Impfung gegen Schweinegrippe:Klares Ziel, unklare Wege

Impfen oder nicht impfen lassen? Das ist derzeit die Gretchenfrage für viele Menschen, die sich vor der Schweinegrippe schützen wollen. Fünf Ratschläge für die richtige Abwägung im Einzelfall.

Werner Bartens

Wem wird die Imfpung gegen die Schweinegrippe empfohlen?

Schweinegrippe; Impfung; dpa

Achtung vor politischen Bekundungen und Panikmache: Laut Empfehlung der Ständigen Impfkommission muss sich nicht jeder Mensch gegen die Schweinegrippe impfen lassen.

(Foto: Foto: dpa)

Durch politische Bekundungen und Panikmache entsteht der Eindruck, dass sich die komplette Bevölkerung impfen lassen soll. Die Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko), des maßgeblichen 16-köpfigen Expertengremiums, sieht anderes vor: "Die Impfung gegen die Neue Influenza sollte in Abhängigkeit von der Verfügbarkeit der Impfstoffe in folgender Reihenfolge und Abstufung erfolgen:

1. Beschäftigte in Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege mit Kontakt zu Patienten oder infektiösem Material

2. Personen ab einem Alter von 6 Monaten mit erhöhter gesundheitlicher Gefährdung infolge eines Grundleidens

3. Schwangere (vorzugsweise ab dem zweiten Trimenon) und Wöchnerinnen

4. Haushaltskontaktpersonen, die eine mögliche Infektionsquelle für ungeimpfte Risikopersonen (s. 2. und 3. und Säuglinge unter 6 Monaten) sein können

5. Alle übrigen Personen ab dem Alter von 6 Monaten bis 24 Jahren

6. alle übrigen Personen im Alter von 25 bis 59 Jahren

7. alle übrigen Personen ab 60 Jahren."

Die Stiko schreibt weiter: "Bereits bei der gegenwärtigen Datenlage wird für die Indikationsgruppen 1, 2 und 3 eine Impfung empfohlen. Sollten neue, national und international gewonnene Erkenntnisse zur Epidemiologie oder zu den Impfstoffen dies erfordern, wird die Stiko sofort, spätestens jedoch 4 Wochen nach erstem Einsatz der Impfstoffe, zum weiteren Impfvorgehen bei den Indikationsgruppen 4 bis 7 erneut Stellung nehmen." Eine Impfempfehlung für die gesunde Bevölkerung ist das nicht, auch wenn politisch so getan wird.

Hat die Impfung gegen die neue Grippe Nebenwirkungen?

Hat die Impfung gegen die neue Grippe Nebenwirkungen?

Bisher sind die Nebenwirkungen der Impfung gegen die Schweinegrippe unzureichend dokumentiert. Erst in diesen Tagen hat sich das Paul-Ehrlich-Institut mit der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft darauf verständigt, wöchentlich Nebenwirkungen der Impfung zu publizieren (www.pei.de oder www.akdä.de). In mehr als zehn Prozent der Fälle rechnen Forscher nach der Impfung mit Kopfschmerz, Gelenk- und Muskelschmerz, Schwellung, Fieber und grippeähnlichen Symptomen. Zusätzlich sind bisher 277 unerwünschte Ereignisse aufgelistet, darunter lebensbedrohliche allergische Reaktionen ("anaphylaktischer Schock"), Kreislaufkollaps, Nervenlähmung und ein akuter Krankheitsschub von chronischem Gelenkrheuma.

In Schweden wurden fünf Todesfälle im zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung registriert, die aber nicht ursächlich damit zu tun haben müssen. Aus Tests mit dem neuen Impfstoff schließen Forscher, dass der Wirkstoff immunogener ist, das heißt stärker wirkt und heftigere Reaktionen auslöst. "Mit dem neuen Wirkverstärker könnte das deutlich stärkere Nebenwirkungen auslösen und womöglich zu einem Schub bei Patienten mit entzündlichen Erkrankungen wie Gelenkrheuma, Morbus Crohn oder Colitis Ulcerosa führen", befürchtet Wolf-Dieter Ludwig.

Die europäische Arzneimittelbehörde Emea hat Ende Oktober eine "Strategie zur Nutzen-Risiko-Überwachung der Impfung" vorgestellt. Darin bekennt die Behörde in seltener Offenheit, "dass es nur begrenzte Daten zur Sicherheit und Wirkung der H1N1-Impfung gab, als die europäischen Staaten mit der Nutzung begannen".

Sollten sich Schwangere impfen lassen?

Sollten sich Schwangere impfen lassen?

Die Stiko ist sich der komplexen Problematik der Impfung in der Schwangerschaft bewusst, daher sollten Schwangere "bis zum Vorliegen weiterer Daten mit einem nicht-adjuvantierten Spaltimpfstoff geimpft werden", schreibt die Impfkommission. Das klingt nach einer klaren Empfehlung, doch das Problem daran ist - dieser Impfstoff ist in Deutschland weder erhältlich noch zugelassen und kann Schwangeren daher auch nicht geimpft werden. Nach bisherigen Erkenntnissen sind Schwangere jedoch stärker durch die Schweinegrippe gefährdet - und weder ihre Ärzte noch die Schwangeren wissen, was sie tun sollen.

