Geschmackssache:Betrug am Gaumen

Die Erforschung des Geschmacksinns macht große Fortschritte. Doch das reicht manchen Wissenschaftlern nicht. Mit neuen Methoden lassen sie fade Speisen salzig oder würzig schmecken und sauren Wein süß.

Kathrin Burger

Ein Biss in die Beere Synsepalum dulcificum und der Gaumen spielt verrückt. Saurer Wein schmeckt auf einmal lieblich, Zitronen erscheinen fruchtig-süß und sogar beißend Scharfes wird erträglich. Wie stellt die aus Afrika stammende Beere den Geschmacksinn auf den Kopf? Ein Glycoprotein namens Miraculin ist für dieses kleine Wunder zuständig, möglicherweise weil es mit Säuren im Mund reagiert und sich dadurch zum Süßstoff wandelt.

Good Taste

Wenn Fruchtsäuren und -zucker aus einem Apfel an die zuständigen Sensoren binden, kommt es zu einer chemischen Kettenreaktion in der Zelle, die als Geschmacksempfidung im Gehirn endet.

(Foto: iStockphoto)

Was die Natur kann, wollen Wissenschaftler in Zukunft auch auf künstlichem Wege bewerkstelligen. Ihr Ziel ist es, den Geschmacksinn so in die Irre zu führen, dass fade Speisen salzig, würzig oder süß schmecken. Bitterstoffe sollen bald vor dem Geschmacksinn abgeschirmt werden, auf dass Menschen nur noch die angenehmen Aromen in einem Lebensmittel wahrnehmen. Die Nahrungsmittelindustrie reagiert begeistert auf solche Visionen, schließlich ist Wohlgeschmack ihr bestes Verkaufsargument.

Die Erforschung des Geschmacksinns hat in jüngster Zeit große Fortschritte gemacht - das hat die Vision von raffinierten Geschmacksverstärkern genährt. Seit etwa zehn Jahren arbeiten Forscher an der Entschlüsselung der molekularen Details, die Menschen süß, sauer, salzig, bitter und umami (fleischartig) auseinanderhalten lassen.

Beim Kauen eines Apfels werden zum Beispiel Säuren und Zucker freigesetzt. Sie binden in der Mundhöhle an Geschmacksrezeptoren - das sind Antennenmoleküle, die auf den Sinneszellen sitzen. Wenn nun Fruchtsäuren und -zucker aus dem Apfel an die zuständigen Sensoren binden, löst dies eine chemische Kettenreaktion in der Zelle aus, die schließlich als Geschmacksempfidung im Gehirn endet.

Die Rezeptoren für süß, salzig, bitter und umami sind weitgehend bekannt. Für die Wahrnehmung einer Süßspeise etwa ist nur ein einziger Rezeptortyp verantwortlich - ein Eiweiß-Duo namens T1R2 und T1R3 - und das, obwohl in der Natur eine Vielzahl an zuckerhaltigen Stoffen vorkommt. Umami, den Geschmack von Fleisch, vermitteln T1R1 und T1R3, wenn Eiweißbausteine an diese andocken. Auf Bitterstoffe reagieren hingegen viele verschiedene Rezeptor-Typen.

"Mit den rund 135 Rezeptorvariationen kann der Mensch über 1000 verschiedene Bitterstoffe, die in der Natur vorkommen, erkennen", sagt Wolfgang Meyerhof, Biochemiker am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (Dife). Obwohl es unterschiedlich gestaltete Rezeptoren für süß, bitter und umami gibt, geht die Weiterleitung der Botschaft innerhalb der Zelle stets den gleichen Weg.

Bindet der Geschmackstoff an den Rezeptor, wird in der Zelle Gustducin gespalten, was über eine biochemische Kaskade zu einer Erhöhung des Calcium-Spiegels in der Zelle und später zu einem Nervenimpuls führt, der an das Gehirn weitergeleitet wird. Das funktioniert, weil stets nur ein Rezeptor einer Geschmacksrichtung auf den Zellen sitzt.

An dieser Stelle setzt etwa der Bitterblocker Adenosinmonophosphat (AMP) an. Er verhindert die Spaltung von Gustducin in der Bitter-Rezeptorzelle und lässt so Kaffee, Grapefruitsaft oder Sojaprodukte weniger bitter erscheinen. Die US-Firma Linguagen hat AMP bereits 2004 auf den Markt gebracht. Doch noch gibt es Probleme. "AMP schmeckt nach umami, weswegen die Anwendung sehr begrenzt ist", sagt Meyerhof.

