Geschichte:Der Entdecker Europas

Benelong

Ein Porträt, das dem Australier Bennelong zugeschrieben wird.

(Foto: gemeinfrei)

Vor 200 Jahren starb Bennelong, der berühmteste Ureinwohner Australiens. Er lernte Englisch, reiste nach London und es gelang ihm ein friedlicher Ausgleich mit der britischen Kolonialmacht. Doch die Tragödie seines Volkes konnte er nicht verhindern.

Von Jan Bielicki

Seit 40 Jahren lebt Bill Stride in seinem Einfamilienhaus in Putney, einem der westlichen Vororte von Australiens Metropole Sydney. Es liegt in einer ruhigen Wohnstraße nicht weit vom Nordufer des Parramatta River entfernt. Mit der Stille könnte es bald vorbei sein - und das liegt ausgerechnet an der Totenruhe eines Mannes, der vor genau 200 Jahren gestorben ist. "Sie haben mit vielen Geräten gesucht, aber sie haben ihn noch nicht gefunden, mate", sagt Stride am Telefon. Aber der Umweltwissenschaftler Peter Mitchell von der Macquarie Universität ist sich sicher, dass gerade hier, wenige Meter unter Bill Strides Vorgarten, die sterblichen Überreste eines der berühmtesten Australier liegen.

Er hatte viele Namen zu Lebzeiten, wie jeder aus dem Volk der Eora, das seit Menschengedenken an den Ufern der Hafenbucht von Sydney daheim war: Wogetrowey, Boinba, Bundabunda. Am liebsten nannte er sich Woollarawarre. Bekannt wurde er unter dem Namen Bennelong.

Bennelong war Diplomat, Kulturvermittler, Entdecker, "Australiens erster Anthropologe", wie ihn der Autor Tom Keneally nennt. Er war der erste Australier, der ans andere Ende der Welt segelte und seinen Fuß auf europäischen Boden setzte. Vor allem war Bennelong wichtiger Zeuge und Handelnder in einer Zeit, in der die Welt seines Volkes und später aller indigenen Australier, über Jahrtausende durch komplexe Rituale zuverlässig zusammengehalten, aus allen Fugen geriet.

Als Bennelong im Januar 1813 starb, gehörte das Land, auf dem er zuletzt gelebt hatte, nicht mehr dem örtlichen Clan der Wallamattagal, sondern einem verurteilten Hühnerdieb aus England namens James Squire. Dieser betrieb hier den Pub The Malting Shovel. Er war ein Freund Bennelongs und begrub den Toten in seinem Obstgarten. Laut zeitgenössischen Quellen war Bennelong einer von Squires besten Kunden. "In den letzten fünf Monaten seines Lebens war er selten nüchtern", schrieb ein Chronist. Doch das Gerücht, der etwa 50-Jährige sei in einem von Squires Sudfässern ertrunken, ist wohl dem Rassismus geschuldet, mit dem die weißen Neuankömmlinge aus Europa - und viele ihrer Nachkommen bis heute - ihren Landraub und die brutale Verdrängung der ersten Australier rechtfertigten.

1813 war der Tod Bennelongs der örtlichen Sydney Gazette immerhin einen kurzen Nachruf von allerdings gehässigster Überheblichkeit wert: "Von diesem altgedienten Meister des Eingeborenenstammes kann wenig Günstiges gesagt werden. Seine Reise nach und seine wohlmeinende Behandlung in Großbritannien brachten keine Änderung in seinen Neigungen hervor, die von Natur aus barbarisch und wild waren." Und weiter: "In der Tat, er war ein Wilder durch und durch."

Ein Boot voller bleicher Gestalten wie Geister

Aus dieser Zeitungsnotiz spricht jene verächtliche Haltung der weißen Eroberer, die das Leben der Ureinwohner die nächsten 200 Jahre bestimmen sollte - und vielerorts immer noch bestimmt. Erst vor fünf Jahren entschuldigte sich der damalige Premierminister Kevin Rudd für die "tiefe Trauer, das Leid und den Verlust", den die Eroberung des Kontinents den ursprünglichen Einwohnern und ihren Nachkommen bereitet hatte. Es war die Reaktion auf das erst in den vergangenen Jahren gewachsene Bewusstsein im Land, dass es noch eine andere, sehr düstere Perspektive auf die Geschichte Australiens gibt als die der Kolonisten aus Europa.

Australien

Orte aus dem Leben des Bennelong.

(Foto: SZ-Karte: M. Mainka)

Bennelong wurde etwa 25 Jahre vor deren Ankunft geboren. Er stammte aus dem Clan der Wangal, die am Südufer der Bucht lebten. Als Kind bekam er sicher die Aufregung mit, die das Volk der Eora ergriff, als plötzlich ein riesenhaftes Boot vor der Küste auftauchte, besetzt von bleichen Gestalten, von denen nicht sicher war, ob sie Menschen waren oder Geister.

