Geologie in Afghanistan:Mit Hammer und Sturmgewehr

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Im Boden Afghanistans lagern wertvolle Bodenschätze. Die Bedingungen für die Erforschung sind ungewöhnlich: heißes Klima und schlechte Sicherheitslage.

(Foto: AFP)

Tief in der Erde Afghanistans liegen gewaltige Bodenschätze. Unter dem Schutz amerikanischer Soldaten analysieren Geologen potenzielle Lagerstätten. Immer mit dabei: Helme und bombensichere Westen.

Von Richard Stone

Im Februar 2011 war Robert Tucker mal wieder auf Expedition. Er suchte im Gebirge nach Felsproben, die Hinweise auf Bodenschätze liefern. Das ist sein Beruf, der Amerikaner arbeitet als Forschungsgeologe beim Geologischen Dienst der USA (USGS).

Doch Ort und Umstände waren ungewöhnlich: Die Reise führte ihn zum Khanneshin-Komplex in der afghanischen Helmand-Provinz, einer Hochburg der Taliban. Amerikanische Marines mussten die Gegend erst militärisch sichern, bevor Tucker mit einem Team einheimischer und amerikanischer Wissenschaftler einflog, an Bord von zwei Black-Hawk-Helikoptern.

Trotz der brütenden Hitze Afghanistans trugen die Geologen Helme und bombensichere Westen - und mussten mit dieser Ausrüstung in wenigen Stunden den "sehr, sehr steilen Vulkan" besteigen, erzählt Tucker. Oben schwangen die Männer dann einen schweren Vorschlaghammer, um Proben aus dem Fels zu brechen. Einer seiner Kollegen habe bei der schweren Arbeit wegen der extremen Temperaturen einen Schwächeanfall erlitten.

"So etwas habe ich noch nie erlebt", sagt der Geologe, der seit den Tagen an der Universität in den frühen 1980er-Jahren durch unwegsames Gelände klettert. Aber die gefährliche, beschwerliche Arbeit in Afghanistan hat sich gelohnt. Tuckers Team konnte bestätigen, dass die Karbonatit-Gesteine im Khanneshin-Komplex so reich an Bodenschätzen sind, wie sowjetische Geologen bereits 40 Jahre zuvor vermutet hatten.

Es ist noch unklar, wie viel von den seltenen Erden tatsächlich im Boden Afghanistans lagert

In den Magma-Ablagerungen stecken sogenannte Seltene Erden wie Lanthan, Cer und Neodym. Diese Spurenmetalle sind für viele Hightechgeräte, Laser und Magnete unverzichtbar. Außerdem findet sich dort Niob, das für Spezialstahl und supraleitende Drähte gebraucht wird. Marktwert der Metalle aus dem Vulkan: 89 Milliarden Dollar.

Und Khanneshin ist sozusagen nur ein Fingerhut vom Reichtum der afghanischen Erde. Das Sonderkommando für Geschäfte und Stabilität des Pentagon (TFBSO), das Afghanistan wirtschaftlich wieder aufbauen soll, schätzte den Wert der dort lagernden Bodenschätze schon 2010 auf 908 Milliarden Dollar. Die Regierung des scheidenenden Präsidenten Hamid Karsai behauptet gar, die Ressourcen im Land seien drei Billionen Dollar wert. Und US-Geologen sammeln ständig weitere Daten, unterstützt vom Militär.

Im Augenblick bohren die Forscher zum Beispiel im Bett eines ausgetrockneten Sees 100 Kilometer südlich von Kabul, um eine Lagerstätte von Lithium zu erkunden; das Leichtmetall wird für Batterien und Keramik verwendet. Das Ziel sei, sagt James Devine, der beim USGS für wissenschaftliche Untersuchungen zuständig ist, den Bergbaufirmen "nicht nur zu zeigen, dass da Mineralien sind, sondern auch wo sie sind und wie viel es zu holen gibt".

