Geoengineering:Wer verstellt den globalen Thermostaten?

Wenn einzelne Nationen das Klima manipulieren, hat das womöglich ungeahnte Folgen am anderen Ende der Welt. Und nicht unbedingt solche, die man sich wünscht.

Alexander Stirn

Am Anfang steht die Entschuldigung: Wer auch immer sich derzeit für Geoengineering ausspricht, also die gezielte Manipulation des irdischen Klimasystems, schickt ein paar relativierende Sätze voraus. Eigentlich, so ist zu hören, sei der Eingriff in die Abläufe des Planeten gar keine so gute Idee. Eigentlich sei es viel wichtiger, den Ausstoß der schädlichen Klimagase zu reduzieren.

Geoengineering

Entlang der Autobahnen wollen britische Ingenieure künstliche Bäume aufstellen, die CO2 aus der Luft filtern. Die Technik ist noch unerprobt, und die Frage bleibt: Wohin mit dem Klimagas?

(Foto: Institution of Mechanical Engine)

Dann kommt das große Aber: Gerade weil die Einsparbemühungen nicht vorankommen, weil sich die Welt nicht einige, weil die Zeit davonlaufe, sei Geoengineering das kleinere Übel - zumindest nach Abwägung aller Vor- und Nachteile. Kritiker wagen das zu bezweifeln. Geoengineering muss nicht nur große technische Probleme überwinden (siehe Artikel oben), die geplante Weltveränderung zieht auch grundlegende politische und soziale Verwerfungen nach sich.

Eines der Probleme lässt sich am früheren US-Präsident George W. Bush festmachen. Er beauftragte im Jahr 2006 seine Berater, Vorschläge zum Geoengineering zu machen. Bush wollte seine Wähler so vor allzu schmerzhaften Einschränkungen ihres klimaschädlichen Lebenswandels bewahren. Ganz nach dem Motto: Wenn man Kohlendioxid problemlos aus der Atmosphäre bekommt, kann man munter weiter wirtschaften wie bisher.

"Schon heute sehen die Menschen kaum einen Sinn darin, ihr Verhalten wegen des wenig bedrohlich erscheinenden Klimawandels zu ändern", sagt die Physikerin Ulrike Potzel von der Technischen Universität München. "Geoengineering könnte diese Haltung verstärken - dabei müssen wir eher bei der Motivation als bei der Technologie ansetzen."

Andere Experten wehren sich dagegen, einen künstlichen Gegensatz herauf zu beschwören. "Der Eingriff ins Klima muss als Ergänzung, nicht als Ersatz von Vermeidungsstrategien angesehen werden", sagt Samuel Thernstrom, Sozialwissenschaftler am American Enterprise Institute und einer der früheren Berater von Präsident Bush. "Das Ganze kann funktionieren, aber es wird nicht heilen." Genau das sei die Chance: Jemand, der ein Medikament mit starken Nebenwirkungen einnehmen müsse, werde alles daran setzen, zugleich die Ursache seiner Krankheit zu bekämpfen.

Nebenwirkungen unbekannt

Dumm nur, wenn die Nebenwirkungen noch völlig unklar sind: Das Herumdoktern am Planeten könnte auch gravierende soziale Folgen haben. "Wenn durch zusätzlichen Schwefel in der Atmosphäre der Monsunzyklus gestört wird, könnten in Asien zwei Milliarden Menschen ohne Nahrung dastehen", warnt Martin Bunzl, Philosoph an der Rutgers University in New Jersey. "Ohne Geoengineering könnten die steigenden Temperaturen weltweit zwei Milliarden Menschen in den Hungertod treiben", kontert Ken Caldeira, Atmosphärenforscher an der Carnegie Institution der Stanford University.

Geoengineering

Werden wir in Zukunft Energie in den Städten mit Algen erzeugen? So stellen sich einige britische Fachleute das London der Zukunft vor.

(Foto: Institution of Mechanical Engine)

Der Streit zwischen Befürwortern und Gegnern führt unweigerlich zu der Frage, wer die Hand am irdischen Thermostat hat. Geoengineering ist - vor allem, wenn man nicht auf mögliche Nebenwirkungen achten muss - im Vergleich zum kompletten Umbau der Wirtschaft einfach und kostengünstig. Es könnte daher für einzelne Staaten sehr interessant sein. China zum Beispiel versucht schon heute, das Wetter zu kontrollieren. Der Schritt zur Manipulation des Klimas ist da nicht mehr groß. In den Augen der Kritiker befindet sich Geoengineering auf dem besten Weg, zum Spielball einzelner Staaten oder finanzkräftiger Organisationen zu werden. Von terroristischen Interessen ganz zu schweigen.

"Wir brauchen unbedingt ein überstaatliches Gremium mit einem robusten Mandat, um Geotechnologien zu genehmigen oder zu kontrollieren", fordert Peter Wilderer vom Institute for Advanced Study der Technischen Universität München. Der Ingenieur erhält viel Zustimmung von seinen Kollegen - trotz der eher schlechten Erfahrungen mit diversen UN-Gremien im Umweltbereich. Wilderer sagt daher auch: "Ich bin nicht so naiv zu glauben, dass das bald passieren wird. Aber als Wissenschaftler sollten wir unsere politischen Führer in diesem Punkt antreiben."

Bislang gilt Geoengineering allerdings noch immer als das Schmuddelkind der Wissenschaft, mit dem sich kein Politiker gern schmückt. Gerade einmal zehn Millionen Dollar geben die USA jährlich für Studien zur Klimamanipulation aus, sagt Eli Kintisch, Klimaexperte beim Fachmagazin Science. In Zukunft müsste das deutlich mehr werden - gerade weil immer mehr Forscher und Staaten auf diesem Gebiet experimentieren, gerade weil die Folgen noch völlig unabsehbar sind. "Die Büchse der Pandora ist bereits geöffnet", sagt Samuel Thernstrom. "Einzig und allein mehr Wissen und eine stärkere internationale Zusammenarbeit können ihren Missbrauch noch verhindern."

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