Geo-Engineering gegen Klimawandel:Spiel ohne Grenzen

Forscher wollen die Klimakatastrophe mit künstlichen Eingriffen stoppen. Aber beim Geo-Engineering kennt niemand die Nebenwirkungen.

Petra Steinberger

Und jetzt ist dieses Forschungsschiff tatsächlich unterwegs in Richtung des südlichen Eismeeres, um die Welt zu retten. Natürlich sagt man das nicht so laut. Die Forscher vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung sind auf der Polarstern, um wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen.

Geo-Engineering gegen Klimawandel: Manche Forscher träumen von Flotten künstlicher Wolkenmacher.

Manche Forscher träumen von Flotten künstlicher Wolkenmacher.

(Foto: Foto: dpa)

Sie wollen auf einer Fläche von 300 Quadratkilometern den Ozean mit Eisen düngen, um das Wachstum von Algen anzuregen; das Experiment sei völlig unbedenklich, heißt es, da gehe es allein um das bessere Verständnis der Rolle der Ozeane im globalen Kohlenstoffkreislauf.

Natürlich würde sich, sollte das Experiment funktionieren, eine Möglichkeit eröffnen, CO2 in großem Rahmen zu absorbieren - und damit das Klima zu stabilisieren. Aber man will keinesfalls Gott spielen oder die Erde manipulieren. Es ist nur ein Versuch. Ein Back-up für den Notfall.

Umweltschützer protestieren weltweit. Mit der Erde dürfe man nicht herumspielen. Nicht noch mehr als bisher. Nicht in kleinem und schon gar nicht in so großem Maßstab. Die Reise der Polarstern sei ein weiteres Beispiel für menschliche Hybris, für die Wahnvorstellung, die vom Menschen verursachte Klimakatastrophe mittels "Techno-Fix" in den Griff zu bekommen.

Die Polarstern wird noch ein paar Tage unterwegs sein bis zu ihrem Bestimmungsort. Bis dahin mag es ein Moratorium geben. Damit jedoch ist die große Frage noch lange nicht geklärt, die dahinter steht: Darf, soll der Mensch Geo-Engineering, also die globale Manipulation der Erde und ihrer Biosphäre, einsetzen, um den Klimawandel aufzuhalten; und wenn ja, in welchem Rahmen?

Bis vor ein paar Jahren fielen derartige Experimente unter die Rubrik Zukunftsspielchen und Dr.-Seltsam-Phantasien, denen nur ein paar Wissenschaftler nachgingen, man bekam zu schnell einen schlechten Ruf. Wer sich damit befasste, stand im Wissenschaftsbetrieb ähnlich abseits wie die Parapsychologen. Wer darüber schrieb, wurde nur selten gedruckt. Öffentliche Forschungsmittel für Machbarkeitsstudien gab es kaum.

Die Vorschläge klangen ja auch wie das Drehbuch zu einem jener sehr schlechten Science-Fiction-Filme aus den fünfziger Jahren, in denen fortschrittsbesessene Wissenschaftler die Welt wiederholt an den Rande des Untergangs bringen und sie vom letzten vernünftigen Forscher gerade noch gerettet wird.

Nur sind es immer mehr vernünftige Forscher, die inzwischen leise von riesigen Sonnenspiegeln im Weltall träumen und von Flotten künstlicher Wolkenmacher, die das Sonnenlicht ins All zurückwerfen sollen. Nüchterne Forscher träumen von der Düngung der Weltmeere, um CO2 darin zu versenken, und von Wäldern aus künstlichen Bäumen, die CO2 aus der Luft nehmen sollen. Kluge Forscher denken über gewaltige Experimente nach, welche die gesamte Erde manipulieren sollten, um sie zu retten.

Und inzwischen wird Geo-Engineering oft an erster Stelle genannt, wenn es um den Plan B geht, die Menschheit vor der Klimakatastrophe zu bewahren.

Renommierte Wissenschaftler erklären öffentlich, dass die globale Erwärmung auf konventionelle Weise offenbar nicht aufgehalten werden kann. Politik und Gesellschaft haben versagt. Geo-Engineering müsse deshalb zu einer von mehreren Optionen im Umgang mit der Klimakatastrophe werden.

