Römische Kaiserstadt Trier:Goldene Zeiten

Römische Kaiserstadt Trier: Der "Trierer Goldschatz" ist der größte erhaltene Goldschatz aus römischer Zeit. Er wurde 1993 von Hobby-Münzsammlern entdeckt.

Der "Trierer Goldschatz" ist der größte erhaltene Goldschatz aus römischer Zeit. Er wurde 1993 von Hobby-Münzsammlern entdeckt.

(Foto: GDKE-Rheinisches Landesmuseum Trier, Thomas Zühmer)

Das rheinland-pfälzische Trier fühlt sich immer ein wenig verkannt. Die große Nero-Ausstellung will an die bedeutende römische Metropole erinnern, von der bislang nur wenig freigelegt ist.

Von Gianna Niewel

Es gibt diese eine Geschichte über Trier, eine Petitesse eigentlich. Der neue Intendant hatte die Seitenwand des Theaters von Künstlern besprayen lassen, grelle Farben, Fantasiefiguren, "Refugees Welcome". In all dem Gewirr ging zunächst unter: der Penis. Einer Spaziergängerin fiel der Affront schließlich auf. Empörung, die Lokalpresse überschlug sich, es wurde so ziemlich alles gesagt, was man zu einem kleinen Glied auf einem großen Graffito sagen kann. "Sonst keine Sorgen?", mochte man den Trierern zurufen. Anscheinend nicht.

Trier, Augusta Treverorum, Treveris, einst Großstadt nördlich der Alpen, Kaiserresidenz des römischen Imperiums. Doch Roma secunda, das ist lange her. Im bundesweiten Ranking einer Tourismusseite schaffte es Trier mit seinen antiken Sehenswürdigkeiten auf einen respektablen Platz 36, wurde aber zunächst im Saarland verortet, was falsch ist und doch viel darüber verrät, wie die Stadt heute wahrgenommen wird. Nämlich kaum.

Eine Stadt, zwei Anfänge

Terra incognita? Eine groß angelegte Nero-Ausstellung im Mai nächsten Jahres will das ändern. Die Besucher sollen kommen wegen der Römer und bleiben wegen Trier. Schließlich gibt es keine Stadt in Deutschland, an deren Bild sich noch heute vergleichbar gut ablesen ließe, wie es gewesen sein muss: das Leben in einer antiken Metropole. Trier, das alte Mädchen, kann aus Erfahrung hiervon erzählen.

Jede Geschichte, so heißt es, braucht einen Anfang. Die Trierer Historie kennt mindestens zwei. Denn die Stadt beansprucht zwar für sich, die älteste Deutschlands zu sein, zur genauen Gründung aber fehlen Fakten. Ein Indiz, immerhin, liefern mehrere Eichenpfähle, einst Teil einer römischen Brücke über der Mosel. Deren Abfolge von breiten und schmalen Jahresringen legt nahe, wann der Baum gefällt worden sein muss. Mit der Brücke kam die Stadt, 17 vor Christus, meinen die einen, andere glauben, eine etwas spätere Reise des Augustus könnte Anlass gewesen sein für die Stadtgründung. Die Trierer wissen: Wahre Liebe kennt kein Alter.

Fest steht hingegen, dass die Römer bereits 30 vor Christus ein Militärlager auf dem Petrisberg aufschlugen. Öllampen und Fundamente von Lehmbauten sind die frühesten Zeugnisse auf dem heutigen Stadtgebiet. Von dort oben kontrollierten sie die Moselfurt gegen die gallischen Treverer. Als der Stamm besiegt war, räumten die römischen Truppen das Lager wieder. Sie sollten erst unter der Herrschaft von Augustus wiederkommen - um die Stadt zu gründen und die Treverer zu romanisieren. Augusta Treverorum also, die "Stadt des Augustus im Land der Treverer".

Ancient Rome - Map of Roman Augusta Treverorum, now Trier, Rheinland-Palatinate, Germany; 151217_ch_1

Plan des römischen Trier, das damals "Augusta Treverorum" hieß.

(Foto: picture alliance/United Archiv)

Es ist zunächst eine kleine Siedlung, schnell dehnt sie sich aus, verschlingt die Wiesen und Felder, frisst sich ins morastige Umland. Bereits im ersten Jahrhundert bezeichnen Geografen Trier als "urbs opulentissima", als wohlhabende Stadt. Deren Bürger verzieren ihre Wohnhäuser mit Mosaiken von quadratmetergroßen Braunbären, um an die Spiele im Amphitheater zu erinnern, das nach römischem Vorbild auch an der Mosel erbaut wurde. Porträts von Thalia, Terpsichore, Urania, den Musen, sollen die eigene Kultiviertheit zur Schau stellen.

