HIV:Aids-Viren schon um 1900

Die ersten HI-Viren haben sich offenbar schon deutlich früher in Afrika verbreitet, als bisher angenommen wurde.

Werner Bartens

Die ersten HI-Viren haben sich womöglich schon um das Jahr 1900 verbreitet. Die Aids-Erreger wären damit deutlich früher in der Welt gewesen, als bisher angenommen wurde.

HIV: Kinshasa um 1883-85, kurz nach Gründung der Stadt.

Kinshasa um 1883-85, kurz nach Gründung der Stadt.

(Foto: Foto: Royal Museum for Central Africa)

Zu diesem Ergebnis kommen amerikanische, afrikanische, europäische und australische Biologen, Mediziner und Evolutionsforscher um Michael Worobey von der University of Arizona in Tucson. Im Fachblatt Nature vom heutigen Donnerstag beschreiben die Wissenschaftler, welche Schlüsse sich aus Gewebeproben aus den Jahren 1958 bis 1960 ziehen lassen, die sie untersucht haben (Bd.455, S.661, 2008).

Die Forscher hatten in Präparaten, die in Paraffin konserviert waren, nach Erbschnipseln des HI-Virus gesucht. Die bisher ältesten HIV-Spuren stammen von einem Mann aus Kinshasa in der Republik Kongo. In seiner Blutprobe aus dem Jahr 1959 wurde eine HI-Virus-Sequenz gefunden, wie Wissenschaftler 1998 in Nature berichteten.

Diese Probe war die bisher einzige, die zweifelsfrei auf die Zeit vor 1976 datiert werden konnte. In ihrer aktuellen Untersuchung analysierten die Forscher 27 Gewebeproben aus der Republik Kongo, die aus der Zeit von 1958 bis 1960 stammten - darunter Lymphknoten, Leber und Plazenta.Im Lymphknotengewebe einer Frau aus Kinshasa wurden sie fündig. Das im Jahr 1960 konservierte Präparat enthielt Virus-Abschnitte des HIV-Erregers und ist damit der bisher zweitälteste direkte Virennachweis.

Die Forscher wollten jedoch nicht nur frühe Virus-Spuren identifizieren, sondern dem Ursprung der Seuche auf den Grund gehen. Dabei half ihnen, dass die bei dem Mann in Kinshasa 1959 identifizierten HI-Viren und die der Frau aus dem Jahr 1960 etliche Differenzen in ihrer Molekülstruktur aufwiesen.

Sie berechneten aus der Vielzahl und Größe der Unterschiede eine Art Stammbaum. Je unterschiedlicher die Virus-Sequenz in beiden Proben, so die Vermutung, desto länger musste der Ursprung der Seuche zurückliegen. In diesem Fall waren nach evolutionsbiologischen Gesetzmäßigkeiten mindestens 40 Jahre nötig, bis sich die beiden Virusformen daraus entwickeln konnten.

Die Suche nach dem Ur-Virus

Die Analyse erbrachte, dass ein Ur-Erreger von Aids um das Jahr 1900 entstanden sein müsste. Die Streubreite der Methode ist allerdings groß, die ersten Aids-Viren könnten irgendwann zwischen 1884 und 1924 ihr unheilvolles Wirken begonnen haben.

In diesen Zeitraum fällt die erste Urbanisierung im westlichen Zentralafrika, dem Gebiet, von dem das Aids-Virus seinen Ausgang nahm. Um 1900 entstanden dort erste größere Städte und das veränderte Sozialverhalten mag zur Verbreitung des HI-Virus beigetragen haben, so die Wissenschaftler.

"Die damaligen Veränderungen in der Bevölkerung haben den Viren wahrscheinlich bei der Verbreitung geholfen", sagt Michael Worobey. "Die Schwäche des Virus ist schließlich, dass es sich verhältnismäßig schlecht überträgt." Viele Menschen auf engem Raum hätten es dem Erreger aber leicht gemacht, seinen Seuchenzug um die Welt anzutreten.

Seitdem Forscher der amerikanischen Seuchenschutzbehörde CDC in Atlanta im Juni 1981 in ihrem Fachblatt Morbidity and Mortality Weekly Report über eine seltene Form der Lungenentzündung berichtet hatten, sind Forscher auf der Suche nach dem Ursprung der Seuche.

Die Wissenschaftler aus Atlanta hatten es - ohne es zu wissen - zum ersten Mal mit Aids zu tun. Den Namen bekam das Leiden später. 1984 berichteten Forscher der CDC über den Patienten O. Der Buchstabe O stand für "Out of California", weil die ersten Aidsfälle in den USA dort bekannt wurden.

Später wurde daraus irrtümlich der "Patient Null", ein kanadischer Flugbegleiter, der entlang seiner Reisen angeblich 40 Menschen mit HIV infiziert haben soll. Aus heutiger Sicht wäre "Out of Africa" oder "Out of Kinshasa" der treffendere Name für den ersten Patienten.

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