Ghana:Im Höllenfeuer der Hightech-Welt

Tausende Menschen in Ghanas Hauptstadt Accra leben vom westlichen Computerschrott. Sie riskieren Leben und Gesundheit. Eine SZ-Wissen-Reportage.

Michael Bitala

Was für ein elender Ort. Der Rauch hier ist so dicht und schwarz, dass man das Kind zunächst kaum erkennt. Je näher man ihm kommt, desto mehr tränen die Augen, desto mehr brennt es in der Nase, im Mund und im Rachen. Dann aber sieht man, dass der kleine Junge auf einer Müllkippe sitzt, auf einem Berg voller Glasscherben und Computertrümmern.

Ghana: Kinder holen Metallhalterungen aus den Monitoren, dafür zahlen Schrotthändler ihnen einige Cent.

Kinder holen Metallhalterungen aus den Monitoren, dafür zahlen Schrotthändler ihnen einige Cent.

(Foto: Foto: Michael Bitala/SZ Wissen)

Er hustet, schaut kurz auf, dann greift er nach einem kinderkopfgroßen Stein und haut ihn auf den Monitor, der vor ihm liegt. Beim ersten Schlag splittert das Glas, beim zweiten bricht es ein. Und als er den Stein wieder zur Seite legt, fließt dickes, hellrotes Blut aus seiner rechten Hand.

Er wischt sie kurz über die dreckige Hose, dann bricht er die restlichen Scherben aus dem Gehäuse. Kwaku Prince Yeboah heißt der Junge mit der blutenden Hand und dem traurigstarren Blick. Er gehört auf der Mülldeponie hinter dem Agbogbloshie-Markt in Ghanas Hauptstadt Accra schon zu den älteren Kindern, er ist zehn Jahre alt, viele sind auch erst fünf oder sechs.

Blutende Hände sind das kleinste Problem

Sie zerschlagen Computerbildschirme mit Steinen. Schnittwunden haben sie alle, aber das ist das kleinste Problem. Der größte Elektroschrottplatz des westafrikanischen Lands ist eine gigantische Giftmüllhalde, eine, in der sich Konzentrationen von Blei, Kadmium, Barium, Quecksilber, Chrom, Arsen, Beryllium, bromhaltigen Flammschutzmitteln und anderer Giftstoffe wie polychlorierten Biphenylen oder Chlorbenzol finden lassen, die bis zu 100-fach die Normalwerte übersteigen.

Wie viele Kinder und Jugendliche schon erkrankt oder gestorben sind, weiß kein Mensch. Sicher aber ist, dass es diesen Ort nicht gäbe, wenn Exporteure in Europa und Amerika ihren giftigen Computerschrott nicht nach Ghana schicken würden.

Oft deklarieren sie ihre Profitgier als Entwicklungshilfe. Wenn nicht gerade der tiefschwarze Rauch ungezählter Feuerstellen alles verhüllt, dann sieht man die gewaltigen Ausmaße der Deponie. Tausende Menschen leben von ihr.

Ausgeweidete PC-Gehäuse und zersplitterte Bildschirme türmen sich bis zu vier Meter hoch. Der Boden besteht fast nur aus Asche. Überall liegen Kabel herum, zerbrochene Platinen, Tastaturen, Prozessoren, Transformatoren und Hunderte Kothaufen.

Auf Schlammlöchern und Tümpeln treiben Flecken, die grün, orangefarben oder blaumetallisch leuchten. Da die Ziegen- und Kuhherden auf der Müllhalde nichts anderes finden, saufen sie aus grell schimmernden Pfützen und fressen ascheverseuchtes Gras.

So sieht es also aus, wenn Europa und die USA vorgeben, die "digitale Kluft" zwischen der Ersten und der Dritten Welt schließen zu wollen. Rund drei Viertel der Desktops, Laptops, Drucker, Scanner und Kopierer, die als Secondhandware deklariert nach Afrika exportiert werden, sind schlichtweg Elektroschrott.

Jedes Jahr, so schätzt das UN-Umweltprogramm, fallen weltweit 50 Millionen Tonnen des giftigen Mülls an, allein in Deutschland sind es rund eine Million Tonnen. Und die Menge nimmt zu. Dafür sorgen schon die Hersteller mit immer schnelleren Prozessoren, noch größeren Flachbildschirmen und leistungsfähigeren Handys. Mit jeder technischen Neuerung wächst der Elektroschrottberg in Afrika, China und Indien.

