"Gewalt - Die dunkle Seite der Antike":Die Splatter-Antike

"Gewalt - Die dunkle Seite der Antike": Szene aus dem Film "300: Rise of an Empire"

Szene aus dem Film "300: Rise of an Empire"

(Foto: Legendary / Warner Brothers)

Im Altertum ging es besonders brutal zu? Wie man's nimmt: Historiker Martin Zimmermann hat für sein Buch "Die dunkle Seite der Antike" untersucht, wie Griechen und Römer selbst Gewalt darstellten. Deren Schilderungen seien oft nicht wörtlich zu nehmen.

Von Johan Schloemann

Dass sie brutal waren, die Alten, dass die helle Antike auch eine dunkle Seite hatte - davon muss heute kein Mensch mehr überzeugt werden. Die "300"-Filme, der "Gladiator", die Fernsehserie "Rom": Alles ist voll von Blut, Folter, Willkür und so weiter. Der Sandalenfilm in 3D ist heute nahe dran am Ego-Shooter. Besonders wahnsinnige, sadistische Tyrannen erfreuen sich großer Beliebtheit.

Martin Zimmermann, Althistoriker in München, schreibt im aktuellen Juni-Heft der Zeitschrift Merkur, es werde "rasch deutlich, dass die unkritische Übernahme der Überlieferung hier mehr über den neuzeitlichen Voyeur aussagt als über den Alltag antiker Herrschaftspraxis." Zimmermanns Aufsatz erläutert so das wesentliche Anliegen seines jüngsten Buches mit dem Titel "Gewalt - die dunkle Seite der Antike", nämlich dass "die geschilderte Gewalt nie die Gewalt selbst war". Die antiken Darstellungen von Gewalt - von denen viele über die Jahrtausende berühmt geblieben sind, von Hektors Leiche über Julius Cäsars Ermordung bis zu den Attacken der Barbarenvölker -, diese Darstellungen darf man nicht einfach so glauben. Sie sind, laut Zimmermann, oft gar keine Tatsachenberichte, sie haben vielmehr stets auch der Verständigung einer Gemeinschaft über ihre Ordnung gedient.

"Viele starben . . ."

Der Althistoriker weiß natürlich selber, dass die Behauptung des Verlages im Klappentext Unsinn ist, wo steht, das Buch widme sich "erstmals der bisher wenig beachteten Schattenseite der Antike". Diese, die Schattenseite, ist in Wahrheit seit dem 19. Jahrhundert überaus präsent, seit den Schriften etwa von Erwin Rohde, Jacob Burckhardt oder Friedrich Nietzsche. Und auch schon der Philosoph Thomas Hobbes war im 17. Jahrhundert in seinem Nachdenken über das staatliche Gewaltmonopol stark von der Auseinandersetzung mit der Antike beeinflusst. Martin Zimmermann schreibt selbst, man müsse heute nicht mehr "einer idealisierten Epoche die klassizistische oder humanistische Schminke entfernen". Stattdessen geht es ihm darum, die Darstellungsweisen zu untersuchen, die Kommunikation über Gewalt. So ist eine Art von Diskursgeschichte entstanden, vom alten Orient bis zu den christlichen Märtyrern.

Das heißt nun nicht, dass das Leben nicht auch in der Realität des Altertums brutal gewesen wäre. Zimmermann skizziert das: Kinder zu töten oder auszusetzen, war zum Beispiel eine übliche Methode der Familienplanung. Es herrschten harte patriarchalische Verhältnisse, hohe Unsicherheit des Alltags angesichts von Räubern und Piraten, ständige Gewalt gegen Untergebene, Frauen, Sklaven. Es gab Bürgerkriege, Massaker, ethnische Säuberungen.

Und doch bleibt es bei aller wirklichen Grausamkeit - die sich aber quantitativ kaum erfassen lässt - bedeutsam, wie die Gewalt in den überlieferten Texten und Bildern dargestellt wurde. Am Unterschied zwischen zwei großen Autoren zeigt sich das anschaulich: Homers "Ilias", das erste Werk der abendländischen Literatur, besteht zu zwei Dritteln aus Kampfhandlungen, die teilweise sehr detailliert geschildert werden. Obwohl das Epos nur einen kleinen Ausschnitt der zehn Jahre Krieg um Troja behandelt, kommen darin 318 sterbende Krieger einzeln vor, in etwa 60 unterschiedlichen Todesarten. Da spritzt das Gehirn wie im Splatter-Film, und aus Augen und Nase kommt sprühend das Blut. In Close-up und Zeitlupe.