Spiel ohne Grenzen

Die Gefahr des planetaren Kollaps ist groß wie nie. Und deshalb "sollten wir diese Ideen genau wie jede andere Forschung betrachten und sie ernst nehmen", sagt Ralph Cicerone, immerhin Präsident der amerikanischen Akademie der Wissenschaften und keiner, der seinen Ruf leichtfertig aufs Spiel setzen würde.

Die Stimmung unter den Wissenschaftlern kippte, scheint es, um das Jahr 2006. In diesem Jahr wurde der vierte Klimabericht des IPCC, des Intergovernmental Panel on Climate Change, veröffentlicht. In diesem Jahr stieg der Anteil des CO2 wieder einmal in ungeahnte Höhen, ohne dass sich viel änderte im Bewusstsein von Politikern und ihren Wählern.

Das Beste hoffen und für das Schlimmste planen

Unter vielen Wissenschaftlern hat sich die pessimistische Einsicht durchgesetzt, dass die Welt zu wenig und zu langsam handeln wird, um den Klimawandel zu verhindern. Also müssen alle, wirklich alle Optionen noch einmal genau betrachtet werden. Es darf kein Tabu mehr geben. Man müsse, hat ein Befürworter des Geo-Engineering gesagt, das Beste hoffen und für das Schlimmste planen. Man müsse sich auf das Jahr 2030 vorbereiten, wenn sich herausstellt, dass nichts - oder nicht genug geschehen ist. Man muss vorbereitet sein, wenn jene berühmten "tipping points" überschritten sind, wenn es kein Zurück mehr gibt.

Inzwischen hat auch die Royal Society, die britische Version der Akademie der Wissenschaften, erklärt, dass "diese weltumspannenden Interventionen zweifellos riskant sind; aber es könnte eine Zeit kommen, in der sie universell weniger riskant erscheinen, als nichts zu tun." Bis zum Sommer sollen erste Erkenntnisse über die Machbarkeit vorliegen. Umgesetzt werde das aber nur im absoluten Ernstfall, selbstverständlich.

In der jüngsten Ausgabe des Fachjournals Atmospheric Chemistry and Physics haben Wissenschaftler die wichtigsten Ideen zur globalen Klimabeeinflussung nun einem Ranking unterworfen - ohne Berücksichtigung der Kosten. Ganz oben stehen "stratosphärische Ärosole". Man nennt es auch die "Schwefeldecke".

Dahinter steckt eine Idee des Chemie-Nobelpreisträgers Paul Crutzen. 2006 veröffentlichte er einen Aufsatz in der Zeitschrift Climate Change, in dem er vorschlug, 1,5 Millionen Tonnen winziger Schwefeldioxid-Partikel in die Stratosphäre zu blasen. Für 25 bis 50 Milliarden Dollar im Jahr könnte der Klimawandel gestoppt werden, weil die Sonneneinstrahlung auf die Erde reduziert werde - und damit die Erderwärmung.

Einen Erfahrungswert hatte man bereits. Der Vulkan Pinatubo auf den Philippinen hatte bei seinem Ausbruch 1991 geschätzte zehn bis 20 Millionen Tonnen Schwefeldioxid in die Stratosphäre geschleudert, die Sonneneinstrahlung um etwa zwei Prozent reduziert - und so im Jahr darauf die Oberfläche der Erde um mehr als ein halbes Grad abgekühlt.

Kritiker fürchten, dass eine solche Injektion in die Stratosphäre zu saurem Regen führen und die Ozonschicht schädigen könnte, und vermutlich waren Crutzen, dem ehemaligen Leiter des Max-Planck-Instituts für Chemie, diese Risiken sehr wohl bewusst. Doch seit seinem Vorschlag wird er als Befürworter des Geo-Engineering ins Feld geführt.

Spiel ohne Grenzen

Dabei war Crutzen wohl von Anfang an nicht besonders enthusiastisch. Sein Vorschlag, sagte er, sollte "die Politiker aufrütteln. Wenn sie nicht viel mehr unternehmen als in der Vergangenheit, dann müssen wir am Ende solche Experimente durchführen."