Überhaupt verstanden die Römer unter "urbanitas" nicht unbedingt das Leben innerhalb der Stadtmauern. Viel eher meinten sie hiermit Fähigkeiten wie Redegewandtheit und einen scharfen Verstand, aber auch gestatio, das Promenieren in der Sänfte, oder libelli, die anspruchsvolle Lektüre. Diese Kulturtechniken prägten das Leben in der Stadt. Deren Funktion aber: "Quod alit, quod vestit et armat." Sie ernährt, sie bekleidet und bewaffnet - so zumindest beschreibt der Dichter Ausonius das antike Trier.

Doch eben diese Versorgerfunktion wird bald strapaziert werden. Denn während etwa eine Million Römer im Jahr 248 das 1000-jährige Bestehen ihrer Stadt am Tiber feiern, caput mundi, werden die Reichsgrenzen im Norden instabiler. Die Alemannen fallen ein, die Franken zerstören Trier. Doch Rom übersteht die Reichskrise des dritten Jahrhunderts. Das Imperium, für einen Herrscher allein schon längst unregierbar geworden, wird in vier Teile aufgeteilt. "Rom ist jeweils dort, wo auch der Kaiser ist", verkündet der Geschichtsschreiber Herodian. Roma secunda, das ist fortan an der Mosel.

Trier ist von 286 an Kaiserresidenz, von 293 an sogar Hauptstadt der Praefectura Galliae, eines Gebiets, das sich vom heutigen Großbritannien über Frankreich, Spanien und Portugal bis in den Norden Marokkos erstreckt. Wer verstehen will, wieso Trier damals dieses Weltstadtniveau erreichen konnte, wandert hinaus aus der Stadt, hoch auf den Markusberg. Kahle Buchen, kahle Eichen, bei jedem Schritt knirschen Steine. Die Mariensäule, sie überragt eine Wand aus Wald. Von hier aus überblickt man die gesamte Stadt, die Basilika, den Dom, das grünliche Dach der Porta Nigra, des Stadttors. Das römische Trier war etwas kleiner als die innere Stadt heute, aber nicht viel. Dort, wo Trier-Nord und Trier-Süd sind, vergruben die Römer ihre Toten. Die Felder lagen außerhalb der etwa 6,4 Kilometer langen Stadtmauer, die Trier von etwa 160 nach Christus an befestigte.

Über die Mosel exportierten die Händler Stoffe und Keramikgeschirr, in Trier gefertigte Krüge und Schalen wurden selbst in entlegenen Winkeln des Imperiums gefunden. Im Gegenzug lieferten die Schiffe Waren: "novelum piper", also neuer Pfeffer aus Indien, bauchige Weinamphoren aus Spanien, dann Zimt aus Ceylon, das heute Sri Lanka heißt, Spargel, Spatzen, Rabenfleisch. In ihrer Blüte, im zweiten Jahrhundert, hat die Stadt schätzungsweise 70 000 Einwohner. Sie ist unersättlich. Lebensmitteletikette und Zollsiegel aus Blei bezeugen ihren Hunger.

Eine Fernstraße verbindet das römische Trier mit Köln und Lyon. Zuletzt schätzten die spätrömischen Kaiser die strategisch gute Lage Triers, nah an der umkämpften Rheingrenze und doch weit genug entfernt, um sich für einen plötzlichen Überfall rüsten zu können.

Die reichen Römer mochten nicht frieren

Eine solche Stadt war aber weit mehr als nur ein Zentrum für Militär und Verwaltung. Es gab auch ein vielseitiges ziviles Leben. Für die Römer gehörte zu jeder Stadt ein Platz, auf dem sich die Männer versammeln konnten, Gerichte halten, zu den Göttern beten: das Forum. Ebenso unverzichtbar waren die öffentlichen Badeanstalten. In Trier sind allen voran die Ruinen der Kaiserthermen imposant; fast 20 Meter ragen die Rundbögen aus Kalksandstein in die Höhe, die früher die Apsis bildeten. Mäuerchen trennen noch heute die verschieden temperierten Räume, das Frigidarium, das Caldarium, das Tepidarium.

