Genforschung:Herumstochern im Genom

Biofrickeln, Biohacken, Do-it-yourself-Biologie - es gibt viele Bezeichnungen für eine junge, weltweite Bewegung von Amateurforschern, die die Gentechnik selbst in die Hand genommen haben. Wissenschaftler prophezeien ihr eine große Zukunft.

Niklas Hofmann

Über einen Nebeneingang des vor zehn Jahren geschlossenen, heute als Partylocation genutzten Stadtbads im Berliner Stadtteil Wedding, gelangte man früher in das hauseigene Solarium. In dessen ehemaligen Kabinen hat sich seit einigen Jahren die "Raumfahrtagentur" eingerichtet, eine Art Gemeinschaftswerkstatt für Hacker und Technikbastler aus dem Umfeld des Chaos Computer Clubs, die sich hier an 3-D-Druckern, Schweißgeräten oder CNC-Fräsen austoben.

Greenpeace Aktivist mit Schafsmaske

Die Biohacker träumen von einer Technologie, die statt den Interessen von Großkonzernen zu dienen, im Dienst der Gesellschaft stünde.

(Foto: DPA)

In einer Kammer, kaum mehr als zwei mal drei Meter groß, einer früheren Toilette, findet man Lisa Thalheims Labor. Ein paar Meter weiter schrauben andere an Fahrrädern, Lisa Thalheim ist hier aber einem genetischen Fingerabdruck auf der Spur. Das Stadtbad Wedding ist einer der ersten Orte in Deutschland, an dem Autodidakten wie sie ihrer Liebe zur Gentechnik nachgehen können.

"Software des Lebens"

"Eine große Zukunft für die Biotechnologie-Industrie", hat der in Amerika als Naturwissenschafts-Papst verehrte Freeman Dyson vor fünf Jahren in der New York Review of Books vorhergesagt. Wenn sie dem Weg der Computerindustrie folge, "wenn sie klein und häuslich wird, statt groß und zentralisiert." Das scheint nun zu geschehen.

Die Bewegung der Gentech-Heimwerker steckt in Deutschland noch in den Kinderschuhen. In den USA aber gibt es schon regelrechte Bürgerlabors, in denen interessierte Laien in die Tiefen des Genoms eintauchen können. Dem Iren Cathal Garvey haben die Behörden die Einrichtung eines Labors der Biologischen Schutzstufe 1 im Gästezimmer seines Elternhauses erlaubt, wo er nun an Bakterien forscht.

Der Geist des Selbermachens könnte sich in der Molekularbiologie so durchsetzen wie in der Computertechnik. Und der Vergleich ist tatsächlich nicht weit hergeholt. Craig Venter etwa stellt die binären Programmiercodes mit ihren Nullen und Einsen explizit auf eine Ebene mit dem Gencode, der ständigen Abfolge von C, T, A und G, die zwar komplexer, aber eben letztlich genauso programmierbar sei. DNS, so sagte Venter vor wenigen Wochen in Turin, ist die "Software des Lebens", bereit dafür, von uns (um-)geschrieben zu werden.

Nicht einfach losklonen

Es gibt zwar kaum Platz in Lisa Thalheims Reich, doch alles für ein Biolabor Wesentliche ist vorhanden: Mikroskop, Zentrifugen, ein Thermocycler, Elektrophoresekammern, jede Menge Pipetten. Einen kleinen Kühlschrank gibt es auch, bloß ein Gefrierfach fehlt. Was an Labormaterial tiefgekühlt werden muss, lagert darum im WG-Kühlschrank der 29-Jährigen. Polymerasen, nichts Gefährliches natürlich, "die kann man auch bei verpeilten Mitbewohnern problemlos lagern". Mit DNA-Forensik, dem Auslesen von DNS-Profilen, beschäftigt sie sich.

Natürlich würde auch Genmanipulation sie reizen, aber da geht, so lange ihr Labor keine entsprechende Lizenz hat, das Gentechnikgesetz vor. Zwar ist sie überzeugt, dass ihr das Gesetz mehr Freiheiten einräumt, als sie ausnutzt. Denn im Gesetz gibt es eine Ausnahmeregelung für Selbstklonierung, also Genmanipulation, die auch durch natürliche Kreuzung erreicht werden könnten.

Weil sie aber Wert auf äußerste Korrektheit legt, hat Lisa Thalheim nicht einfach drauf losgeklont, sondern sich erst mit dem Berliner Landesamt für Gesundheit abgesprochen. Einen detaillierten Plan ihres Experiments an einem E.coli-Stamm soll sie dort einreichen, so hat man es nun vereinbart.

Gentechnik soll kein Herrschaftswissen sein.

"Biofrickeln" nennt Lisa Thalheim das, was sie da im alten Schwimmbad treibt. In Amerika wird die junge Bewegung als DIY Bio, also Do-it-yourself-Biologie bezeichnet. Besonders eingängig aber ist der Name "Biohacking". Die Biologin Ellen Jorgensen hat in New York das kooperativ organisierte Biolabor "Genspace" gegründet, das auch eine Manipulationslizenz hat. Inzwischen ist sie eines der bekanntesten Gesichter der Szene. Ihre Arbeit als Biohacking zu bezeichnen, sei sie anfangs zurückgeschreckt, sagt sie. Inzwischen fühlt auch sie sich mit dem Begriff ganz wohl.

