Gesellschaft:"Wir kaufen doch eh alle das Gleiche"

Kai-Uwe Hellmann

Kai-Uwe Hellmann ist außerplanmäßiger Professor für Konsum- und Wirtschaftssoziologie an der TU Berlin und hat über die Soziologie der Marke habilitiert. Er ist Gründer des Instituts für Konsum- und Markenforschung in Berlin.

(Foto: oh)

Soziologe Kai-Uwe Hellmann über gläserne Kunden, Gefahren des Ladensterbens und Emanzipation durch Kaufhäuser.

Interview von Marlene Weiss

SZ: Prägt die Art des Konsums die Gesellschaft? Hat beispielsweise das Auftauchen der ersten Kaufhäuser im 19. Jahrhundert etwas verändert?

Kai-Uwe Hellmann: Zum einen bekamen Frauen damit erstmals die Chance, aus ihren üblichen Rollenverpflichtungen im Innern des Hauses auszubrechen und sich im öffentlichen Raum freier zu bewegen. Anders als beim Wochenmarkt ging es dort nicht mehr um die Grundversorgung der Familie. Das Kaufhaus hat dazu eingeladen, ganz andere Wünsche zu befriedigen. Es war eine Art Emanzipation, zuerst in der Oberschicht, dann auch in anderen Klassen. Zum anderen kamen mit den Kaufhäusern einheitliche Preise auf, die nicht mehr verhandelbar waren. Das hatte einen enormen Gleichstellungseffekt.

Und heute? Welche Folgen hat es, wenn Supermärkte weiter automatisiert werden?

Es gibt sicher Kundengruppen, die das vorantreiben, weil es schneller geht, zeitgemäßer ist. Aber es ist auch ein Riesenverlust an wechselseitigem Austausch, an direkter Begegnung. Gerade für ältere Leute wird das zu einer Belastung.

Für manche ältere Menschen ist das Einkaufen eine der letzten Gelegenheiten, unter Leute zu kommen. Schwindet mit den Einkaufsstätten der gesellschaftliche Zusammenhalt?

Dieses Problem ist doch längst da, wir können nur noch zuschauen. Egal, was man mit dem Einkaufen ausprobiert, es wird daran nicht viel ändern. Vor allem junge Berufstätige haben einen Vorteil, wenn ihnen alles geliefert wird oder sie online bestellen und den fertig gepackten Korb später abholen. Aber das führt dazu, dass Orte des Austauschs mit Fremden weichen und man sich stärker in Sozialblasen hineinbegibt, in denen alle den gleichen Stallgeruch haben.

Das klingt ziemlich düster.

Bitte, Sie haben das Thema Zusammenhalt aufgebracht. Wir erleben auf dem Land ein enormes Sterben der kleinen Läden. Es gibt dort kaum noch fußläufig erreichbare Einkaufsgelegenheiten, das wirft ernste Probleme für die Versorgung derer auf, die nicht mobil sind. Begegnungschancen werden weniger oder verlagern sich. Wer gesund ist und eine gute Performance im öffentlichen Raum hinbekommt, kann das kompensieren, aber es gibt genug Leute, die gehandicapt sind. Das ist keine Entwicklung, die darauf ausgerichtet ist, dass es den Leuten gutgeht. Dahinter stehen andere Motive.

Sie haben auch darüber geschrieben, dass Konsum Sicherheit bringt. Warum ist das so?

Die Idee stammt aus den USA, dort haben Forscher in den 50er-Jahren die wachsenden Vorstädte mit überaus gleichförmigen Verbrauchs- und Wohnverhältnissen beobachtet. Es entstand eine Art Standard-Warenkorb, auf den jeder Anspruch zu haben meinte, wenn er sich nur anstrengt: Fernseher, Haus, Auto, am Wochenende Barbecue, dann gehörte man dazu. Das gab Sicherheit. Aber diese Stimmungslage war auch sehr intolerant. Wer den Standard übertraf oder unterbot, musste sich wiederum fragen lassen: Was stimmt nicht mit dir?

Ist das heute noch so?

Heutzutage kann man Abermillionen Menschen nicht mehr über einen Kamm scheren, sondern muss nach einzelnen Konsumgruppen differenzieren. Hipster, Hartz-IV-Empfänger oder Mittelklassefamilien, die für sich eigene Standardpakete des Konsums definieren. Aber die These bleibt relevant.

Finden Sie es problematisch, dass Daten im Einzelhandel so wichtig geworden sind? Händler wissen mittlerweile oft vor ihren Kunden, was diese kaufen wollen und wann.

Was kann man denn schon aus diesen Daten herauslesen? Ist es nicht vollkommen langweilig, was die Leute einkaufen, solange es keine Drogen, Waffen und so weiter sind? Wir kaufen doch eh alle das Gleiche, Brot, Gemüse, Kaffee, irgendwelchen Kleinkram. Ich würde meine Einkäufe sofort offenlegen. Wer meine Artikel liest, versteht viel eher, wer ich bin, als wer über meinen täglichen Konsum Bescheid wüsste.

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