Unterirdisch wandert man durch hohe, schmale Gänge und weite Fluchten, jedes Wort hallt. Hier sollten Sklaven die Fußböden und die Räume mit riesigen Feuern heizen. Von Holz aus der Umgebung und Kohle genährt, sollten sie Tag und Nacht lodern, während die reichen Römer baden wollten, sich massieren lassen oder die Politik kommentieren.

Trier, Römerbrücke

Die römische Moselbrücke in Trier.

(Foto: akg/Bildarchiv Steffens)

Heute ist es ruhig auf dem riesigen Areal, Moos klettert die Steintreppen entlang, aus den Ritzen zwischen den Ziegeln wuchert Gras. Nur über die nahe Südallee brummen die Autos. Die Straße verband im antiken Trier die Römerbrücke mit dem Amphitheater, wie Perlen an einer Kette reihten sich an ihr gleich zwei der drei Thermenanlagen.

Ein Kreisel beruhigt den Verkehr, er löst auch die langen Geraden und die strenge Rechtwinkeligkeit der Straßen auf. Das antike Trier war eine typische Planstadt: kastenartige insulae mit Wohnhäusern, breite Straßen, über die Eselswagen rumpelten, daneben Abwasserrinnen. Eine Stadt wie ein Schachbrett.

Ihr heutiges Bild trügt, erst im Mittelalter schlichen sich viele Trampelpfade ein, aus Wegen wurden verwinkelte Gassen und Straßen. Auch wenn heute lebensgroße Gladiatoren aus Pappe, rot und gold, den Weg zur nächsten Stadtführung weisen: Die Stadt gehört auch zu den frühen Orten des Christentums.

Einschüchternde Höhe

Eigens dafür ließ Konstantin, der erste christliche Kaiser, Anfang des vierten Jahrhunderts die Basilika bauen. 67 Meter lang, 27 Meter breit, seine Audienzhalle. Ihre kolossale Höhe schüchtert noch immer ein. Das war bereits beim Entwurf die Absicht. In der Apsis saß einige wenige Male der Kaiser selbst, häufiger seine Vertreter.

Die Männer warteten dort vorne darauf, dass Bittsteller aus den Provinzen, aber auch Bürger aus der Stadt den langen Weg auf sie zugelaufen kamen, um sich möglicherweise nach besserem Feuerschutz zu erkundigen. Von hier aus verkündeten sie auch die Beschlüsse aus Rom, Steuererhöhungen zum Beispiel.

Die Basilika, dieser Riese in Rostrot, dann der Dom, die älteste Bischofskirche Deutschlands. Das Amphitheater, noch immer gut erhalten. Trier hatte mit den Barbarathermen die größte Thermenanlage nördlich der Alpen. Das alles sind Monumentalbauten, 1986 adelte die Unesco sie zum Weltkulturerbe.

Gebrochener Marmor, Figuren aus Bronze, Mosaikstücke - die Antike versteckt sich auch zwischen Dreck und Erde. Wer etwa eine Tiefgarage bauen will, muss damit rechnen, dass sich die Arbeiten verzögern. Und, dass der Bauantrag auch seinem Haus vorgelegt wird: Marcus Reuter ist Direktor des Landesmuseums. Er kam vor drei Jahren an die Mosel, die Trierer haben ihn freundlich empfangen.

Was die ihrem Ruf nach ausmacht? Sie eröffnen Gespräche gern mit einem kauzigen "Unn?", worauf der geübte Gesprächspartner "joa" antwortet. Sie trinken Viez aus Porzen, also: Apfelwein aus Porzellanhumpen. Die Trierer verehren ihren Guildo Horn, einen zotteligen Barden, der auf "piep, piep, piep" "ich hab dich lieb" reimte und mit diesem Lied für Deutschland beim - damals noch - Grand-Prix antrat. Der Schlager wurde gefeiert, Platz 7 in Birmingham. Das war 1998.

Nichts von alledem muss man mögen. Marcus Reuter lernte es lieben. Er hat römische Archäologie studiert, kannte Trier also schon aus den Büchern und von Besuchen, ehe er am Landesmuseum so etwas wie der oberste Chefarchäologe wurde. Frage an den Experten: Wie viel antikes Erbe schlummert wohl noch im Verborgenen? Reuter, gestreiftes Hemd, Jeans, lehnt sich erst einmal zurück. Stille. "Wir haben vielleicht zehn Prozent aufgetan." Nur zehn Prozent? "Man meint gern, es sei so viel. Aber an den meisten Stellen haben wir nicht einmal graben können, weil sie bebaut sind."