Im Höllenfeuer der Hightech-Welt

Schon nach wenigen Minuten auf dem Giftmüllfriedhof beginnen die Kopfschmerzen, das Atmen fällt schwer, und im Magen breitet sich Übelkeit aus. Auch Kwaku Prince Yeboah beklagt sich über seinen Arbeitsplatz. Nicht nur, weil er sich dauernd in die Hände schneidet, was bitter genug ist, sondern auch weil die Schmerzen in seiner Brust zunehmen, sein Kopf immerzu wehtut und es nun auch noch in seinem Rücken sticht.

Es vergehe kaum ein Tag, sagt er, an dem ihm nicht schwindelig sei. "Wenn ich könnte, würde ich sofort etwas anderes machen." Aber er findet nichts anderes, und er will endlich wieder zur Schule gehen. "Ich brauch das Geld doch für die Schulgebühren."

Es sind vor allem Kinder wie er, die auf dem Müllplatz einen der gefährlichsten Jobs erledigen. Sie zerschlagen die Röhrenmonitore, um an die Metallhalterungen zu kommen, mit denen das Glas fixiert ist. Doch die Bildschirmscheiben enthalten nicht nur in hoher Konzentration das Nervengift Blei, sondern auch krebserregendes Kadmium, das zudem die Lungen und die Nieren angreift, und Barium, das zu Gehirnschwellungen, Muskelschwund sowie Herz- und Leberschäden führen kann.

Da die dünnen Monitormetallhalterungen bei den Schrotthändlern nicht viel bringen, will diese Arbeit keiner der Jugendlichen und Erwachsenen machen. Aber selbst die paar Cent sind den Kleinen nicht vergönnt. "Oft verprügeln mich die Größeren", sagt Kwaku Prince Yeboah, "und stehlen mir das Metall."

Stinkender scharzer Qualm

Die Größeren, das sind die Jugendlichen, die gut 100 Meter von dem Jungen entfernt, große Kabelknäuel verbrennen, was die Luft mit stinkendem, schwarzem Qualm verpestet. Sie erzeugen auch Dioxin- und Furandämpfe, die sich bis über den Gemüsemarkt und den ganzen Stadtteil ausbreiten. Oft nutzen sie zur Brandbeschleunigung neben Autoreifen auch FCKW-haltigen Schaumstoff aus alten Kühlschränken.

Natürlich wisse er, dass der Rauch gefährlich ist, sagt Robert Ankrah, ein 21-Jähriger, der seit drei Jahren auf dem Elektroschrottplatz arbeitet. "Aber was sollen wir machen? Wir haben keine Jobs. Sollen wir stehlen gehen?" Er und seine Kumpels wollten eben an das Kupfer in den Kabeln gelangen, das bringe am meisten Geld bei den Metallhändlern, umgerechnet zwischen ein und zwei Euro am Tag.

Deshalb brennt der Mann mit der Wollmütze und dem Ziegenbart vom Morgengrauen bis zur Abenddämmerung die Gummi- und Plastikmäntel der Computerkabel weg. "Ich habe keine Beschwerden", sagt er, "ich bin stark, und Gott wird schon auf mich aufpassen." Dann schmeißt er das nächste Kabelknäuel ins Feuer.

Wandert man ein Weile über die Müllhalde, dann findet man nicht nur alte Commodore-Computer, elektrische Schreibmaschinen, leere Gehäuse von Pentium-IV-Rechnern, viele Apple-Bildschirme und noch mehr deutsche Tastaturen. Man kann auch beobachten, wie sich Kinder um die Monitore prügeln, wie Jugendliche winzige Kupferdrähte aus der heißen Asche kratzen oder wie zwei ältere Jungs einem kleinen Mädchen ein gutes Dutzend kleiner Trinkwasserbeutel klauen, die sie verkaufen wollte.

Minutenlang kauert das Kind danach leise weinend auf dem giftverseuchten Boden. Der Agbogbloshie-Markt ist ein angstmachender Ort, einer, an dem man sich gut vorstellen kann, wie die Endzeit der Menschheit aussehen könnte. Und gäbe es nicht Männer wie Mike Anane, dann würde wohl immer noch nicht bekannt sein, was für ein Skandal sich hier abspielt.

Mike Anane ist ein 45-jähriger Ghanaer, der früher als Umweltjournalist gearbeitet hat, was in Afrika ein ziemlich ungewöhnlicher Job ist. Heute aber setzt er all seine Kraft dafür ein, "dieses kriminelle Geschäft zu stoppen". Vor zwei Jahren hat er eine Kampagne gestartet, um den Import von E-Müll, wie der Hightech-Schrott genannt wird, zu verbieten. "Das, was hier stattfindet", sagt er, "ist ein Verbrechen gegen die Kinder und gegen die Umwelt."

