Heilungserfolge:Gebranntes Kind

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Der Nachwuchs kann die Gefahren des Feuers schlecht einschätzen und ist besonders empfindlich. Doch heute kann jungen Verbrennungsopfern erstaunlich gut geholfen werden.

Christina Berndt

Es ist meist nur die eine, verflixte Sekunde, die das Leben für immer verändert. Tausendfach tickt sie allein in Deutschland jedes Jahr. Dann zieht der Säugling mit der Tischdecke die heiße Suppe zu sich herunter, dann sitzt die Zweijährige auf Papas Schoß und greift mit einem Mal nach der Kaffeetasse, dann verdreht der Vierjährige beim Baden mit dem Po den Wasserhahn auf Rot.

Mindestens ein Jahr lang müssen Kinder einen Kompressionsanzug tragen, um beulige Narben nach einer Verbrühung zu vermeiden. (Foto: Foto: Valérie Jaquet)

Vivien erlebte diese verflixte Sekunde ausgerechnet an ihrem vierten Geburtstag. Sie wollte die Kerzen auf ihrem Kuchen auspusten, als plötzlich ihr Lieblingspullover in Flammen stand. 45 Prozent ihres Körpers erlitten eine Verbrennung dritten Grades - das ist so viel wie 45 Handflächen des Kindes.

Solch schwere Verbrennungen treffen Kinder besonders häufig. Seltener als noch vor wenigen Jahrzehnten, auch weil etwa "Paulinchen", eine Initiative von Eltern brandverletzter Kinder, unermüdlich Aufklärungsarbeit leistet. Doch nach wie vor verbrennen und verbrühen sich rund zwei Prozent der Kinder im Vorschulalter so schwer, dass sie stationär behandelt werden müssen.

Besonders empfindlich

725 Kinder werden pro Jahr allein in Deutschlands Spezialzentren für schwer brandverletzte Kinder eingeliefert, meist sind sie zwischen ein und drei Jahren alt. Das liegt daran, dass die Kleinen Gefahren wie Feuer, Hitze und Strom nicht richtig einschätzen können. Aber auch daran, dass sie besonders empfindlich für deren zerstörerische Kraft sind.

"Beim Kontakt mit heißem Wasser entsteht bei einem Erwachsenen nach 31 Sekunden eine Verbrühung dritten Grades, bei einem Kleinkind schon in zehn Sekunden", sagt Karin Rothe vom Arbeitskreis "Das schwer brandverletzte Kind" der Deutschen Gesellschaft für Verbrennungsmedizin. "Der Inhalt einer Tasse Tee reicht aus, um 30 Prozent der Körperoberfläche eines Kleinkinds zu verbrühen", warnt Rothe. Auch 50 Grad heißes Wasser sei für Kinder noch desaströs.

Nach dem ersten Schock über das Unglück kommt für Eltern und Kinder meist bald der zweite - wenn sie begreifen, welch beschwerlicher Weg vor ihnen liegt. Das Kind hat meist unerträgliche Schmerzen, jede Berührung, jede Bewegung tut weh.

Trotzdem muss Bewegung sein, um die spannende Haut elastisch zu halten. Jeder Verbandswechsel findet unter Vollnarkose statt. Zugleich sind andauernde Infusionen nötig, um den Flüssigkeitsverlust über die ständig nässende Wunde auszugleichen. Und später müssen die Patienten noch gut ein Jahr lang Kompressionsverbände tragen, damit die Narben nicht sackartig ausbeulen.

Medizinisch gesehen ist es ein großer Vorteil, wenn man eine Verbrennung als Kind erlebt: Das Regenerationsvermögen des Gewebes ist hervorragend, transplantierte Haut wächst in der Regel gut an. Doch später bilden sich oft besonders schlimme Narben, weil der Körper anders wächst als das verpflanzte Gewebe.

Das Leben neu meistern

Auch lange nach dem Unglück bleibt ein brennender Schmerz. Eltern wie Kinder müssen ihr Leben neu meistern. Das Vertrauen, dass schon alles gut geht, dass Kinder einfach unverwüstlich sind, ist ein für allemal zerstört.

"Die Kinder müssen auf den großen Schritt zurück in ihre Kindheit erst vorbereitet werden", sagt Clemens Schiestl, Leiter des Zentrums für brandverletzte Kinder an den Universitätskliniken Zürich. Und wie sollen die Eltern ihren Nachwuchs fortan unbeschwert toben lassen? "Ich war im siebten Monat schwanger (als der Unfall passierte). Plötzlich dachte ich, ich will kein zweites Kind mehr, das halte ich nicht aus", erzählt eine Mutter.

