Grundgesetz:Die "Rasse" soll raus

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Es gibt gute Gründe im Grundgesetz auf den Begriff "Rasse" zu verzichten. Doch lassen sich die fatalen Rassen-Theorien auf die Denker der Aufklärung zurückführen?

Von Franziska Augstein

Seit Jahrhunderten befassen die Menschen sich mit der Frage, ob es verschiedene menschliche Rassen gebe. Tausende Gelehrte haben sich den Kopf zerbrochen, Tausende Bücher wurden verfasst. Wenige Themen sind so ausdauernd und dabei so ergebnislos behandelt worden.

Eine "wissenschaftliche" Darstellung menschlicher Rassen aus dem 19. Jahrhundert. (Foto: Quelle: gemeinfrei)

Der wesentliche Unterschied zwischen der heutigen Forschung und der von vor 200 Jahren besteht darin, dass man mittlerweile das menschliche Erbgut untersucht.

Einer klaren Lösung der Frage ist man damit allerdings auch nicht nähergekommen. 1950 hat die Unesco ein "Statement on race" veröffentlicht und damit bewiesen, dass die Politik klüger sein kann als die Wissenschaft: Damals wurde offiziell festgestellt, dass die Vorstellung, es gebe unterschiedliche Menschenrassen, nur für eines gut ist: Verfolgung bis hin zum Genozid.

Das bundesdeutsche Grundgesetz von 1949 entspricht diesem Gedanken. Artikel 3 schreibt vor: "Niemand darf wegen (...) seiner Rasse, (...) benachteiligt oder bevorzugt werden." Im 2006 verabschiedeten Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz heißt es: "Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse (...) zu verhindern oder zu beseitigen."

Gegen diese Formulierungen wendet sich jetzt das Deutsche Institut für Menschenrechte. Das Institut fordert, es mögen die Gesetze umformuliert werden, in denen auf die Rasse von Menschen Bezug genommen wird. Was das Grundgesetz angeht, ist dafür eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat erforderlich.

Weil das Grundgesetz wie ein Anzug ist, der schon mehr als 50-mal der jeweiligen Mode entsprechend im Detail umgeändert wurde, ist die Forderung des Instituts für Menschenrechte nichts Ungewöhnliches. Zudem ist sie vernünftig.

Die Formulierungen, jemand solle "wegen seiner Rasse" oder "aus Gründen der Rasse" nicht diskriminiert werden, legen nahe, dass es so etwas wie Rassen gebe. Das ist aber eben höchst zweifelhaft.

"Rassistische Benachteiligungen verhindern oder beseitigen"

Das Institut plädiert dafür, die Gesetze umzuformulieren. Im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz soll es heißen: "Ziel des Gesetzes ist, rassistische Benachteiligungen (...) zu verhindern oder zu beseitigen." Das Grundgesetz soll entsprechend auch geändert werden. Damit würde klargestellt, dass der Gesetzgeber nicht in rassischen Kategorien denkt.

Der Jurist Hendrik Cremer hat den Vorschlag des Instituts für Menschenrechte in einem "Policy Paper" näher ausgeführt. Seine Begründung geht weit in die Geschichte zurück und auf die neuere Forschung interessanterweise nicht mehr ein.

Juristisch sind Cremers Ausführungen einleuchtend. Seine historische Darstellung gibt indes Anlass zu Kritik. Die Entwicklung der verschiedenen Rassentheorien ist nach dem Zweiten Weltkrieg von Historikern geschildert worden, die Texte der Aufklärungsära mit Blick auf die Schoah lasen.

Sie unterstellten den Denkern der Aufklärungsära, die rassistischen Theoreme des späten 19. und angehenden 20. Jahrhunderts vorbereitet zu haben. Ihre Publikationen prägen das falsche Bild der Aufklärungsphilosophen, dem nun auch Hendrik Cremer aufgesessen ist.

Es ist richtig: Große Philosophen wie David Hume und Immanuel Kant haben sich abfällig über Afrikaner geäußert. Das war aber schon für damalige Verhältnisse etwas undifferenziert und wurde von den eigentlichen "Fachleuten" dementsprechend wenig zur Kenntnis genommen.

David Humes berühmtes Zitat, das ihn als "Rassisten" ausweist, steht in einer Fußnote! Die meisten Ethnologen und Anthropologen, die damals noch nicht unter diesen Namen firmierten, hatten Medizin studiert.

Es waren Professoren an europäischen Universitäten, die fragten: Was unterscheidet den Menschen vom Tier? Wie kommt es, dass die Menschen so unterschiedlich aussehen, obwohl sie doch - manche dachten: angeblich - alle von Adam und Eva abstammen?

Außerdem waren die Denker des 18. Jahrhunderts darauf aus zu klassifizieren. Sie wollten eine Ordnung in die Welt bringen. So sortierte man also - Carl von Linnés Pflanzennamen sind bis heute maßgeblich.

Die Schönheit der Kaukasier

Deutsche Anthropologen und Philosophen haben sich im 18. Jahrhundert besonders rege für die Entwicklung der Menschheit interessiert. Manche sind auch nach damaligen Maßstäben als Rassisten einzuordnen, Christoph Meiners zum Beispiel, der in Göttingen lehrte. Meiners ist mehr oder minder vergessen.

Aber sein Göttinger Gegner Johann Friedrich Blumenbach (1752 -1840) wird immer zitiert, wenn es darum geht, den modernen Rassismus auf die Aufklärungszeit zurückzuführen. Auch Hendrik Cremer tut das.

Blumenbach hat Schädel gesammelt und ausgemessen und auf dieser Grundlage fünf Spielarten der menschlichen Gattung bestimmt. Fünf: für jeden Kontinent eine. Cremer schreibt: "Blumenbach gehört zu den Begründern erster Rassentheorien, nach denen die 'weiße Rasse', die 'Kaukasier', die überlegene Rasse bilden."

Das ist falsch. Blumenbach wollte klassifizieren, sein Kriterium war die Schönheit. Er hatte den Schädel einer Frau aus Georgien zugeschickt bekommen, der ihm wohlgeformter zu sein schien als die Schädel, die er aus anderen Erdteilen gesammelt hatte. Georgien liegt etwa 200 Kilometer vom Berg Ararat im Kaukasus entfernt, wo die Arche Noah der Bibel zufolge nach der Sintflut Land gewann.

Blumenbach nahm an, dass die "Kaukasier" schöner seien als andere. Er hat nie geschrieben, dass sie klüger oder besser seien. Im Gegenteil. In seinem Buch "Beyträge zur Naturgeschichte" äußerte er 1790 "Ein Wort zur Beruhigung in einer allgemeinen familiären Angelegenheit": "Es hat Leute gegeben, die ganz ernstlich dawider protestirt haben ihr eignes werthes ich mit Negern und Hottentotten in eine gemeinschaftliche Gattung im Natursystem gesetzt zu sehen."

Johann Friedrich Blumenbach war alles andere als ein Rassist. Er wusste, dass die Versklavung der Afrikaner damit legitimiert würde, dass es sich um Menschen einer niedrigstehenden Rasse handele.

Dazu sagte er: Ein einziger kluger Mensch, der einem im Übrigen unzivilisiert lebenden afrikanischen Stamm angehöre, sei der Beweis dafür, dass der ganze Stamm den weißhäutigen Menschen nicht von Natur aus unterlegen sei. Wenn der Stamm "unzivilisiert" lebte, so lag das am afrikanischen Klima, nicht an der Natur der Menschen.

Die Rassentheorien, die zur Schoah führten, wurden erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts formuliert. Die Wissenschaftler hatten damals endgültig aufgehört, sich mit der Bibel auseinanderzusetzen.

Manche hängten sich an den neuen nationalistischen und imperialistischen Trend an. Sie wirkten als Verstärker der aus allen möglichen Quellen gespeisten öffentlichen Meinung.

Nicht die Aufklärungsära ist verantwortlich zu machen für den Rassismus des 20. Jahrhunderts. Dieser kam erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf - mit dem Nationalismus und dem Imperialismus .

© SZ vom 08.09.2008/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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