Im Höllenfeuer der Hightech-Welt

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Deshalb filmt Anane die Zustände auf dem Agbogbloshie-Markt und spricht mit den Kindern und Jugendlichen, um sie aufzuklären. Ghanas Regierung hat bislang auf die Anklagen des Unweltaktivisten nicht reagiert, und auch in den Medien spielen die Giftmüllhalde von Accra und die vielen anderen im Land keine Rolle.

Dafür aber ist Greenpeace auf Ananes Kampagne aufmerksam geworden. Es hat ein Team aus Europa nach Accra geschickt, das zum ersten Mal Boden- und Wasserproben auf einer Elektroschrotthalde in Afrika nahm und sie analysierte. Als die Testergebnisse Anfang August veröffentlicht wurden, war die Überraschung nicht wirklich groß: Der Bleigehalt im Boden des Agbogbloshie-Markts übertraf die normale Konzentration an anderen Stellen Accras um das 100-Fache. Und auch die Konzentration anderer Schwermetalle und Gifte lag ums Dutzendfache über den Grenzwerten.

Besonders verseucht sind der Boden und das Wasser der Untersuchung zufolge mit Phthalaten, das sind Weichmacher für Kunststoffe wie PVC, die zu Unfruchtbarkeit und Diabetes führen können. Zudem potenziert sich ihre Giftigkeit, wenn sie mit anderen Schadstoffen in Berührung kommen. Der Wert einiger Gifte im Densu-Fluss, der durch den Agbogbloshie-Markt fließt, war bis zu 15-mal höher als in der Asche auf der Müllkippe.

Müll wird zur "Gebrauchtware"

Zwar verbietet die Basler Konvention von 1989 den Export von giftigem Müll in Entwicklungsländer, und nur drei Staaten haben dieses Abkommen bislang nicht ratifiziert - Afghanistan, Haiti und die USA. Aber auch in Deutschland, Frankreich oder Großbritannien haben findige Exporteure Wege gefunden, den Elektroschrott loszubekommen: Der Müll wird einfach als Gebrauchtware deklariert, und diese darf weiterhin ausgeführt werden.

Was aber Müll ist und was Gebrauchtware, ist in Europa nicht eindeutig definiert und wird in Häfen wie Hamburg oder Rotterdam auch nicht wirklich kontrolliert. So kommt es, dass lediglich 25 Prozent der in der EU verkauften Rechner oder Bildschirme auch in der EU recycelt werden, obwohl eine Brüssler Richtlinie vorschreibt, dass alle Geräte von den Verkäufern oder Kommunen fachgerecht und entsprechend teuer entsorgt werden müssen.

Durch den Trick mit der Gebrauchtware verschwindet weiterhin der größte Teil des EU-Elektroschrotts in einem unsichtbaren Strom. Und nicht selten werden die defekten Computer, Drucker oder Bildschirme von den Exporteuren auch noch als Spende für Schulen, Universitäten oder für Hilfsorganisationen deklariert.

Um einen Eindruck zu bekommen, was nach Ghana importiert wird, lädt Mike Anane zu einer Fahrt in den Hafen von Accra ein, wo täglich ungezählte Tonnen E-Müll anlanden. Tausende Container stehen am Kai. Der größte Teil ist verschlossen. Doch die wenigen, die geöffnet sind, enthalten vor allem Sperrmüll und Elektroschrott.

An einer Stelle steht ein Lastwagen zur Abfahrt bereit. Auf seiner Ladefläche sind Hunderte Computerbildschirme und Rechner unverpackt aufeinandergestapelt. Sie sollen bis nach Kumasi gebracht werden, sagt der Fahrer, in die 300 Kilometer entfernte Hauptstadt der ghanaischen Ashanti-Region.

Im Höllenfeuer der Hightech-Welt

Wenn die Geräte jetzt noch nicht kaputt sind, dann sind sie es spätestens nach dieser Schlaglochpistentour. An einer anderen Stelle im Hafen sitzt eine Ghanaerin, die aus Duisburg angereist ist. Sie lädt Elektroschrott, zerbrochene Plastikstühle, ausgefranste Sofas und sogar verstaubte Sangria-Flaschen aus ihrem Container.

Die nächste Ladung, sagt sie in perfektem Deutsch, seien ausschließlich alte Computer, damit verdiene sie mehr Geld, "die kann man hier reparieren oder anderweitig verwenden". Sie habe einen deutschen Lieferanten, sagt sie noch, bevor sie wegen all der Fragen misstrauisch wird, und der sei genauso wie sie "sehr glücklich" über den Handel.