Doch James Cooks Endeavor blieb nicht lange und segelte an der Einfahrt der späteren Hafenbucht ganz vorbei. Im Januar 1788 erschienen sogar elf dieser Riesenboote. Es ist nicht überliefert, wann Bennelong die Neuankömmlinge das erste Mal erblickte. Die Eora sahen mit einer Mischung aus Erstaunen und Entsetzen zu, wie die weißen Gestalten und ihre nie gesehenen Tiere im Gebiet der Wangal an Land gingen. Bald mussten sie feststellen, dass diese Fremden blieben, dass sie stahlen - sogar Menschen.

Arthur Phillip, Flottenchef und Gouverneur, hatte die Ergreifung von Einheimischen befohlen, um "sie zu versöhnen, indem wir ihnen die vielen Vorteile zeigen, die sie genießen würden, wenn sie sich unter uns mischen". Der erste Gefangene, ein Mann namens Arabanoo, starb bald. Die Fremden hatten die Pocken mitgebracht. Jeder zweite Eora, so berichtete Bennelong später, fiel der Seuche zum Opfer. Ihm selber blieben die typischen Pockennarben, aber er überlebte.

Im Dezember 1789 befahl Phillip, weitere Einheimische zu kidnappen. Am Strand von Manly lockten seine Soldaten zwei Männer ins flache Wasser und bugsierten sie trotz heftiger Gegenwehr in ihr Boot. Obwohl in Eisen gelegt, konnte einer der beiden schon wenige Tage später fliehen. Bennelong aber blieb. Er war der zweite Gefangene. "Von gutem Wuchs, und untersetzt gebaut, mit einer kühnen furchtlosen Haltung, die Trotz und Rachegelüste verriet", so schilderte der Offizier Watkin Tench seinen Eindruck.

Bennelong, ein mit fast allen Clans der Gegend bestens vernetzter Mann, war neugierig und mutig, intelligent und humorvoll, gesellig und gelehrig. Schnell kam er auch unter den Engländern aus der Reserve. "Er mochte unsere Nahrungsmittel sofort, und trank die stärksten Schnäpse, nicht einfach ohne Widerwillen, sondern mit begierigen Zeichen der Freude und des Genusses", notierte Tench: "Seine Gedankenkräfte lagen weit über Mittelmaß."

"Seine Gedankenkräfte lagen weit über Mittelmaß"

Bennelong war bereit, sein Wissen zu teilen. Rasch lernte er Englisch, versuchte aber auch mit Tanz und Gesang, den Ankömmlingen die Kultur seines Volkes nahezubringen. Anhand seiner vielen Narben erzählte er von den rituellen Schlachten der Eora - und von seinen brutal erkämpften Eroberungen clanfremder Frauen. "Liebe und Krieg schienen seine Lieblingsbeschäftigungen zu sein", schrieb Tench.

Besonders nah kam Bennelong dem Mann, den er sofort als einflussreichsten Clanältesten der Fremden identifizierte: Gouverneur Phillip. Beide tauschten Namen aus, eine hohe Ehre. Phillip durfte sich fortan Woollarawarre nennen, und Bennelong sich Governor.

Über die Motive von Bennelongs bereitwilliger Kollaboration lässt sich nur spekulieren. Sicher wollte er erkunden, was die Fremden antrieb. Vielleicht wollte er Wege finden, sie wieder zum Abzug zu bewegen. Ganz bestimmt benutzte er sie, um seine politische Stellung im eigenen Volk auszubauen. Mehrmals bedrängte er Phillip, mit Soldaten gegen gegnerische Clans vorzugehen, sie sogar auszurotten. Davon wollte Phillip nichts wissen. Aber er ließ Bennelong an einer Landspitze eine Hütte bauen, aus Stein, aber nur gut einen Quadratmeter groß.

Aber Phillip entkam der Strafe nicht, die er nach den Gesetzen der Eora wegen der Entführungen und der Landnahme verdient hatte - und es war wohl Bennelong, der diese Bestrafung herbeiführte. Jedenfalls lud er Phillip zu einem Treffen auf einem Strand in Manly. Dort wartete ein weit angereister Carradhy, ein Richter und Heiler. Mit seinem Wurfholz rammte er einen vier Meter langen Speer durch Phillips Schulter. Der Gouverneur überlebte, wie es bei solchen rituellen Bestrafungsaktionen vorgesehen war. Es war ein symbolischer Akt, keine Kriegserklärung. Und Phillip war klug genug, nicht militärisch zurückzuschlagen. Seine Freundschaft zu Bennelong vertiefte sich sogar. Vielleicht war die dieser Versuch eines friedlichen Nebeneinanders ein Gegenbeispiel zu dem, was damals überall in der Welt geschah: die Unterdrückung einheimischer Völker durch die weißen Eroberer.