So arbeiten die Biotech-Aktivisten inzwischen auch an einer eigenen Version der Hackerethik. Im vergangenen Jahr traf man sich in London, um einen Verhaltenskodex zu entwickelt. Noch steht der nicht, aber bestimmte Grundregeln sind auch so unumstritten. Etwa die, dass man nicht mit pathogenen, also potenziell krankmachenden Organismen experimentiert.

Kaninchen Alba - der Beweis wie weit die Bio-Art-Szene bereits ist

Natürlich müsse man gerade Neulingen manches erst einbläuen, sagt Lisa Thalheim, etwa: "Wenn du mit E.coli-Bakterien arbeiten willst, dann bestelle sie und extrahiere sie nicht aus Fäkalien." Manche kämen und sagten, "ich würde gerne Hautzellen analysieren, kann ich nicht selbst eine Biopsie machen? Da sagen wir, nein, mache es nicht, da kannst du dir fiese Allergien einfangen."

In Berlin ist das "wir" bislang nicht mehr als ein loser Stammtisch. Etwa fünfzehn Interessierte kommen dort zusammen, der harte Kern besteht nicht einmal aus einem halben Dutzend Personen. Ein paar Molekularbiologen sind auch dabei, Doktoranden zumeist. Zur Gruppe hinter Ellen Jorgensens New Yorker Genspace gehören neben Biologen und vielen Informatikern auch Schriftsteller und Künstler. Die Kunst hat sich die schöne neue Genetikwelt nicht nur schon lange ausgemalt. Tatsächlich, meint Thalheim, sei die Bio-Art-Szene auch in der praktischen Aneignung der Gentechnik lange weiter gewesen als die Ingenieure.

Schon 2000 präsentierte der brasilianische Künstler Eduardo Kac das Albino-Kaninchen Alba, das er in einem französischen Labor mit einem Quallen-Gen so hatte manipulieren lassen, dass es im Dunkeln leuchtete. 2004 landete Steve Kurtz, der Mitbegründer des Kollektivs Critical Art Ensemble als vermeintlicher Bioterrorist kurzzeitig hinter Gittern, weil nach dem Herztod seiner Ehefrau der Rettungsdienst in der Wohnung des Paares auf Petrischalen mit Bakterienkulturen und ein mobiles Gentestlabor gestoßen war, alles Teile von Kurtzs Installationen.

Wo aber in der Kunst immer wieder das Motiv des Transhumanismus auftaucht, der Faszination, die von der Vorstellung ausgeht, den menschlichen Körper durch genetische Manipulation zu optimieren, ist die Realität mal wieder prosaischer. Die visionären Transhumanisten unter den Biohackern, hat Thalheim festgestellt, seien oft jene, "die mehr reden als machen."

"Die Gesellschaft kann noch nicht sagen, was sie von Gentechnik will"

Die Mehrheit der Aktivisten knüpft dagegen an eine ganz lebenspraktische Idee von Volksbildung an, die viel mit dem amerikanischen Gedanken des Empowerment gemeinsam hat. Die Biohacker träumen von einer Technologie, die statt den Interessen von Konzernen wie Monsanto zu dienen, im Dienst der Gesellschaft stünde. So lange die sich aber, vor allem in Deutschland, nur mit Grausen abwendet, sobald das G-Wort genannt wird, stehen die Aussichten dafür schlecht: "Die Gesellschaft kann noch nicht sagen, was sie von Gentechnik will, weil sie sich nicht damit auseinandersetzt", bedauert Lisa Thalheim. Nicht kritiklose Bejahung wäre das Ziel, sondern die Befähigung zur bewussten Entscheidung.

Gentechnik soll kein Herrschaftswissen sein. "Manchmal dämonisieren Menschen eine Technologie, ohne sie wirklich zu verstehen", findet Ellen Jorgensen. "Es fällt einem schwer, sich vor Genmanipulation zu fürchten, wenn man das in einem Bürgerlabor, Seite an Seite mit der eigenen Tochter im Teenager-Alter, selbst gemacht hat."

Die Gefahr, dass etwas katastrophal schief geht, wenn Amateure in Versuchsküchen im Genom herumstochern, halten die Biohacker für nicht groß. "Es ist schwer, absichtlich eine Biowaffe zu schaffen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es jemandem durch Zufall gelingt", sagt Jorgensen.

Trotzdem fällt auf, wer sich für die junge Bewegung interessiert: "Ich habe noch nicht mit einem Professor an einer Uni geredet, aber mit diversen FBI-Agenten", sagt Lisa Thalheim. Mitte Juni ist sie mit Biotüftlern aus aller Welt auf Einladung der Behörde nach Kalifornien gereist. Am technischen Kenntnisstand der Szene seien die Beamten interessiert gewesen, aber auch an ihren politischen Vorstellungen. Am Ende muss man wohl beruhigt gewesen sein, dass sich da keine anarchistische Teufelsküche zusammenbraut. Sicher jedoch ist sicher. Neulich, sagt Thalheim, hat auch die CIA eine Einladung zum Kennenlernen an die Szene verschickt.

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