Die wirtschaftliche Zukunft des Landes könnte davon abhängen. "Wir reden hier nicht mehr über Landwirtschaft und Opium, sondern über Mineralien und anspruchsvolle Entwicklung", sagt Devine, also über Technik und Infrastruktur. Die afghanische Regierung hat bereits einer chinesischen Firma die Rechte an einem Kupfervorkommen bei den Ruinen von Mes Aynak gegeben (SZ vom 5. August 2010). Ein indisches Konsortium will eine große Eisenerzmine errichten. Das Parlament in Kabul hat vor wenigen Wochen die Rahmenbedingungen in einem Bergbaugesetz geregelt.

Aber es bestehen noch massive Hindernisse: Es fehlen Straßen, Eisenbahnlinien und Stromleitungen. Wasser und Energie sind knapp. Und die Sicherheit ist ein enormes Problem. Noch ist unklar, ob Armee und Polizei des Landes ihren Aufgaben gewachsen sind, wenn die Koalition der fremden Truppen, darunter deutsche Soldaten, Ende des Jahres abziehen. "Viele der Mineralien liegen in Gegenden, in denen die Sicherheitslage sehr schlecht ist", sagt Hamidullah Waizy, ein Geologe von der Polytechnischen Universität in Kabul.

Die alten russischen Karten mussten vor den Taliban versteckt werden

Ausgangspunkt für die Arbeit der Amerikaner und ihrer einheimischen Kollegen waren alte sowjetische Karten. Die Mitarbeiter des afghanischen geologischen Dienstes (AGS) hatten sie aus den Archiven nach Hause geschmuggelt, bevor die Taliban das Gebäude während ihrer 2001 beendeten Herrschaft zerstörten. Die muffigen Dokumente, teils 50 Jahre alt, zeigten Hinweise auf ein geologisches Wunderland. Aber es gab auch Anlass zum Zweifel.

Manche Indizien beruhten auf veralteten Vorstellungen über die Entwicklung der Erde, die längst von der Theorie der Kontinentalverschiebung abgelöst worden waren. Außerdem gab es offensichtliche Fehler, imaginäre Straßen und Dörfer, die viele Kilometer von ihrem wirklichen Ort eingezeichnet waren.

Immerhin konnten die USGS-Forscher dem Material Hinweise auf 24 womöglich gewaltige Vorkommen von Bodenschätzen entnehmen. Als sie aber die Indizien mit teuren Methoden der Fernerkundung erhärten wollten, trafen sie auf Opposition. "Alle, die Vereinten Nationen, die Weltbank, die amerikanischen Entwicklungshilfe, waren dagegen. Das Geld werde für Bildung gebraucht", sagt Said Mirsad.

Er war 2004 vom amerikanischen Innenministerium in das Land geschickt worden, in dem er aufgewachsen war. Er habe es, sagt er, in den 1960er-Jahren "zu Fuß und auf dem Rücken von Pferden, Eseln, Kamelen und Yaks" durchquert und vermessen. Schließlich war er sogar zum Leiter des AGS aufgestiegen, doch als 1973 der letzte afghanischen König abgesetzt wurde, landete der Geologe im Gefängnis und kam schließlich 1981 in die USA.

Die Parlamentarier in Kabul fordern das Zehnfache dessen, was in stabilen Staaten üblich ist

Mirsad kannte sich also aus und hatte immer noch gute Verbindungen. Schließlich hatte er als junger Mann mit Hamid Karsai donnerstagsabends Bridge gespielt. Der Präsident nutzte dann einen Geldtopf, in den Fluglinien Gebühren für Überflugrechte zahlten, um dem USGS knapp neun Millionen Dollar für geophysikalische Untersuchungen aus der Luft zu geben.