Vor einem Jahr noch musste das Unternehmen Planktos seine Feldversuche mit einer Eisendüngung des Ozeans einstellen, nicht ohne sich zuvor über die "äußerst effektive Diffamierungskampagne von Anti-Ausgleichs-Kreuzfahrern" zu beschweren. Ganz Ähnliches versucht jetzt die Polarstern. Man will "Meereswälder" züchten, großflächige Algenblüten erzeugen, die Kohlenstoffdioxid aus der Luft absorbieren sollen. Je größer eine solche Algenblüte ist, so die Theorie, desto mehr CO2 kann gebunden werden. Die bevorzugte Methode ist die Düngung mit Eisen, wie es die Polarstern vorhat.

Man weiß, dass eine kleine Menge Eisen das Planktonwachstum stimuliert. Man weiß, dass in weiten Regionen der Weltmeere praktisch kein Eisen vorkommt. Aber man weiß noch nicht, wie viel gedüngt werden darf und welche Arten von Algen dadurch gefördert werden. Man weiß allerdings, dass Algenblüten zu jenen "Toten Zonen" führen, die beispielsweise im Golf von Mexico an der Mündung des völlig überdüngten Mississippi entstanden sind und jedes Jahr größer werden. Dort lebt nichts mehr, der Ozean ist ein riesiges Grab.

Meeresdüngung entsteht auch auf natürliche Weise jedes Mal, wenn Auftrieb das nährstoffreiche Tiefseewasser an die Oberfläche bringt. Zwei führende britische Klimaforscher haben deshalb vorgeschlagen, dieses Wasser künstlich nach oben zu pumpen. Kaltes Ozeanwasser gilt als "produktiver", weil es mehr marine Lebensformen enthält. Diese würden mehr CO2 absorbieren und es auf den Grund des Ozeans sinken lassen, wo es für Jahrtausende gelagert würde.

Einer der beiden Forscher ist ausgerechnet James Lovelock, der in den sechziger Jahren die "Gaia-Hypothese" begründete. Danach bilden die Erde und ihre Biosphäre einen einzigen Superorganismus, der sich selbst dynamisch organisiert. Gaia fand viele Anhänger in der New-Age- und Ökologie-Bewegung. Doch dort wurde aus einer chemisch-biologischen Prozessbeschreibung ein Glaubenssystem.

Die Erde wurde beseelt, sie wurde in Gaia, die verehrungswürdige Muttergöttin, verwandelt. Und diese Göttin konnte sich bewusst rächen und die Menschen für den ihr zugefügten Schaden auch bestrafen - durch den Klimawandel beispielsweise. Für einen Gaianer müssen Eingriffe in den globalen Rahmen, wie es das Geo-Engineering darstellt, absolut tabu sein.

Lovelock selbst hat sich von einem solchen theologischen Überbau stets distanziert. Da werde komplizierten, aber automatischen ökologischen Prozessen eine metaphysische Bedeutung zugesprochen, die nicht existiert. Der Zustand der Erde, erklärte er in einem großen publizistischen Aufruf, sei inzwischen so dramatisch, dass wohl nur noch drastische Lösungen Rettung versprächen.

Kann man die Erde wie einen Computer noch einmal neu starten?

Lovelock wäre es wie vielen anderen Wissenschaftlern durchaus lieb, wenn solche Experimente über ein kleines Versuchsstadium nie hinauskommen würden. "Die Geo-Engineering-Ansätze, die bisher vorgeschlagen wurden", meint etwa John Holdren, Präsident der American Association for the Advancement of Science, "scheinen mit einer Kombination aus hohen Kosten, geringer Wirkung und einer großen Wahrscheinlichkeit bedenklicher Nebenwirkungen belastet zu sein."

Wer glaubt, man könne mit Geo-Engineering die Erde wie einen Computer einfach noch einmal neu starten, liegt deshalb falsch. Denn man weiß einfach zu wenig über die Erde als potentiellen Gegenstand solcher Manipulationen, über unvorhergesehene Rückkopplungseffekte. Im Gegenteil, man hat viele schlechte Erfahrungen mit früheren massiven technischen Eingriffen in die Umwelt.

