Illusion Klimaschutz:Mehr Treibhausgase als je zuvor

Trotz aller Warnungen und vollmundigen Ankündigungen der Politiker das Klima zu schützen: Die Menschheit bläst immer mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre, warnt die Internationale Energieagentur. Das Ziel, die Erderwärmung auf maximal zwei Grad zu beschränken, ist kaum noch zu erreichen. Das Leben von Millionen Menschen ist bedroht.

Trotz aller Warnungen, aller angekündigten Bemühungen und tatsächlich ergriffenen Maßnahmen, den Klimawandel aufzuhalten, ist der Ausstoß von Treibhausgasen im vergangenen Jahr auf einen Rekordwert gestiegen. Das besagt ein bislang unveröffentlichter Bericht der Internationalen Energieagentur (IEA), wie der britische Guardian meldet.

Smoke billows from a power plant on the outskirts of Hefei

Noch nie hat der Mensch mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre geblasen als 2010.

(Foto: Reuters)

30,6 Gigatonnen Kohlendioxid seien demnach 2010 in die Atmosphäre geblasen worden - 1,6 Gigatonnen mehr als 2009. Das meiste stammt aus der Verbrennung fossiler Energieträger wie Kohle und Öl.

"Ich bin sehr besorgt", erklärte Fatih Birol, Wirtschaftswissenschaftler der IEA, im Guardian. "Das sind die schlimmsten Neuigkeiten bezüglich der Emissionen." Das Ziel der Klimawissenschaftler, den weltweiten Temperaturanstieg auf maximal zwei Grad zu beschränken, dürfte damit "eine nette Utopie" bleiben. "Die Aussichten werden schlechter. Das ist es, was uns diese Zahlen sagen."

Im vergangenen Dezember hatten sich die Teilnehmer des UN-Klimagipfels im mexikanischen Cancún erstmals geschlossen zur Begrenzung der Erderwärmung auf zwei Grad bekannt. Auf verbindliche Ziele und Maßnahmen hatte man sich allerdings nicht einigen können.

Besonders dramatisch sind die Zahlen angesichts der Tatsache, dass die Finanzkrise und ihre Auswirkungen auf die Wirtschaft entgegen den Erwartungen offenbar nur einen geringfügigen Effekt hatten. Von 2008 bis 2009 war der Ausstoß der Treibhausgase von 29,3 auf 29 Gigatonnen Kohlendioxid zurückgegangen. Nun ist er deutlich stärker angestiegen, als die Experten erwartet hatten.

Nicholas Stern von der London School of Economics warnte laut Guardian, wenn sich dieser Trend fortsetze, wären die Folgen schrecklich. Die Zahlen deuteten darauf hin, dass man sich auf einem Weg in Richtung "Business as usual" befinde, erklärte der Ökonom, der 2006 den einflussreichen "Stern Report" veröffentlicht hatte. "Den Prognosen des Weltklimarates zufolge bedeutet dieser Weg mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent, dass die globale Durchschnittstemperatur bis 2100 um mehr als vier Grad steigen wird", warnte Stern. "Eine solche Erwärmung würde das Leben und die Lebensbedingungen von Hunderten Millionen Menschen weltweit bedrohen und zu Massenwanderungen und Konflikten führen. Solch ein Risiko sollte jeder Mensch, der bei Verstand ist, zu reduzieren versuchen."

Obwohl wenig dafür spricht, dass die Welt ernsthaft Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen bereit ist, gibt IEA-Ökonom Birol die Hoffnung nicht auf. "Wenn wir sehr bald mutig und entschlossen aktiv werden, haben wir noch immer eine Chance", erklärte er der Zeitung.

Den Berechnungen der IEA zufolge wäre es notwendig, die Emissionen bis 2020 auf jährlich nicht mehr als 32 Gigatonnen steigen zu lassen - was angesichts der gegenwärtigen Zunahme kaum möglich erscheint. Vielmehr dürfte diese Grenze bereits dieses oder nächstes Jahr erreicht werden.

Und "der Spielraum für Gegenmaßnahmen schrumpft", erklärt Birol. Denn etwa 80 Prozent der Kraftwerke, die in den nächsten zehn Jahren Energie erzeugen werden, existieren laut IEA bereits oder befinden sich im Bau. Die meisten dieser überwiegend mit Kohle oder Öl betriebenen Anlagen dürften noch etliche Jahre in Betrieb bleiben. Es gibt wenig Hoffnung, dass hier Emissionen zurückgehen werden, schätzt man in der Behörde.

Der Bericht der IEA müsse "ein Weckruf sein", erklärte Birol. Es gebe eine Chance, das Ziel zu erreichen, die Erwärmung auf maximal zwei Grad zu beschränken. Dazu wären allerdings bindende internationale Vereinbarungen oder eine deutliche Hinwendung zu sauberer und effizienter Energietechnik notwendig.

Was deutsche Bürger, die nach dem Super-GAU im japanischen Atomkraftwerk Fukushima-1 nicht mehr auf Kernkraft setzen wollen, ungern hören dürften: Auch ein Ausstieg aus der Atomenergie dürfte der Behörde zufolge einen weiteren Anstieg der Emissionen nach sich ziehen.

"Die Leute mögen Atomkraft nicht", erklärte Birol dem Guardian. "Aber sie ist eine der wichtigsten Technologien, um Strom ohne Kohlendioxid zu produzieren." Die Lücke, die sich ohne Kernenergie auftun werde, ließe sich ihm zufolge wahrscheinlich nicht vollständig durch regenerative Energiequellen füllen. Vermutlich dürfte durch einen Atomausstieg der Einsatz fossiler Energieträger zunehmen.

Umweltschützer sehen das anders - oder hoffen zumindest, dass ein längerer oder stärkerer Einsatz von Kohlekraftwerken sich vermeiden lässt. Wenn die Energieerzeuger gezwungen wären, sich auf regenerative Quellen zu konzentrieren, so würde eine effektivere Technik möglicherweise schneller entwickelt. Darüber hinaus gibt es ein immenses Einsparungspotential in der Bevölkerung. Denn noch immer wird Energie verschwendet, weil sie relativ billig ist. Zudem müsste die Zerstörung des Waldes zurückgehen, die einen großen Teil zum Klimawandel beiträgt.

Dem Weltklimarat IPCC zufolge könnte bis 2050 etwa drei Viertel aller Energie aus alternativen Quellen stammen. Und in Deutschland, so erklärte im vergangenen Jahr das Umweltbundesamt, könnte zu diesem Zeitpunkt der Strombedarf sogar vollständig durch erneuerbare Energien abgedeckt werden.

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