Der Dienst nutzte ein Marineflugzeug vom Typ Orion, um Schwerkraft- und Magnetfeldmessungen zu machen. Lokale Abweichungen vom Magnetfeld deuten auf eisenhaltige Mineralien bis zehn Kilometer unter der Erde hin, während eine veränderte Gravitation Sedimente offen legt. "Und Sedimente bedeuten Öl und Gas", sagt Mirsad. Obwohl die Orion höher fliegen musste, als optimal gewesen wäre, damit sie außerhalb der Reichweite von tragbaren Raketenwerfern bleiben konnte, war die Datenausbeute hervorragend, so die Geologen.

Dann machten sie sich daran, die Oberfläche mit einem hyperspektralen Bildsystem zu untersuchen. "Jedes Mineral reflektiert das Sonnenlicht in einer anderen Farbe", erklärt Mirsad. Die Technik ist erst 20 Jahre alt und war noch nie in diesem Maßstab angewandt worden. Das Pentagon stellte den Geologen einen alten B-57-Bomber zur Verfügung, der das Land wie ein Rasenmäher abflog, Bahn für Bahn.

Mehr als 20 Jahre wird es dauern, bis die Einheimischen den Bergbau selbst verantworten können

Die Untersuchungen bestätigten die Hinweise aus den sowjetischen Karten und wiesen auf einige Besonderheiten hin. Zu den Funden zählen: 45 Millionen Tonnen Kupfer, 2450 Millionen Tonnen Eisenerz, 1,4 Millionen Tonnen Seltene Erden, Lagerstätten von Aluminium, Gold, Silber, Zink, Quecksilber und Lithium. Die Reichtümer sind eine Folge der tektonischen Geschichte: Mindestens vier Erdplatten haben sich zusammengeschoben, um Afghanistan zu bilden.

Einige Jahre lang interessierte sich niemand für die Daten. Erst das Sonderkommando für Geschäfte sah 2010 das Potenzial. Aber für die Minenindustrie waren die Angaben noch immer zu ungenau. Darum haben in den vergangenen vier Jahren immer wieder Geologen des USGS wilde Expeditionen unternommen, bei denen das TFBSO für Logistik und Sicherheit sorgte. "Dabei sorgt man sich gar nicht so sehr darüber, ob man erschossen wird", sagt James Devine, "sondern ob man in den 20 Minuten am Boden genügend Proben bekommen kann".

Offenbar hat sich der Einsatz gelohnt. Die Behörde hat aussagekräftige Informationspakete mit geophysischen Daten, der Topografie, Bevölkerungszahlen und Verkehrsverbindungen zusammengestellt, die Minengesellschaften zu Geboten auf die Schürfrechte veranlassen sollen.

Nun müssen die amerikanischen Experten noch die Erwartungen der afghanischen Politiker auf eine realistische Größenordnung zurechtstutzen. Abgeordnete des Parlaments haben Abgaben von bis zu 50 Prozent des Umsatzes gefordert - etwa das Zehnfache dessen, was in Ländern mit besserer Infrastruktur und stabilen Sicherheitsverhältnissen gezahlt wird. "Die Firmen müssen hier pro Standort fünf bis zehn Milliarden Dollar investieren, bevor sie überhaupt irgendetwas abbauen können", sagt Jack Medlin, der die Arbeit des USGS in Afghanistan leitet.

Zugleich werden afghanische Ingenieure und Bergbauverwalter jetzt in Colorado an der School of Mines ausgebildet. Geologen vom USGS schulen ihre afghanischen Kollegen per Videokonferenz - wegen der Zeitverschiebung kommen die Amerikaner in Reston/Virginia dazu von montags bis mittwochs um drei Uhr morgens ins Büro. "Unter guten Bedingungen dauert all das fünf bis acht Jahre", sagt Jack Medlin. "In Afghanistan könnten es 20 bis 25 Jahre werden." Aber die Übergabe der Verantwortung für die künftige Bergbauwirtschaft an die Einheimischen hat begonnen.

Dieser Artikel ist im Original in "Science" erschienen, dem internationalen Wissenschaftsmagazin, herausgegeben von der AAAS. Weitere Inform.: www.sciencemag.org, www.aaas.org. Dt. Bearb.: cris

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