Anders ist es bei dem Zeithistoriker Thukydides im 5. Jahrhundert vor Christus, dessen nüchterne, eindringliche Geschichte des Peloponnesischen Krieges zwischen den Städten Athen und Sparta einst besagter Thomas Hobbes ins Englische übersetzte. Thukydides, der kühle Analytiker der Macht, schreibt, so Zimmermann, "aus der Feldherrenperspektive". Das hat zur Folge, dass er fast gar keine direkte Gewaltschilderung bietet, sondern mit summarischen Formeln einen neuen Stil in die (Militär-)Geschichtsschreibung einführt: "Viele starben", "Die Stadt wurde erobert" . . .

Der eigene Krieg ist immer gerecht

Östliche Herrscher und Reiche zeichnete man gerne im Zerrbild des griechischen Orientalismus als besonders niederträchtig und blutrünstig. Das ging zwar nicht immer komplett an der Realität vorbei, brüsteten sich doch tatsächlich Assyrerkönige in Inschriften mit ihren Gewaltakten und einfallsreichen Hinrichtungsmethoden, zum Beispiel Brüste abzuschneiden. Als stereotype Exotisierung der Asiaten sind die Kulturbeschreibungen der Griechen trotzdem mit Vorsicht zu genießen, und sie haben auch etwas Verlogenes, wenn man bedenkt, dass ihre eigenen Mythen und Tragödien auch nicht gerade friedfertig sind. Da kämpfen die olympischen Götter blutige Generationenkriege gegen Giganten und Titanen, wie etwa der Fries des Pergamonaltars vorführt; im Mythos werden überaus harte Strafen exekutiert, an Sisyphos, Prometheus, Tantalos oder Marsyas; und das Theater ist von Vater-, Bruder- und Muttermördern bevölkert. Gewaltdarstellungen dienen immer auch der Bewältigung von Erfahrungen und Ängsten. Und der eigene Krieg ist immer gerecht.

In nachklassischer Zeit, im Hellenismus, stritt man darüber, wie sehr die Affekte des Publikums anzusprechen seien: Drastik oder Zurückhaltung? Diese Gegensätze setzten sich in der römischen Geschichtsschreibung fort. In Rom fängt es ja auch gleich brutal an: Ahnherr Äneas tötet einen besiegten, wehrlosen einheimischen König, Stadtgründer Romulus seinen Bruder; und Lucretia, die vom letzten König der Frühzeit vergewaltigt wird und sich ehrenvoll selbst entleibt, gehört zur Gründungslegende der römischen Republik.

Deren Zerrüttung aber, der Bürgerkrieg, ist das zentrale Gewalttrauma der Römer - prägend für den Umgang mit innerer Gewalt in der gesamten europäischen Geschichte. Zur Überwindung des Bürgerkriegs durch das Kaisertum musste die Beteiligung des Augustus durch Propaganda systematisch ausgeblendet werden - bis wieder neue Scheusale auf dem Kaiserthron auftauchten, und begleitend dazu dramatische Märtyrergeschichten. Martin Zimmermann warnt hier vor der Wirkung von Übertreibungen und literarischen Klischees. Allerdings bleibt bei seiner löblichen Bemühung um Quellenkritik gerade im Fall des römischen Kaisertums doch immer wieder unklar, was nun echte Grausamkeit ist und was bloß erzählte.

Schon in der Antike diskutierte man über das "Vergnügen an tragischen Gegenständen". Erst recht seit dem Holocaust fragen wir nach dem Verhältnis von Verrohung und Zivilisation. Und: Ist vormoderne Gewalt dasselbe wie moderne? Martin Zimmermann steuert zu diesen Debatten vielleicht keine glänzende Ideengeschichte bei, aber ein beeindruckendes Panorama der Strategien, das eigentlich Unfassbare am Menschen erzählbar zu machen.

Martin Zimmermann: Gewalt. Die dunkle Seite der Antike. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2013. 412 Seiten, 24,99 Euro. E-Book 19,99 Euro.

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