Außerdem helfe sie ja ihrem Heimatland mit der Einfuhr der Hightechgeräte. Anane, der fast immer freundlich und zurückhaltend ist, wird bei solchen Sprüchen dann doch wütend. "Wenn den Computern wesentliche Teile fehlen", schimpft der Umweltaktivist, "wenn die Kabel abgeschnitten sind und wenn die Bildschirme und Rechner nicht einmal verpackt werden für den Überseetransport, dann ist das doch ganz einfach nur Müll."

Exporteure kassieren doppelt

Er schüttelt den Kopf und beginnt zu lachen ob all des "Irrsinns". Früher, fährt er fort, habe es kriminelle Geschäftemacher in Europa gegeben, die afrikanische Zöllner bestachen, um Giftmüll abzuladen. "Heute zahlen wir auch noch dafür, dass wir den Dreck bekommen." Und die Exporteure könnten doppelt kassieren: von den europäischen Händlern, die froh sind, die alten Computer und Bildschirme gegen ein paar Euro loszubekommen, und von den ghanaischen Zwischenhändlern, die ihnen den Schrott abkaufen und dann in Accra weiterverkaufen.

Außerhalb des Hafens drängen sich links und rechts entlang der Straße kleine Läden für gebrauchte Elektronik. Fernseher sind auf den Bürgersteigen aufgereiht, Stereoanlagen, aber vor allem Computer, Monitore und Drucker. Vor einem dieser Geschäfte steht George Boateng und säubert gerade einen 17-Zoll-Röhrenbildschirm mit einem schmutzstarren Lappen.

Auf einem seiner Pentium-III-Rechner ist noch der Aufkleber "Bezirksamt Altona" zu sehen, auf einem Pentium-IV besagt das Etikett, dass er einst dem britischen National Health Service gehörte. Dass die Daten der früheren Besitzer noch auf den Festplatten sind, ist so gut wie sicher.

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"Wir bekommen Computer, auf denen nichts mehr Platz hat, so voll sind sie mit Daten", sagt der Händler Boateng, "aber was interessiert mich, wer in Großbritannien oder in Deutschland krank war oder wer wo wohnt?" Auf solche Festplatten seien nur die nigerianischen Internetbetrüger scharf, er hingegen lösche die Speicher, bevor er die Geräte weiterverkaufe. Für einen funktionierenden Pentium-IV verlangt er 100, für einen Pentium-III 50 US-Dollar.

Vor acht Jahren hat Boateng den Laden eröffnet, weil ein Schwager nach Finnland ausgewandert war und gebrauchte Computer geschickt hatte. "Damals war das ein gutes Geschäft", sagt der Händler, "die Geräte funktionierten in der Regel." Heute aber sei das alles ein "riesiges Glücksspiel": Seine Ware kauft er nun direkt von den Importeuren am Hafen von Accra - und zwar "blind", ohne dass er sie testen darf.

"Wenn ich Glück habe, funktionieren fünf von zehn Computern. Meistens aber sind es nur ein oder zwei." Die kaputten Geräte schlachtet er dann aus und verkauft den Rest für ein Trinkgeld an Schrottsammler, die die ausgeweideten Desktops, Bildschirme oder Drucker dann zum Agbogbloshie-Markt mitnehmen. Selbst Geräte, die noch funktionieren, seien darunter, denn sie könnten oft nicht verwendet werden, sagt Boateng, weil Software fehlt oder ein Kabel oder ein Akku oder die richtige Tinte.

Die Dämmerung bricht herein über dem Agbogbloshie-Markt, am Himmel türmen sich schwarze Gewitterwolken. Kwaku Prince Yeboah, der Junge mit der blutenden Hand, ist nicht mehr zu sehen. Auf der Deponie und am Flussufer aber brennen noch immer die Feuer, die Luft ist genauso verpestet wie am frühen Morgen. Zum Glück sei gerade Regenzeit, sagt Anane, denn wenn es regne, würden die Jugendlichen die Kabel nicht verbrennen, dann gebe es eine kurze Frischluftpause.

Allerdings würde dann der ganze Dreck der Elektroschrotthalde in den Fluss und damit ins Meer vor die Küste Accras geschwemmt werden. Und da wird der Umweltaktivist sarkastisch: "Da europäische Flotten unsere Küsten leer fischen, bekommt ihr zumindest teilweise das Gift auf eure Teller zurück, das ihr uns schickt."

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