Dieses Dilemma kommentiert das arznei-telegramm mit deutlichen Worten: "Die Fehlentscheidungen der Behörden, diese Vakzinen zu bestellen (gemeint sind Pandemrix für die Bevölkerung und Celvapan für Regierung und Bundeswehr, d. Red.), führen jetzt zu der absurden Situation, dass sich offizielle Impfempfehlungen widersprechen. Dabei lässt sich die konsequente Empfehlung der Stiko, nichtadjuvantierten Spaltimpfstoff zu verwenden, derzeit nicht umsetzen, die Empfehlung von Paul-Ehrlich-Institut und Robert-Koch-Institut, im Einzelfall Pandemrix zu verimpfen, bleibt hingegen ohne Datenbasis für die Sicherheit."

Die Stiko gibt den in der Praxis wenig hilfreichen Hinweis auf die "individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung" und die "komplexe Problematik". Derzeit finden sich wahrscheinlich ähnlich viele Ärzte, die Schwangeren die Impfung empfehlen würden, wie solche, die davon abraten. Wolf-Dieter Ludwig würde Schwangere ohne zusätzliche Risiken derzeit nicht impfen lassen.

Sollten Kinder gegen die Schweinegrippe geimpft werden?

Sollten Kinder gegen die Schweinegrippe geimpft werden?

Sind Personen infolge eines Grundleidens besonders gefährdet, empfiehlt die Ständige Impfkommission die Impfung ab einem Alter von sechs Monaten. Als Grundleiden gelten: chronische Krankheiten der Atmungsorgane, chronische Herz-Kreislauf-, Leber- und Nierenkrankheiten, Malignome, Diabetes und andere Stoffwechselkrankheiten, neurologische und neuromuskuläre Grundkrankheiten, angeborene oder erworbene Immundefekte, HIV-Infektion. Alle diese Vorerkrankungen bringen das Risiko mit sich, dass die Schweinegrippe schwerer verläuft und sich der Körper schlechter dagegen wehren kann. Fast alle bisherigen Todesopfer in Deutschland litten unter Vorerkrankungen.

Das Gremium für Impfempfehlungen schreibt dazu: "Die Stiko weist darauf hin, dass die Impfung im Zweifelsfall nach individueller Nutzen-Risiko-Abwägung vorgenommen werden soll." Damit können Ärzte und Eltern wiederum wenig anfangen - Tatsache ist, dass bei Kindern noch weniger Erfahrungen mit dem Impfstoff bestehen als bei Erwachsenen. Aussagen von Experten widersprechen sich: "Der beste Schutz vor der Schweinegrippe ist die Impfung", sagt Wolfram Hartmann, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte in Deutschland.

Hartmann betont aber auch, dass die Schweinegrippe auch bei Kindern häufig milde verläuft. "Ich würde meine Kinder und Enkel nicht impfen, wenn sie gesund sind", sagt Arzneimittelexperte Wolf-Dieter Ludwig. Und er fügt die derzeitige Einstellung vieler Skeptiker hinzu: "Ich bin kein Impfgegner, sondern nur gegen die Impfung gegen Schweinegrippe zum jetzigen Zeitpunkt."

Wenn die Kinder krank sind, muss die ganze Familie in Quarantäne?

Wenn die Kinder krank sind, muss die ganze Familie in Quarantäne?

Familie Klose befindet sich in Quarantäne, weil die Zwillingssöhne des Nationalspielers an Schweinegrippe erkrankt sind. Das ist eine Vorsichtsmaßnahme, die empfohlen, aber nicht vorgeschrieben ist. Ärzte müssen von diesem Samstag an Verdachtsfälle und Grippekranke ohne Labornachweis nicht mehr an die Gesundheitsämter melden, wie ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums am Freitag sagte. Dazu breite sich die Krankheit zu sehr aus, habe aber auch oft einen milden Verlauf.

"Bei vielen Menschen, auch bei Kindern und Jugendlichen, verläuft die Krankheit ähnlich harmlos wie eine Erkältung", sagt Wolfram Hartmann, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte in Deutschland. "H1N1 ist jedoch nicht harmlos, sondern kann den Körper genauso schwer und nachhaltig schwächen wie andere bisher bekannte Formen der Grippe. Kinder und Jugendliche deshalb nach einem Tag Fieberfreiheit wieder in die Schule oder Kita zu schicken und selbst zur Arbeit zu gehen, ist deshalb hochriskant. Bei zu kurzer Genesungszeit und zu früher körperlicher Belastung kann es eventuell zu entzündlich bedingten Schwächungen des Herzmuskels kommen, die manchmal erst relativ spät zu Symptomen führen. Diese können dann zu ernsthaften Herzfehlern werden.

Aus diesem Grund gilt auch nach überstandener Krankheit: drei Wochen kein Sport." Da die ersten Symptome der Schweinegrippe denen bei grippalen Infekten gleichen können, kann zu Beginn niemand sicher sein, welche Erkrankung vorliegt. Deshalb empfiehlt es sich, enge Kontakte und Menschenansammlungen vorsorglich zu vermeiden.

Viele unserer Leser haben uns ihre Erfahrungen und Ansichten zur Schweinegrippe geschildert. Hier können Sie sie lesen und uns schreiben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: