Gesundheitspolitik:Ungewollt in der Führungsrolle

Gesundheitspolitik: Ebola-Bekämpfung in Liberia im Jahr 2014: Deutschland gebe bislang zu wenig für den Kampf gegen Infektionskrankheiten aus, kritisieren Experten.

Ebola-Bekämpfung in Liberia im Jahr 2014: Deutschland gebe bislang zu wenig für den Kampf gegen Infektionskrankheiten aus, kritisieren Experten.

(Foto: AFP)

Nach dem Rückzug der USA wartet auf Deutschland eine Führungsrolle bei der Lösung globaler Gesundheitsprobleme. Doch den Deutschen fehlt es an Engagement - etwa bei der Behandlung von Flüchtlingen.

Von Berit Uhlmann

Jahrzehntelang lief es ähnlich ab: Wann immer auf der Welt ein Gesundheitsproblem auftauchte, rannten die Amerikaner und Briten auf das Feld, während sich die Deutschen am Rand herumdrückten und erst mal den Müll trennten. Doch nun, da nicht mehr sicher ist, nach welchen Regeln die beiden wichtigsten Spieler künftig antreten werden, richten sich die Blicke der Welt auf Deutschland. Könnte dieses Land, das so vorbildlich in der Umwelt- und Klimapolitik ist, nicht auch eine Führungsrolle in der globalen Gesundheit einnehmen? Dem britischen Fachblatt Lancet ist diese Frage kurz vor Beginn des G20-Gipfels in Hamburg gleich vier Artikel wert.

Darin gesteht man der Bundesrepublik immerhin ein funktionierendes Gesundheitssystem zu. Deutschland war das erste Land der Welt mit einer umfassenden Krankenversicherung. Seit Otto von Bismarck das System vor fast 135 Jahren eingeführt hat, blieb es seinen Wurzeln treu: Die Solidarität der Versicherten steht bis heute nicht in Frage. Eine aktuelle Auswertung sieht das deutsche Gesundheitssystem weltweit auf Platz 20, gemessen an den Todesfällen, die durch optimale Versorgung vermieden werden könnten. Die Schweiz, Schweden, Norwegen und die Niederlande beispielsweise schneiden besser ab. Gleichzeitig leistet sich das hiesige System kontinuierlich Überkapazitäten. Deutschland hat 65 Prozent mehr Klinikbetten, als der Durchschnitt der 15 Gründungsmitglieder der EU; die Medikamentenverschreibungen steigen und steigen.

Flüchtlinge sind im deutschen Gesundheitssystem benachteiligt

Neu und mindestens ebenso unangenehm ist der Befund von Wissenschaftlern um die Genfer Politologin Ilona Kickbusch: Deutschland schafft es nicht wirklich, Flüchtlinge in das System zu integrieren. Asylbewerber werden in den ersten 15 Monaten nur sehr eingeschränkt medizinisch versorgt, danach verhindern Sprach- und Kultur-Barrieren eine echte Betreuung. "Wenn Deutschland eine zuverlässige Stütze in der globalen Gesundheit werden will, muss es beständiger in der Einhaltung der Menschenrechts-Standards werden", schreiben die Forscher.

Die Wissenschaftler kritisieren zudem, dass Deutschland auch als Geldgeber nicht gerade glänzt. Zwar ist es als eines von wenigen Ländern gewillt, seine Entwicklungshilfe-Ausgaben zu erhöhen. Ressortchef Hermann Gröhe beziffert die Zuwendungen für Gesundheitsprojekte im Lancet auf mehr als 850 Millionen Euro jährlich. Nur bleibt das Engagement hinter dem Standard der Weltgesundheitsorganisation WHO zurück. 0,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes soll demnach in die Bekämpfung von Krankheiten fließen; Deutschland zahlt nur ein Drittel dieses Betrags, weniger als etwa Großbritannien, Kanada und die USA. Von einem Land in einer Führungsposition würde mehr erwartet werden, mahnen die Wissenschaftler.

In vielen Staaten wird die Gesundheit längst als gesellschaftliche und zunehmend internationale Aufgabe angesehen. Die Schweiz beispielsweise hat bereits vor Jahren eine "Gesundheitsaußenpolitik" entworfen. Doch in Deutschland ist Gesundheit eine intime Angelegenheit zwischen Arzt und Patienten, die niemanden außerhalb des Behandlungszimmers etwas anzugehen hat.

Selbst in der Entwicklungshilfe herrsche ein "auf klinisch-medizinische Ansätze verengtes Verständnis von Gesundheit, das den Anforderungen globaler Gesundheitspolitik nicht gerecht werden kann", kritisiert Thomas Gebauer, Geschäftsführer der Hilfsorganisation medico international. In nur einem Drittel der deutschen Medizin-Studiengänge spielt globale Gesundheit in irgendeiner Form eine Rolle und dann meist als freiwilliger Kurs. Die Qualität bewerten sowohl Ausbilder als auch Studenten als unzureichend. Es gibt auch keine weltweit renommierten Public Health Schulen wie in den USA und Großbritannien. So fehlen Deutschland Experten im Bereich der weltweiten Gesundheit. Die Lancet-Autoren mahnen daher unter anderem dazu, die Ausbildung zu verbessern. Denn die politischen und finanziellen Umstände lassen erwarten, dass Deutschland auf das Spielfeld geschubst wird - ob es nun will oder nicht.

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