kaum überprüfen. "Ohne Frage werden wir bald einen Kamelimpfstoff bereithaben", sagt Vincent Munster von den National Institutes of Health. Der nächste Schritt wären Studien in Kamelherden. "Dann kommt es wirklich auf das an, was die betroffenen Länder zu tun bereit sind."

Die Gesundheit von Menschen und Tieren muss gemeinsam betrachtet werden

Bisher war das nicht viel. Von den knapp 1200 Mers-Fällen bei Menschen weltweit sind mehr als 1000 in Saudi-Arabien gemeldet worden. Doch die Regierung informiert nur scheibchenweise. Internationale Experten haben bisher wenig Möglichkeiten gehabt, die Krankheit vor Ort zu erforschen. Viele Fragen bleiben offen: Wie genau wird das Virus auf den Menschen übertragen? Ist es Kamelmilch, Kamelfleisch, enger Kontakt mit den Tieren selbst? Und was ist mit den Millionen Kamelen in Afrika?

Laut Welternährungsorganisation leben in Saudi-Arabien weniger als 300 000 Dromedare. In Kenia gibt es drei Millionen, in Somalia sieben Millionen. Experten gehen davon aus, dass auch dort Menschen infiziert werden. Aber passiert es aus irgendwelchen Gründen seltener? Die Tiere zu impfen, wird jedenfalls schwierig werden. Ein Problem ist, dass Mers einem Dromedar kaum schadet, es bekommt höchstens einen Schnupfen. Und Tiere gegen eine Krankheit zu schützen, die sie kaum beeinträchtigt, leuchtet vielen Menschen nicht ein.

Dabei propagieren Forscher, Ärzte und Tierärzte seit Jahren, dass die Gesundheit von Menschen und Tieren gemeinsam betrachtet werden muss. Drei von vier neu auftretenden Infektionskrankheiten stammen von Tieren. Globalisierung, wachsende Weltbevölkerung und zunehmender Fleischkonsum tragen dazu bei, dass Tiere und Menschen immer näher zusammenrücken. Bei dem Ausbruch in Korea mögen Kamele zu Unrecht ins Visier geraten sein. Aber beim Kampf gegen das Virus stehen die Tiere zu Recht im Zentrum. Südkorea sei eine Warnung, sagt Ben Embarek. "So ein Ausbruch kann jederzeit an jedem Ort passieren."

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