Hirnforschung:Egoisten im Magnetfeld

Die meisten Menschen verzichten lieber auf einen kleinen Gewinn, als auf ein unfaires Angebot einzugehen. Stört man allerdings ihre Hirnfunktionen mit einem Magnetfeld, nehmen sie, was sie kriegen können.

Marcus Anhäuser

Wenn es unter der Schädeldecke jedesmal kitzeln würde, wenn Menschen sich fair verhalten, dann gäbe es in den Labors von Neuroökonomen eine Menge zu lachen.

Sie erforschen seit einigen Jahren intensiv den menschlichen Sinn für Gerechtigkeit, weil er vehement dem Standardmodell der Wirtschaftswissenschaften widerspricht.

Ein echter "Homo oeconomicus" nämlich sollte sich stets so verhalten, dass am Ende das meiste für ihn herausspringt.

Aber die Menschen tun es einfach nicht. Immer wieder zeigen die Versuche der Forscher: Menschen verzichten lieber auf einen Gewinn, als unfaires Verhalten ihres Gegenübers durchgehen zu lassen.

Wo es im Gehirn kitzeln müsste, wenn Menschen dem Impuls zur Fairness folgen, zeigt jetzt eine Untersuchung von Schweizer Forschern: etwa dort, wo bei Männern die Geheimratsecken entstehen (Science online).

Die Arbeitsgruppe um den Wirtschaftswissenschaftler Ernst Fehr von der Universität Zürich ließ Probanden am klassischen Experiment ihrer Zunft teilnehmen, um faires Verhalten zu untersuchen, dem "Ultimatum-Spiel".

Unfaire Angebote werden abgelehnt

Ein Spieler bekommt einen Betrag von zum Beispiel 20 Euro, muss einem anderen Spieler aber einen Anteil anbieten. Dieser kann den Handel akzeptieren, dann bekommen beide ihren Anteil, oder ablehnen. Wenn er ablehnt, gehen beide leer aus.

"Nüchtern betrachtet, müsste jeder Spieler auch das unfairste Angebot von einem Euro annehmen und dem Geber 19 Euro überlassen", sagt Bettina Rockenbach, Wirtschaftswissenschaftlerin von der Universität Erfurt.

Tatsächlich verzichten Teilnehmer aber lieber auf das Geld eines unfairen Angebots, um den unfairen Partner in die Schranken zu weisen.

Während ihre Probanden das Ultimatum-Spiel durchexerzierten, störten die Forscher um Fehr nun die Hirnfunktion des rechten und linken Vorderlappens des Geldempfängers durch einen an den Kopf angelegten Elektromagneten.

Hirnscans hatten bereits gezeigt, dass diese Hirnbereiche besonders aktiv sind, wenn es um Fairness geht. Das magnetische Störfeuer veränderte das Verhalten der Geldempfänger: "Sie nahmen unfaire Angebote eher an, wenn wir den Magneten einsetzten", schreiben die Forscher.

Allerdings nur, wenn der rechte Vorderlappen gestört wurde: Dann verweigerte nur jeder Zweite den unfairen Geldbetrag. Richteten die Forscher den Magneten dagegen auf die linke Seite, lehnten 85 Prozent das unmoralische Angebot ab.

Aber auch wenn mehr Teilnehmer schwach wurden bei einem unfairen Angebot, das Gefühl für Fairness hatten sie nicht verloren: "Besonders interessant ist, dass die Störung zwar das Verhalten der Personen veränderte, aber nicht die Einschätzung, was fair und unfair ist", sagt Bettina Rockenbach.

Mit und ohne magnetisches Störfeuer blieb der Anteil der Personen, die eine unfaire Aufteilung auch unfair nannten, weitgehend gleich.

Von einem Fairnesszentrum im Gehirn möchte Daria Knoch, die Hauptautorin der Untersuchung, aber nicht sprechen: "Nach solchen Zentren hat man früher gesucht. Tatsächlich sind aber alle Bereiche miteinander vernetzt und übernehmen unterschiedliche Aufgaben."

Enorme Rechenleistung notwendig

Leicht fällt dem Menschen seine Fairness aber nicht: Sie braucht eine enorme Rechenleistung, die die Großhirne anderer Säuger nicht zu leisten vermögen.

"Das erklärt, warum Fairness gerade beim Menschen so ausgeprägt ist", sagt Knoch. Und es macht deutlich, warum manche Teenager ihren Mitmenschen das Leben durch Anfälle von Egoismus schwer machen:

"Früher dachte man, das Großhirn sei bei Jugendlichen fertig entwickelt. Heute ist aber bekannt, dass es noch nicht völlig ausgereift ist", sagt Knoch.

Erst am Ende der Jugend scheint sich der Sinn für Fairness voll entwickelt zu haben.

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