Gesundheitspolitik:Experten wollen "Nationalen Impfplan"

Mediziner und Gesundheitspolitiker diskutieren in Mainz eine umfassende Impfstrategie für Deutschland, um Masern-Epidemien wie derzeit in Hamburg vorzubeugen.

Allein in Europa und Israel sind in den vergangenen zwölf Monaten 8145 Menschen an den Masern erkrankt, meldet die Weltgesundheitsorganisation WHO. Mit 86 Prozent der Fälle waren die westeuropäischen Staaten Deutschland, Italien, Österreich, Schweiz, Spanien und Großbritannien sowie Israel besonders betroffen.

Gesundheitspolitik: Die Masern und  viele andere Infektionskrankheiten lassen sich durch Impfungen verhindern.

Die Masern und viele andere Infektionskrankheiten lassen sich durch Impfungen verhindern.

(Foto: Foto: dpa)

Zwischen 2005 und 2008 sind in diesen Ländern 25 Menschen an den Folgen der Infektion gestorben. Dabei hatte die WHO gehofft, das Virus in Europa bis 2010 auszurotten. Doch die Impfquoten reichen nicht aus. Deshalb verlangt die Organisation von den europäischen Ländern, zügig neue Impfprogramme einzusetzen.

Auch in Deutschland sind die Gesundheitsexperten unzufrieden mit der Entwicklung. Um einen "Nationalen Impfplan" zu entwickeln, treffen sich deshalb Vertreter der Gesundheitsministerien der Länder und Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt in Mainz auf der 1. Nationalen Impfkonferenz.

Zusammen mit dem Robert Koch-Institut und dem Paul-Ehrlich Institut sowie Experten aus Medizin und Wissenschaft wollen sie eine gemeinsame Strategie entwickeln, um Infektionskrankheiten und Epidemien wie derzeit in Hamburg vorzubeugen. In der Hansestadt sind allein seit Anfang des Jahres mehr als 100 Menschen an den Masern erkrankt.

Ursache für das Scheitern der Ziele der WHO ist nach Einschätzung des Europabüros der Organisation in Kopenhagen, dass viele Kinder entweder überhaupt nicht gegen das Virus geimpft sind oder nicht die erforderliche zweistufige Impfung erhalten haben - obwohl sich Masern als hochgradig ansteckende Erkrankung verstärkt ausbreiten.

Impfmüdigkeit der Bevölkerung

Paradoxerweise hätten gerade Kinder in den wohlhabenderen Ländern Europas ein höheres Infektionsrisiko. Als wichtigen Grund für den Rückgang der Impfraten gerade in sonst medizinisch gut versorgten westeuropäische Ländern nannte die WHO eine "ideologisch begründete Skepsis" gegen Impfungen sowie auch den Erfolg früherer Impfprogramme.

Wie Fred Zepp, der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, erklärte, gilt dies auch für Deutschland. Der Mediziner beobachtet seit längerem eine "schleichende Impfmüdigkeit". Das habe unter anderem damit zu tun, dass die Menschen seltener mit schweren Infektionskrankheiten wie etwa Kinderlähmung konfrontiert würden. "In den 1960er und 70er Jahren war dies noch anders, da kannte fast jeder jemanden, der an Kinderlähmung litt", sagte Zepp.

Experten wollen "Nationalen Impfplan"

Oft werde vergessen, dass es erfolgreichen Impfkampagnen zu verdanken ist, dass viele gefährliche Infektionskrankheiten sehr selten oder in Deutschland gar ausgerottet seien. "Es kommt hier ein trügerisches Sicherheitsgefühl auf", warnte der Experte. "Menschen nehmen etwas oft nicht mehr als Bedrohung wahr, wenn sie es nicht mehr sehen." Dabei sei etwa die Vorsorge gegen Kinderlähmung oder Diphtherie nach wie vor unerlässlich.

"Bei den Kindern sieht das noch gut aus. Rund 90 Prozent sind in Deutschland gegen die wichtigsten Krankheiten geimpft", sagte Zepp. Dies liege vor allem an den regelmäßigen Besuchen beim Kinderarzt. Doch gerade viele Erwachsene hätten teils prekäre Lücken in ihrem Impfschutz. Da diese seltener eine Praxis aufsuchten, liege bei den 35- Jährigen die Quote etwa der gegen Diphtherie Geimpften nur noch bei rund 40 Prozent. "Dabei ist es wichtig, den Schutz vor diesen Krankheiten wie auch beispielsweise den gegen Keuchhusten alle zehn Jahre auffrischen zu lassen."

Schutzimpfungen für Angestellte

Auch in vielen deutschen Unternehmen kommt der Impfschutz der Angestellten offenbar zu kurz. Betroffen seien vor allem zahlreiche Kleinbetriebe, sagte der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission der Bundesregierung am Robert Koch Institut (STIKO), Friedrich Hofmann, zu Beginn der Nationalen Impfkonferenz. "Die Arbeitgeber sollten bei der Gesundheitsvorsorge mehr in die Pflicht genommen werden."

"Mir sind zahlreiche Fälle bekannt, in denen die Arbeitgeber etwa im Wohlfahrtsbereich, sich weigerten, arbeitsmedizinisch notwendige Impfungen zu bezahlen", sagte Hofmann. Dazu zähle je nach Betrieb der Schutz gegen Hepatitis B und A sowie gegen Masern-Mumps-Röteln.

Die Angst vieler Menschen vor Impfungen ist nach Einschätzung der Experten unangemessen. "Moderne Impfstoffe sind sehr sicher, an großen Gruppen getestet worden und werden ständig weiter überwacht", betonte Fred Zepp. Er forderte, das Thema Impfen im Biologie-Unterricht stärker zu verankern und auch bei der Ausbildung und Fortbildung von Ärzten intensiver zu behandeln. Von der Nationalen Impfkonferenz erhofft sich der Experte eine umfassende Impfstrategie für Deutschland. Diese sollte festlegen, "was wir wollen, wer es macht und auch wie und durch wen die Ergebnisse überprüft werden".

Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt hofft darüber hinaus, dass vor dem Hintergrund der Konferenz "auch ein Diskussionsprozess mit impfkritischen Ärztinnen und Ärzten in Gang kommt".

Schutzimpfungen sind in Deutschland freiwillig. Sie sind aber Pflichtleistungen der Gesetzlichen Krankenkassen. Die Praxisgebühr in Höhe von zehn Euro wird bei reinen Schutzimpfungen nicht fällig.

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