Als Phillip nach England zurückbeordert wurde, ging auch Bennelong auf die große Reise. Im Dezember 1792 bestiegen er und sein jüngerer Begleiter Yemmerawanne die HMS Atlantic. Fünf Monate später erreichten sie den englischen Hafen Falmouth. Aber das Interesse an exotischen Besuchern aus fernen Kolonien war in London längst erloschen. Obwohl sofort fein eingekleidet - grüner Mantel, blau-sämisch gestreifte Weste, schieferfarbene Hose, Seidenstrümpfe - wurden sie nicht von König Georg empfangen.

Die beiden Besucher aus Australien kamen auf Staatskosten im vornehmen Westend unter, klapperten die Sehenswürdigkeiten der britischen Hauptstadt ab, machten Landpartien, gingen ins Badehaus, ins Museum und ins Theater. Doch im Mai 1794 starb Yemmerawanne an einer Lungenentzündung. Bennelong, längst heimwehkrank, hielt nun nichts mehr am Ende der Welt. Im Sommer bestieg er die HMS Reliance, die ihn nach langer Verzögerung im September 1795 wieder in die Bucht brachte, die seine Heimat war.

Nach seiner Rückkehr wurde es ruhig um ihn. Bennelong zog sich von den Kolonisten zurück, lebte wohl als respektierter und häufig in Kämpfe verwickelter Clanältester im Gebiet der Wallamattagal. Was er seinen Leuten über seine Entdeckungen in England erzählte, ist nicht überliefert. Nur in einem Brief an Arthur Phillip, den er 1796 diktierte, ließ er deutlich erkennen, dass er seine eigene Zivilisation jener der Europäer vorzog: "Nicht ich gehe nach England nicht mehr. Ich bin jetzt zu Hause."

Es war freilich ein Zuhause, in dem sich Bennelongs Nachkommen bis heute kaum mehr daheim fühlen. Immerhin, dort wo einst eine kleine Steinhütte stand, steht heute Australiens berühmtestes Gebäude: Sydneys Opernhaus am Bennelong Point.

Hintergrund: Sträflingskolonie Australien

Die Reise ins Unbekannte begann im Dunkeln. Am 13. Mai 1787 um drei Uhr früh stachen die elf Schiffe vom englischen Portsmouth aus in See. An Bord drängten sich mehr als 1400 Männer, Frauen und Kinder, Seeleute und Soldaten. Aber für 600 Männer und 200 Frauen war die Fahrt als Strafe gedacht: Sie waren verurteilt worden, die nächsten Jahre als Sträflinge in einer fernen Weltgegend zu fristen, die nur ganz wenige Europäer je gesehen hatten.

1770 war der Forschungsreisende James Cook jene fernen Küsten entlanggesegelt, die er New South Wales taufte. Eine Bucht hatte es Cooks prominentestem Mitreisenden, dem Naturforscher Joseph Banks, besonders angetan. Er nannte sie Botany Bay. Dort, so Banks, sei das Klima mild, es gebe genug fruchtbaren Boden, und die dortigen "Indianer" würden "alles nötige Land schnell aufgeben".

Innenminister Lord Sydney interessierte an dem fernen Land nur eines: eben dass es so weit weg von England lag. Er brauchte einen Ort, an dem das Königreich seinen Riffraff abladen konnte, die wachsende Zahl der Armen und Kleinkriminellen, die in der beginnenden industriellen Revolution in die Slums der Städte strömten. Nach Amerika, das sich gerade vom Mutterland gelöst hatte, konnte England seine Sträflinge nicht mehr verbannen. Die Gefängnisse waren überfüllt, Hunderte Häftlinge vegetierten auf umgebauten Lastkähnen in Flussmündungen, zum Unwillen der lokalen Bürger.

Das Unternehmen Botany Bay war also rein innenpolitisch motiviert. Als die Erste Flotte, wie sie später genannt wurde, nach siebenmonatiger Überfahrt ihr Ziel erreichte, erwies sich die Bucht als ungeeignet. Ein Spähtrupp stieß nördlich davon in einen Meeresarm vor, den Cook Port Jackson getauft hatte, und fand dort Ankerplätze, Wasser, fruchtbare Böden. Am 26. Januar 1788 ging die Flotte in einer kleinen Bucht vor Anker. Flottenkommandeur Arthur Phillip nannte sie Sydney Cove und hisste die britische Flagge. Für die Völker, die seit 60.000 Jahren hier lebten, begann eine Katastrophe.

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