Doch selbst wenn niemand sucht, wird gefunden; 2650 Goldmünzen zum Beispiel. Ihr Besitzer hätte von diesen Aurei 509 Maulesel kaufen können oder 132 Sklaven. Stattdessen überdauerten sie die Jahrtausende untertags, ehe Hobby-Archäologen sie auf einer Baustelle aufstöberten und in einem Plastikeimer sammelten. 2650 Goldmünzen, das ist der größte jemals gefundene Goldschatz aus der Kaiserzeit. Zufällig wurde er entdeckt. Die Meldung dazu schwappte über die Agenturen in die Meldungsspalten überregionaler Zeitungen. Trier war zurück, zumindest kurz.

Als Rom keine politische Realität mehr war, erwuchs die Stadt zum Mythos. 455 fielen die Franken ein, es war die Zeit der Völkerwanderung, und plünderten Trier. Fortan schrumpfte Treveris - so wurde die Stadt von der Spätantike an genannt - in Größe, Einwohnerzahl, Bedeutung rapide.

Und heute? Eine Universität, eine Hochschule, doch die fertigen Studenten ziehen weg. Keine ICE-Verbindung mehr. Seit ein paar Jahren erst hat die Stadt wieder mehr als 100 000 Einwohner, worauf die Trierer stolz sind; überhaupt gilt eine Gruppe von mehr als drei Menschen hier gleich als "milljunen Leut'". Es ist ein Witz, eigentlich. Das Wahre daran: das Gefühl der Trierer, zu Unrecht unterschätzt zu werden.

Treveris, einst die größte Römerstadt nördlich der Alpen

Ein winterdunkler Abend im Oktober, im ehemaligen Walzwerk hinter dem Bahnhof. Weißer Schwebeboden, Ballettstangen, die Spiegel sind abgehängt - hier proben normalerweise die Tänzer des Theaters.

Jetzt marschieren knapp 20 Männer und Frauen paarweise durch den Raum, sie torkeln wie betrunken und schlagen Schlachten mit unsichtbaren Schwertern. Legionäre in Jogginghosen. "Eure Bewegungen müssen deutlicher werden", feuert der Tanztrainer die Laien an, "aus-la-dend!" Es ist wichtig, sichtbar zu werden - gerade dann, wenn das Publikum weiter weg sitzt.

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Wahrzeichzen Triers: die Porta Nigra.

(Foto: Art Archive/FOTOFINDER.COM)

Noch bleibt den Männern und Frauen Zeit zum Üben. "NeroHero", das Schauspiel, bei dem sie mitwirken möchten, ist geplant im Rahmen der Nero-Ausstellung. Sie wird im Mai in Trier eröffnet. Es soll um den Kaiser Nero gehen, den Künstler, den Tyrannen.

Auch der Louvre schickt Leihgaben

Drei Museen stellen etwa 700 Exponate aus der ganzen Welt aus, das British Museum schickt Leihgaben, der Louvre auch. Ein Pferdeskelett aus einer blutigen Schlacht um Neros Nachfolge ist schon ausgepackt. Nero selbst war genau genommen nie in Trier. Aber als er sich 68 erdolchte, wirkte sein Tod weit über die Grenzen Roms hinaus. Und die folgenden Bürgerkriege wurden eben auch auf der heutigen Römerbrücke ausgefochten.

Trier, Augusta Treverorum, Treveris. Einst die größte Römerstadt nördlich der Alpen, Kaiserresidenz des römischen Imperiums. Roma secunda, das ist in der Tat lange her. Doch das soll nicht stören. Es gibt auch heute noch keinen würdigeren Ort für eine Ausstellung, die auch an das römische Erbe in Deutschland erinnern möchte. Apropos römisches Erbe: Selbst mit dem neu gestalteten Theater haben sich die Trierer, so scheint es, abgefunden.

Der Penis prangt noch immer auf der Seitenwand, er ist nicht übersprüht worden. Wäre auch noch schöner, in diesem Tenor ließ sich unter anderem der Intendant zitieren. Es kommt ja auch niemand auf die Idee, die oftmals nackten römischen Marmorfiguren zu umhüllen.

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