Trotz allem geht es den Verbrennungsopfern später erstaunlich gut, sagt Schiestl, der jetzt zum 30-jährigen Jubiläum seines Zentrums ein Buch herausgegeben hat, für das er und seine Mitarbeiter frühere Patienten besucht haben ("Schaut mich ruhig an", Verlag rüffer & rub, Zürich). "Wir fanden keine gebrochenen Menschen, die mit ihrem Schicksal haderten", schreibt der Chirurg. "Wir können von diesen Kindern viel lernen. Sie fragten eben nicht ,Was habe ich gestern gekonnt?', sondern ,Was werde ich morgen wieder können?'"

"Mit den Narben habe ich keine Probleme", erzählt eine 17-Jährige mit Brandwunden im Gesicht. "Je nach Tagesverfassung mag ich meinen Hintern, meine Brüste, Oberschenkel oder Wurstfinger nicht."

An den spezialisierten Zentren, wie es sie auch im Hamburger Wilhelmstift oder in München-Schwabing gibt, widmet sich ein Team von Experten den Patienten. Chirurgen versorgen die Wunden, Psychologen behandeln die Narben auf der Seele, Zellbiologen züchten neues Gewebe und Physiotherapeuten halten die Gelenke beweglich.

Die Ergebnisse sind erstaunlich gut. "Noch vor 50 Jahren hatte ein Kind, dessen Körperoberfläche zur Hälfte verbrannt war, nahezu keine Überlebenschance", sagt Schiestl. "Heute überleben in der Regel alle diese Kinder." Das liegt vor allem daran, dass sie schnell mit genügend Flüssigkeit versorgt werden und dass Infektionen meist verhindert werden können. "Um so mehr können wir uns den Luxus erlauben, unser Augenmerk auf das kosmetische Ergebnis zu legen", so Schiestl.

In kochendes Wasser war dieser Junge als Kleinkind gefallen. Trotz allem geht es Verbrennungsopfern später erstaunlich gut. (Foto: Foto: Nicole Rossier-Muehlheim)

Ersatzhaut vom Kopf

Seit über 20 Jahren kann dazu bereits Zuchthaut genutzt werden. Sie stammt aus einem Hautstückchen des Patienten und wird im Labor vermehrt. "Aber eigene Haut liefert immer noch das beste Ergebnis", so der Chirurg. Zuchthaut lässt sich später nur schlecht korrigieren.

Neue Operationen aber sind nach einigen Jahren gerade bei Heranwachsenden noch nötig und auch möglich. Für die Transplantation nehmen die besten Zentren bei Kindern deshalb weiterhin eigene Haut, jedoch nicht wie früher vom Oberschenkel, sondern vom Kopf. "Der Kopf ist bei Kindern viel größer; dort lässt sich sehr viel Haut gewinnen, ohne dass sichtbare Narben entstehen." Trotzdem fühlt sich Schiestl oft noch "machtlos im Narbenkrieg", wie er es nennt. Denn nach wie vor bleiben die Verletzungen ein Leben lang sichtbar.

"Wenn Männer mit Frauen reden, schauen sie meistens auf die Oberweite, bei mir schauen sie auf die Narben", sagt eine 20-jährige Frau. "Manchmal fange ich an zu weinen, weil ich traurig bin, weil es nicht schön aussieht oder so."

Zellbiologen wie der Züricher Ernst Reichmann versuchen deshalb, im Labor komplexere Haut zu entwickeln, die möglichst keine Narben bildet. Sie züchten nicht nur die Oberhaut, sondern alle Bestandteile inklusive Blutgefäßen und Schweißdrüsen für einen möglichst natürlichen Gewebeersatz. Weil Blutgefäße vorgebildet sind, ist eine frühe Versorgung des Hautersatzes mit Nährstoffen möglich, sodass die Ersatzhaut eine Überlebenschance hat. Bisher lassen sich so aber nur kleine Hautpflaster herstellen.

Der beste Sieg im Narbenkrieg ist für Schiestl daher, die Unfälle gar nicht geschehen zu lassen. In Kampagnen wirbt sein Team für Wasserkocher mit kurzen Kabeln oder Brennpaste statt Spiritus beim Fondue. Es reicht aber nicht, Gefahrenquellen aus der Wohnung zu verbannen und nur die hinteren Herdplatten zu benutzen: "Eltern sollten ihre Kinder über Feuer und Hitze frühestmöglich aufklären", so Schiestl. Das könne auch spielerisch geschehen, bevor es ein teuflisches Spiel wird.

© SZ vom 30.05.2008/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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