Hochspannung:Schalter für 320.000 Volt

So groß wie ein Konferenzraum für zehn Personen ist der Schalter aus der Schweiz. Mit solchen Geräten könnte es zum ersten Mal möglich sein, Gleichstromübertragungsnetze zu bauen, bei denen die Energieverluste viel geringer sind als bei herkömmlichen Drehstrom-Überlandleitungen.

Wolfgang Koydl und Christopher Schrader

Was könnte technisch einfacher sein als ein Stromschalter? Täglich bedient man sie unzählige Male - knipst das Licht an, stellt den Fön aus, bringt den Fernseher zum Laufen. Auch in der Welt der Hochspannungsleitungen, durch die gewaltige Mengen Strom hunderte Kilometer weit fließen, gibt es solche Schalter, die Leitungen vom Netz trennen oder wieder damit verbinden.

Dennoch meldete der schweizerische Technologiekonzern ABB am Mittwoch in Zürich einen Erfolg, der seiner Erklärung nach in der Entwicklung eines Schalters besteht. Dieser Schalter könnte ein neues Kapitel für den Transport von Elektrizität aufschlagen.

Es ist ein Prototyp in der Größe eines "Konferenzraumes für zehn Personen", so beschreibt ABB das Gerät, das es zum ersten Mal erlaube, Gleichstrom im Hochspannungsbereich zu schalten. "Das ist in der Tat ein nicht-triviales Problem", sagt Volker Hinrichsen, Professor für Hochspannungstechnik an der Technischen Universität Darmstadt. "Sobald man den Stromkreis unterbricht, entsteht zwischen den Kontakten ein Lichtbogen, der sich nicht löschen lässt."

Dieses Problem hatten Elektrotechniker schon Ende des 19. Jahrhunderts erkannt. Es war ein Auslöser des sogenannten Stromkriegs zwischen dem amerikanischen Erfinder Thomas Alva Edison und dem Unternehmer George Westinghouse. Edison favorisierte Gleichstrom, Westinghouse Wechselstrom.

"Der Wechselstrom setzte sich unter anderem deshalb durch, weil man seinen Fluss leichter unterbrechen kann", sagt Claes Rytoft, Chef der Entwicklungsabteilung für Energiesysteme bei ABB. Alle Versuche, einen Schalter für den kommerziellen Energietransport in Gleichstromleitungen zu finden, schlugen fehl. Es gebe sie nur bis zu einer Spannung von 3000 Volt, so Rytoft. Der Leistungsschalter, den ABB nach mehrjähriger Entwicklung vorstellt, funktioniert nach Angaben des Konzerns bei Spannungen von 320.000 Volt, wenn 2000 Ampere Strom fließen. Er unterbricht Leitungen in fünf Millisekunden.

Damit könnte es zum ersten Mal möglich sein, Gleichstromübertragungsnetze zu bauen. Bisher werden Gleichstrom-Verbindungen ohne Verzweigung zwischen zwei Punkten aufgebaut. Vorteil der Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) ist, dass die Energieverluste viel geringer sind als bei herkömmlichen Drehstrom-Überlandleitungen. Dafür ist die Technik, deren Kabel isoliert und in der Erde versenkt werden, deutlich teurer, so dass sie erst bei Entfernungen von etlichen hundert Kilometern wettbewerbsfähig ist.

Marktfähiges Gerät in einigen Jahren

Ohne die Möglichkeit, Leitungen zu einem Netz zu verschalten, sinkt aber die Attraktivität der HGÜ-Technik. "Aus einer Leitung von Solarkraftwerken in Nordafrika nach Deutschland kann Frankreich keinen Strom entnehmen", sagt der Darmstädter Forscher Hinrichsen. Sein Kollege Ernst-Dieter Wilkening von der Technischen Universität Braunschweig ergänzt: "Ohne Schalter lassen sich solche Netze nicht betreiben, weil es zu unsicher ist. Man muss bei einem lokalen Fehler die betreffende Leitung abtrennen können."

Sein Institut war vor kurzem an einer Studie des internationalen Rats für Hochspannungstechnik Cigre beteiligt. Sie sieht in 15 bis 25 Jahren ein europäisches Netz voraus, das Gleichstromleitungen zwischen Geothermieanlagen in Island, Wasserkraftwerken in Norwegen, deutschen Windparks und Solarkraftwerken in Nordafrika spannt.

Einen solchen Verbund plant auch die Initiative Desertec, die am Mittwoch in Berlin ihren Kongress gestartet hat. Der chinesische Energieminister habe auf dem Cigre-Kongress in Paris vor kurzem sogar davon gesprochen, berichtet Wilkening, sein Stromnetz mittels HGÜ mit dem europäischen zu verbinden.

Bei der ABB-Anlage handelt es sich bisher um einem Prototyp. Ein marktfähiges Gerät werde in einigen Jahren zur Verfügung stehen, sagt ABB-Sprecher Thomas Schmidt. "Wenn Deutschland ein HGÜ-Netz baut, können wir liefern", verspricht er.

Experten weisen darauf hin, dass die Spannung dann wohl bei mindestens 600.000 Volt liegen werde; ABB-Entwickler Rytoft versichert, es sei kein Problem diese zu erreichen.

Die Konkurrenz bei Siemens, die gerade die Jahrespressekonferenz an diesem Donnerstag in Berlin vorbereitet, reagiert darauf etwas schmallippig: "Wir arbeiten - wie wohl alle namhaften Wettbewerber - an einem HGÜ-Leistungsschalter", sagt Konzernsprecher Torsten Wolf, "und sind zuversichtlich, ihn anbieten zu können, wenn der Markt danach verlangt."

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