Gesundheitliche Aufklärung:Mit Emotionen gegen Medizin-Mythen

Immer wieder stellen Prominente ihr eigenes Schicksal in den Dienst zweifelhafter Kampagnen - und wirken überzeugender als jede seriöse medizinische Studie. Wissenschaftler fordern nun, dass Ärzte ebenfalls auf "Geschichten" setzen sollten, um Patienten aufzuklären.

Werner Bartens

"Hätte ich nicht den Früherkennungstest gemacht, säße ich heute nicht hier." Es gibt Monstersätze, nach denen jedes rationale Argument, das den Nutzen der Methode auf Grundlage von Statistiken oder Studien in Frage stellt, nur hartherzig und technokratisch wirken kann.

Jenny McCarthy

US-Schauspielerin Jenny McCarthy verbreitet, dass ihr Sohn nach der Masern-Mumps-Röteln-Impfung zum Autisten geworden sei. Ein  Zusammenhang gilt allerdings als widerlegt.

(Foto: AP)

Um wie viel glaubwürdiger erscheint hingegen der Betroffene in der Talkshow oder auf dem Podium, der emotional mit seiner eigenen Überlebensgeschichte bezeugt, dass er von dem Wundermittel X, der Diagnosetechnik Y oder dem Privatklinikchefarzt Z gerettet worden ist.

Kann es ein stärkeres Argument geben als den lebenden Beweis, als den ehemals Kranken, der zum Botschafter der an ihm selbst doch offensichtlich so erfolgreich erprobten Heilslehre wird?

Der Beweis am Einzelfall zieht sich durch alle Schichten und medizinischen Lager. Jede Öko-Mutti behauptet, dass ihr kleiner Racker erst seine hartnäckigen Infekte losgeworden ist, nachdem sie ihn mit homöopathischen Kügelchen, Bachblüten-Essenz oder anderen Zaubertränken vollgestopft hat.

Zachary Meisel und Jason Karlawish von der University of Pennsylvania fordern die Ärzte im Journal of the American Medical Association vom heutigen Mittwoch auf, entsprechend emotionale Geschichten dagegenzusetzen, die auf der Beweiskraft großer epidemiologischer Untersuchungen und seriöser Studien fußen, aber dennoch dazu geeignet sind, dass sich Patienten identifizieren und Einzelschicksale darin aufscheinen (Bd. 306, S. 2022, 2011).

Der Notfallmediziner und der Bioethiker ärgern sich darüber, wenn Prominente ihr eigenes Schicksal in den Dienst einer zweifelhaften Kampagne stellen. Der ehemalige New Yorker Bürgermeister Rudy Giuliani und die Baseball-Legende Joe Torre behaupteten beispielsweise im Herbst in emotionalen Auftritten, der PSA-Test auf Prostata-Krebs habe "ihr Leben gerettet".

Kurz zuvor hatte die US Preventive Services Task Force - neben anderen unabhängigen Medizin-Organisationen - erklärt, dass Männer sich nicht routinemäßig dem PSA-Screening unterziehen sollten.

Jenny McCarthy, Ex-Playmate, Schauspielerin und Amerikas vielleicht prominenteste Impfgegnerin, verbreitet wann immer es geht, dass ihr Sohn nach der Masern-Mumps-Röteln-Impfung zum Autisten geworden sei. Ein unausrottbarer Mythos, dessen von Anfang an dürftige wissenschaftliche Basis sich längst als Fälschung herausgestellt hat. Wird McCarthy damit konfrontiert, sagt sie, "mein Sohn ist meine Wissenschaft", allenfalls die "University of Google" lasse sie zu.

"Wissenschaftliche Artikel sind von sich aus leidenschaftslos und erzählen keine Geschichte", schreiben Meisel und Karlawish. "Wir sollten aber Geschichten dazu nutzen, Patienten verständlich zu machen, was wissenschaftlich bewiesen ist und was nicht."

Diese Narrative seien kein Gegensatz zur Evidenzbasierten Medizin, die methodisch hochwertige Belege fordert, sondern ergänzen sie und fördern eine sinnvolle Heilkunde.

Dabei gehe es nicht nur darum, Patienten von Erfolgen zu berichten, um sie von einer Therapie zu überzeugen. Narrative könnten auch hilfreich sein, um Misserfolge der Medizin zu erklären, beispielsweise die nach zwei Jahren wieder zurückgenommene Zulassung von Avastin zur Behandlung von Brustkrebs im Juli 2010, als sich zeigte, dass Patientinnen mit dem Medikament nicht länger lebten, aber schwere Nebenwirkungen hatten.

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