Spiel ohne Grenzen

Viele von ihnen hatten unbeabsichtigte Konsequenzen, die andere Desaster auslösten: Dammbauprojekte, die zu Versalzung und Artensterben führten. Nuklearversuche, die Regionen und Menschen verstrahlten. Insektizide wie DDT, welche die Malariaüberträger bekämpfen, aber möglicherweise Krebs auslösen. Und: Beim Geo-Engineering geht es nicht um Details und kleine Landstriche. Diesmal kann ein Fehler den ganzen Planeten irreversibel schädigen.

Es ist also kein Wunder, dass praktisch jeder neue Megakonstruktionsvorschlag eines Wissenschaftlers im Vor- oder Nachwort eine Art Gesundheitswarnung enthält. Die vorgeschlagene Strategie, heißt es, sei vielleicht nicht ganz richtig oder funktioniere möglicherweise überhaupt nicht. Sie könnte aber auch zu gut funktionieren und die Erde in eine neue Eiszeit treiben.

Sie könnte für eine Weile funktionieren und dann eine weitere unvorhergesehene Kettenreaktion auslösen, die alles nur noch schlimmer macht. Sie könnte die Erderwärmung auf der einen Seite der Berge aufhalten und dafür auf der anderen umso mehr verstärken, was die dort lebenden Nachbarvölker nicht besonders erfreuen dürfte. Die Theorie könnte fehlerfrei sein, nicht aber die eingesetzte Technologie.

Schon die Diskussion bietet eine Ausrede für das Nichtstun

Abgesehen von der technischen Umsetzung liegt das größte Problem des Geo-Engineering jedoch in seinen politischen Auswirkungen. Wer kann und soll den Geist, einmal losgelassen, kontrollieren? Cowboy-Staaten oder wildgewordene Individuen könnten auf eigene Faust und nach eigenem Gutdünken gewaltige Engineering-Projekte ins Leben rufen, um sich - und sich allein - Vorteile zu verschaffen. Und selbst, wenn ein internationaler Konsens verlangt würde - wo träfe sich Russland, das von einer Erwärmung profitiert, mit den langsam versinkenden Malediven?

Vor allem aber bietet allein schon die Diskussion darüber einen Fluchtweg, eine Ausrede für das Nichtstun. Wozu all die Mühen zur Verringerung des CO2-Ausstoßes, wenn es doch bald eine große Lösung geben wird? Wieso kleinere Autos bauen und weniger in den Urlaub fliegen, wenn wir CO2 einfach in den Bauch der Erde verbannen können? Die menschliche Erfindungsgabe wird schon einen technischen Ausweg finden - für ein Problem, das durch den verschwenderischen Einsatz technischer Neuerungen überhaupt erst entstehen konnte.

Die Gefahr solcher Gedankenspiele zeigt sich am deutlichsten bei den sogenannten Klimaskeptikern, die den Klimawandel entweder als harmlos abtun oder den Beitrag des Menschen daran bezweifeln. Viele werden von Institutionen und Firmen mitfinanziert, die vom Status quo profitieren. Und viele von ihnen sind Techno-Positivisten, die inzwischen Geo-Engineering propagieren.

Da ist beispielsweise der Think Tank International Policy Network, eine Hochburg der Skeptiker und von Exxon Mobile unterstützt. Die Aussage eines seiner Analytiker erstaunt da kaum: "Wer Geld in die Kontrolle von Kohlendioxidemissionen investiert und nicht in Geo-Engineering, verhält sich wahrscheinlich moralisch verantwortungslos."

Im Remake des Filmklassikers "Der Tag, an dem die Erde stillstand" bittet die Heldin den Gesandten der Außerirdischen, ihre Art noch einmal überleben zu lassen. "But we can change", sagt sie, "wir können uns ändern." Der Außerirdische lässt sich überreden. Die Erde, Gaia oder nicht, wird sich von solchen Bitten kaum beeinflussen lassen.

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