Gesundheit:Der große Unterschied

Die meisten Menschen empfinden Lärm als sehr störend. Doch er schadet nicht nur den Nerven, sondern auch dem Herzen. Berliner Wissenschaftler haben herausgefunden, dass dies vor allem für Frauen gilt.

Werner Bartens

Für Kurt Tucholsky hat der Mensch vor allem zwei Eigenschaften: Er macht gerne Krach und er hört nicht gerne zu. Die Ohrenlider, die sich der Schriftsteller zum Schutz vor dem allgegenwärtigen Lärm wünschte, hat die Forschung noch nicht erfunden. Dabei erkennen Wissenschaftler immer deutlicher, wie gesundheitsschädlich eine akustische Dauerberieselung ist.

Sozialmediziner und Epidemiologen um Stefan Willich vom Universitätsklinikum der Berliner Charité haben untersucht, ob Lärm aufs Herz schlägt. Das Risiko, einen Infarkt zu erleiden, steigt demnach bereits bei erstaunlich niedrigen Geräuschpegeln, berichten sie an diesem Donnerstag im Fachmagazin European Heart Journal.

"Unsere Ergebnisse zeigen, dass besonders chronischer Lärm das Herz angreift", sagt Willich. Die Mediziner hatten 2000 Patienten mit Infarkt verglichen mit 2000 chirurgischen Patienten aus allen größeren Krankenhäusern Berlins und nach den individuellen Lärmbelastungen der vergangenen zehn Jahre gefragt. Die Analyse ergab, dass Umgebungsgeräusche wie Verkehrslärm das Infarktrisiko für Männer um fast 50 Prozent und für Frauen sogar um das Dreifache gegenüber Menschen erhöhen, die in Ruhe gelassen werden.

Damit kommt Lärm ein etwa halb so hohes Risiko für Herz und Kreislauf zu wie den bekannten Gefahren Bluthochdruck, erhöhte Cholesterinwerte, Übergewicht, Diabetes und Bewegungsmangel. Diese Risikofaktoren erklären aber nur die Hälfte aller Infarkte. Für die andere Hälfte könnte das berufliche und soziale Umfeld entscheidend sein.

Wissenschaftler fordern niedrigere Dezibel-Grenzen

Immerhin klagen 36 Prozent der Erwachsenen in Deutschland über Umgebungslärm, der so stark ist, dass sie sich in ihrer Lebens- und Wohnqualität beeinträchtigt fühlen. Jüngeren Erhebungen zufolge muss ein Drittel der Berufstätigen mindestens ein Viertel des Tages starken Lärm am Arbeitsplatz ertragen.

Wichtig für das Gesundheitsrisiko ist allerdings auch, wie die Geräuschbelästigung empfunden wird. Hier gibt es offenbar große Unterschiede zwischen Männern und Frauen. Bei Männern ist die Gefahr vom objektiven Lärmpegel abhängig. Frauen schlägt hingegen als sehr ärgerlich wahrgenommener Lärm besonders aufs Herz. Wie verschieden die gleiche Ruhestörung empfunden werden kann, ist bekannt: Die Frösche in Nachbars Garten rauben so manchem Schlaf und Nerven. Quaken sie hingegen im eigenen Teich, ist die Nachtruhe nicht bedroht.

Auf welche Weise chronischer Lärm Herz und Gefäße schädigen kann, ist noch nicht ganz klar. Willich und sein Team vermuten aber, dass Lärm zu Ärger und Anspannung führt, was wiederum die vermehrte Ausschüttung der Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin im Körper auslöst. Dadurch steigen Blutdruck und Blutfettspiegel.

Erstaunlich an den Befunden der Berliner Ärzte ist auch, ab welchen Geräuschpegeln die Gesundheit gefährdet ist. Derzeit gelten 85 Dezibel als Grenzwert, der im Beruf einen Ohrschutz erfordert - das entspricht Baustellenlärm aus nächster Nähe. "Die Gefahrenschwelle scheint aber schon bei 60 oder 65 Dezibel zu liegen", sagt Willich und fordert niedrigere Grenzen. "Die Steigerung danach wirkt sich kaum auf die Gesundheit aus." 60 Dezibel werden schon in so manchem geschäftigen Großraumbüro erreicht.

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