Gemeinsam mit dem Biotechnologen Jay Slack von der Firma Givaudan Flavors Corporation hat der Potsdamer Wissenschaftler einen anderen vielversprechenden Stoff aufgetan und kürzlich im Fachblatt Current Biology vorgestellt: 4-(2,2,3-trimethylcyclopentyl)-Buttersäure blockt effektiv den Bittergeschmack von Süßstoffen wie Saccharin, und zwar ohne deren Süßgeschmack negativ zu verändern.

"Dies ist der erste spezifische Bitterblocker", sagt Slack. Er könnte nicht nur den Geschmack von mit Süßstoffen versetzten Getränken verbessern, sondern auch die Einnahme von Schmerzmitteln oder Antibiotika bei Kleinkindern vereinfachen. Nicht so gut steht es um Stoffe, die dem Hirn Salzgeschmack vorgaukeln sollen. Eine Arbeitsgruppe von Meyerhof hat etwa die Aminosäure Arginin als Salz-Verstärker ausfindig gemacht. Damit Salzarmes nicht fad schmeckt, müssen sie jedoch in großen Mengen beigemischt werden. Auch das beeinträchtigt das Aromenspiel.

Suche nach Salz-Boostern

Die molekularen Mechanismen des Salzgeschmacks wurden erst kürzlich von Charles Zuker, Biologe am Howard Hughes Medical Institute in einer Nature-Studie in Gänze aufgedeckt. In den Zellmembranen sitzende spezielle Ionenkanäle (ENaC) sind die Salzrezeptoren. Das positiv geladene Natrium aus Kochsalz strömt durch den Kanal und verändert so die elektrische Ladung der Zelle, was schließlich einen Nervenimpuls auslöst. Stoffe wie Arginin vergrößern den Natriumfluss durch den Ionenkanal und verstärken so das Salzempfinden. "Mit der Aufklärung des Rezeptors wird vermutlich die Suche nach Salz-Boostern an Fahrt aufnehmen", sagt Meyerhof.

Alternativen für die handelsüblichen Süßstoffe, die zwar kalorienarm sind, aber oft einen bitteren Nachgeschmack haben, oder für das umstrittene Glutamat werden bereits verkauft. Die US-Firma Senomyx, die von Charles Zuker gegründet wurde, ist bei der Entwicklung der Süß- und Umami-Verstärker Vorreiter.

Mit all diesen Tricksereien sollen Produkte jedoch nicht nur besser schmecken. Die Forscher propagieren Geschmacksmodulatoren auch als Weg, um gesündere Lebensmittel zu entwickeln. "Der reduzierte Einsatz von Zucker in Lebensmitteln könnte unsere Lebensqualität gewaltig verbessern", meint etwa der US-Forscher Zuker. Thomas Hofmann, Lebensmittelchemiker an der TU München, ergänzt: "Die Gesundheit würde von Geschmacksmodulatoren profitieren. Gerade Salz essen wir doch viel zu viel." Unklar ist dabei aber, ob die Geschmacksmodulatoren selbst gesundheitlich unbedenklich sind.

Womöglich wird es auch schwer, überhaupt Produkte mit diesen Stoffen zu verkaufen: Verbraucher kaufen lieber Produkte, die als naturbelassen gelten. Künstliche Stoffe im Essen sind den meisten Kunden suspekt. "Der Verbraucher verlangt zunehmend einen ,clean label', das bedeutet keine Zusätze wie Geschmacksmodulatoren", sagt Hofmann. Darum sucht er nach Geschmacksverstärkern, die natürlicherweise in einer Pflanze oder einem Lebensmittel vorkommen.

Ob diese Produkte den Verbraucher gesünder machen, bleibt unklar. "Künstliche Süßstoffe wie Aspartam werden seit vielen Jahren in erheblichem Umfang konsumiert - Übergewicht und Folgeerkrankungen jedoch sind weiterhin die drängenden gesellschaftlichen Gesundheitsprobleme unserer Zeit", sagt Andrea Danitschek von der Verbraucherzentrale Bayern. Geschmacksexperte Meyerhof wäre auf jeden Fall der schlechteste Kunde für solche vermeintlich gesunden Produkte. Fertigprodukte kommen bei ihm grundsätzlich nicht auf den Tisch.

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