Im Gespräch:Hitzewellen im Sommer, mehr Lawinen im Winter

Der Meterologe Wolfgang Seiler, Direktor des Fraunhofer-Instituts für Atmosphärische Umweltforschung in Garmisch-Partenkirchen über das künftige Klima in Süddeutschland

Das Interview führte Gabriela Hartig

sueddeutsche.de: Wie beurteilen Sie die Szenarien der Klimaforschung, die der Erde aufgrund der globalen Erwärmung ein neues Gesicht voraussagen?

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Wolfgang Seiler

Wolfgang Seiler: Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir zwei Problemkreise ansprechen. Der erste bezieht sich auf die zukünftige Entwicklung der Emissionen der Treibhausgase, hier insbesondere des Kohlendioxids (CO2), das etwa 60% des anthropogenen Treibhauseffekts ausmacht.

Ungewiss ist, wie sich die CO2-Emission und damit die CO2-Konzentration bis Ende dieses Jahrhunderts entwickeln wird. Es werden deshalb verschiedene Annahmen über den zeitlichen Verlauf der CO2-Bildungsprozesse gemacht, die generell auch als Szenarien bezeichnet werden.

Diese Szenarien schwanken zwischen der Möglichkeit, dass sich die bisherige Entwicklung des Energieverbrauchs und damit die CO2-Emission im wesentlichen fortsetzt bis hin zur Annahme, dass die Menschheit das Klimaproblem als ernste Bedrohung versteht und sofort umfangreiche CO2-Reduktionsmaßnahmen ergreift.

Der zweite Problemkreis bezieht sich auf die globalen Klimamodelle, die für die Prognose der weiteren Entwicklung eingesetzt werden. Diese Modelle sind aufgrund des komplexen und vielfach noch nicht vollständig verstandenen Klimasystems noch verbesserungswürdig.

Trotz aller noch bestehenden Unsicherheiten geht man von einer weiteren globalen Temperaturzunahme um 2 bis 6 Grad Celsius bis Ende dieses Jahrhunderts aus. Damit erwarten wir ein Klima, das zu keinem Zeitpunkt innerhalb der letzten zwei Millionen Jahre auf der Erde aufgetreten ist. Das Gesicht der Erde wird sich unter diesen Umständen mit Sicherheit verändern, wobei wir davon ausgehen müssen, dass sich diese Klimaänderung für einige Gebiete sogar positiv, dagegen für andere Gebiete um so negativer auswirken wird.

sueddeutsche.de: Wie wirkt sich die globale Veränderung in einzelnen Regionen aus?

Wolfgang Seiler: Die Aussagen darüber sind noch sehr unsicher. Diese Informationen sind aber von essentieller Bedeutung, wenn die mit der Klimaänderung verbundenen Schäden abgeschätzt und Schutz-Maßnahmen abgeleitet werden sollen.

Die regionale Klimaentwicklung verläuft anders als die globale. So wird die Temperatur in hohen Breiten und über den Kontinenten stärker zunehmen als im globalen Mittel und sich dementsprechend auch in diesen Gebieten stärker auswirken. Hinzu kommen lokale Gegebenheiten, wie der Verlauf von Gebirgen, die einen wesentlichen Einfluss auf das regionale Klima in Europa haben. Auf dem Gebiet der regionalen Klimaprognose stehen wir erst am Anfang der Entwicklung - es besteht noch ein erheblicher Nachholbedarf.

sueddeutsche.de: Wie könnte so ein Klima-Szenario für den süddeutschen Raum aussehen?

Wolfgang Seiler: Am Fraunhofer Institut in Garmisch-Partenkirchen haben wir ein regionales Klimamodell entwickelt, mit dem in Verbindung mit den globalen Modellen Prognosen für ausgewählte Regionen auf der Erde abgeleitet werden können.

Die für den süddeutschen Raum für das Jahr 2060 durchgeführten Berechnungen haben ein unerwartetes Ergebnis gebracht. Danach werden die sommerlichen Temperaturen um bis zu 5º Celsius ansteigen und damit stärker zunehmen als im globalen Mittel. Damit verbunden ist eine Abnahme der Niederschlagsmengen von bis zu 50%.

Im Winter dagegen ist die Temperaturzunahme geringer als im globalen Mittel, wobei sich die Temperaturanstiege im wesentlichen auf den Dezember und Januar beschränken. Die Niederschlagsmengen nehmen im Winter um bis zu 40 Prozent zu und werden sich in die Monate Februar und März verschieben. Diese Entwicklung ist in den letzten Jahren bereits beobachtet worden und könnte auch für den zunehmenden Abgang von schweren Lawinen (wie in Galtür) mitverantwortlich sein.

Meteorologische Extremwerte werden künftig immer häufiger auftreten, an Intensität zunehmen und bisher verschonte Regionen treffen. Daraus resultieren Hochwasser, Windbruch, Dürreperioden, die mit erheblichen ökologischen und ökonomischen Auswirkungen verbunden sind.

sueddeutsche.de: Was sind Ihre Erwartungen an die Konferenz in Bonn?

Wolfgang Seiler: Ich bin sicher, dass sich die USA in das Kyoto-Protokoll wieder einbringen werden, aber zu einem Zeitpunkt, den die USA bestimmen und der von der Lösung noch offener nationaler umweltpolitischer und technologischer Fragestellungen abhängig ist.

Meine Hoffnung ist, dass die von den USA vorgebrachte Kritik genutzt wird, um zum einen die derzeit vorhandenen Schlupflöcher zu stopfen und zum anderen neue Perspektiven bezüglich der über das Jahr 2012 hinausgehenden erforderlichen CO2-Emissionsminderung zu entwickeln.

Die Industrieländer müssen ihre CO2-Emission bis Ende des Jahrhunderts um bis 80 Prozent reduzieren, wenn wir die Klimaänderung in den Griff bekommen wollen. Dieses Ziel ist keine Utopie; Wir haben alle Möglichkeiten, diese Vorgabe ohne wesentliche Einschränkung unseres Lebensstandards umzusetzen. Ich bin deshalb optimistisch, dass wir das Klimaschutzziel erreichen können und auch werden.

sueddeutsche.de: Welche Verantwortung trägt die Politik?

Wolfgang Seiler: Klimaänderung ist ein globales Problem, das nur durch globale und langfristig angelegte Maßnahmen gelöst werden kann. Hier ist die Politik im besonderen gefordert, international zu denken.

Dem steht gegenüber, dass Politiker in der Regel aufgrund von Legislaturperioden im Verhältnis dazu nur kurzfristig agieren. Deshalb muss in der Politik ein noch stärkeres Umdenken als bisher einsetzen. Die gleiche Verantwortung kommt aber auch der Gesellschaft zu, die über die Stimmzettel die Politik maßgeblich mitbestimmt. Dieser Verantwortung ist sich aber nicht jeder bewusst.

sueddeutsche.de: Was muß in den Köpfen der Menschen passieren?

Wolfgang Seiler: Ein grundlegender Sinneswandel in Politik und Gesellschaft erscheint zum derzeitigen Zeitpunkt als höchst unwahrscheinlich; Extremereignisse im Zusammenhang mit der Klimaänderung könnten uns wachrütteln.

Einen solchen Vorgang haben wir bei der Diskussion über das Verbot der die Ozonschicht zerstörenden FCKW erlebt. Auch in diesem Fall haben sich viele Lobbies gegen ein Verbot der FCKWs gesträubt, interessanterweise mit nahezu den gleichen Argumenten wie heute in der Klimadiskussion. Mit der Entdeckung des antarktischen Ozonlochs ist dann aber etwas eingetreten, was bis zu diesem Zeitpunkt in der Wissenschaft nicht in Erwägung gezogen wurde. Die Folge war die Verabschiedung des Protokolls von Montreal, mit dem das Problem des Abbaus der stratosphärischen Ozonschicht durch die FCKW mittelfristig gelöst wurde.

Es bleibt zu hoffen, daß das Kyoto-Protokoll und die nachfolgenden Vereinbarungen über die Emissionsminderung der Treibhausgase auch ohne Eintreten von entsprechenden Extremereignissen im Klimabereich verabschiedet werden; denn solche Ereignisse sind mit großen Schäden und Verlust an Menschenleben verbunden, die wir nicht auf das Spiel setzen sollten, um das bereits heute klar erkennbare und notwendige Ziel der CO2-Emissionsminderung zügig und im erforderlichen Umfang anzugehen. Es ist deshalb unsere Pflicht, die Gesellschaft und die Politik immer wieder auf die Klimaproblematik hinzuweisen und in den Köpfen der Menschen einen Sinneswandel für den umfassenden Kimaschutz zu erreichen.

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